Graue Düsternis dominiert, wie im Tageslicht wird es gelegentlich heller. Durchs Oberlicht scheint der Regenbogen wie Wetterleuchten. Pure Natur, weniger göttliches Symbol. "In Leipzig muss immer sehr schön gesungen werden", hatte RING-Dirigent, Generalmusikdirektor und Intendant Ulf Schirmer dieser Tage in einem Radiointerview die Publikumserwartung resümiert. Er wagnert hin und her zwischen Opernhaus und Gewandhaus, mixte mit beim Sound-Track des neuen "Ludwig II"-Spielfilmepos.
In der Oper Leipzig führt Rosamund Gilmore Regie, nicht Peter Konwitschny, wie früher mal benannt. Sie kommt vom Tanz, inszeniert seit langem Musiktheater und setzt auf den Menschen. In Ausdruck, Darstellung, Sinn und Form. Wagners “Illusionsmaschine”, wie Jo Fabian es bezeichnete, hat eine Atempause. Richards Spruch “Kinder, schafft neues!” wird nicht so gedeutet, dass man mit seinen Inspirationen frei nach RW herumschöpfen möchte.
Mensch vor Technik
Den Darstellern gehört die Bühne. Nicht Technik und Effekte stehen im Vordergrund und im Wege, sondern alles Ferngesteuerte dient den Handelnden. Unmenschlich geht es da sowieso zu, Göttliche und Götzenbilder von Groß- und Kleingeistern betrügen einander. Sagenhaft. Erst in den nächsten drei Teilen beim “Ring des Nibelungen” geht die Reise zum furchtlosen Menschen… Verständigungsproblemen beugt die deutsche Übertitelung vor.
Eins von Vier
Erst nach Teil 4, der “Götterdämmerung”, solle man über das Regie-Team richten, beschwor die englische Regisseurin Rosamund Gilmore die Presse. Bis 2016 ist es eine Weile hin. Auf was warten wir? Mit der Tauchfahrt auf den Grund des Rheins erhellt sich die Bühne von Ausstatter Carl Friedrich Oberle – statt Wellen und Wasser, ist alles festgelegt: ein Palast, der schon nichts mehr wert zu sein scheint. Sand und Staub in den Ecken, Grashalme in Boden-Fugen, ein Bäumchen auf dem Fenstersturz.
Heimliche Mitbewohner
Einen Meter über die Bühne ragt ein Brunnenpodest, um und in dessen Wasser sich Rheintöchter räkeln und noch mehr Leute anwesend sind, als Wagner sich gedacht hatte. Geisterhafte Wesen als Brunnenskulpturen und Mitbewohner, die sich häuten und mitmischen, Möbel und anderes Zubehör bringen und wegschaffen können, ohne dass jemand mit ihnen spricht. Sie sind Zuschauer, Geier, Tiersekelett-Träger, Kröte, Umbau-Arbeiter und Möbelpacker, Nibelungen und Nornen. Auch in Leipzig sind solche Ergänzungen nicht neu, aber hier ausdrucksstark, wandlungsfähig und punktgenau umgesetzt von eigens dafür engagierten Tänzern und Pantomimen..
In Tankred Dorsts Bayreuther RING erschienen die Götter auf einem Hochhausdach, und immer mal kamen Zeitgenossen ins Bild, die aber von den Akteuren keine Notiz nahmen. Nur Peter, der Junge, bemerkte gewalttätige Veränderungen. In Leipzig nun greifen die mystischen Figuren ins Spiel und seine Dekorationen ein.
Nach hinten schließt eine große Wendeltreppe um einen Turm den Palast ab, Zugang von unten, Aufstieg nach oben scheint möglich. Nebenan im Fenstersims grünt ein Bäumchen. Die Welt-Esche? Entstehen hier die Symbole für die nächsten RING-Abende? Die “Endlose Treppe” Max Bills für Ernst Bloch, zu sehen in Dessau und Ludwigshafen am Rhein, sinnverwandt der Skulptur an der Trufanowstraße in Leipzig-Gohlis? Im Turm ist die Vitrine mit dem Rheingold, deren Glasscheibe beim Raub zerbrochen wird. Die Riesen bringen das Modell des neuen Walhalls mit. Ähnlich dem Turm zu Babel in rechtwinkliger Version. Die Sprachverwirrung ist eh schon da…
Rosamund Gilmore nannte es eine Art Shakespeare-Bühne und davon, dass Menschen als Menschen zu erkennen sein sollen. Wagners Jahrhundert sei der Ausgangspunkt, was man den zusammengewürfelten Allerwelts-Kostümen schwerlich ansehen kann, die wirken als wären die Anwesenden unterschiedlichen Epochen entsprungen. Später aber, so die Aussage der Regisseurin, würde es in Richtung Gegenwart gehen…
Regenbogen und Nachwelt
Kein weiter Weg nach Nibelheim, nur ein kurzer Umbau. Tänzerisch simpel und schön gelöst sind die tierischen Verwandlungen. Erda bewegt sich über die normale Bühne, von der aus alle anderen nur schnell aufsteigen wollen, Erda blickt ins Publikum, nicht zu Wotan, dem sie abrät, sich auf den Ring einzulassen. Es wabern nicht Nebel und Lichter, sondern die Szene ist bitterkalt beim Ruf “Schwüles Gedünst”. Nicht aus dem Schnürboden kommt der göttliche Regenbogen, sondern als Wetterleuchten durchs Oberlicht. Weniger als Wegweiser, wo die man hingeht, sondern über dem Raum, dem man gerade entflieht. Hier unten sind zwar die Halbgötter, aber Gott ist woanders. Wagners Mythos. “Was folgte ist Nachwelt, eine andere Geschichte”, wie Martin Gregor-Dellin schrieb, “von ihm getrennt durch Katastrophen.”
Kleine Probleme
War schon das Plakat nur lieblos stilisiert, mit dem Viertel eines Rings, macht es das Programmheft, wenig größer als eine Postkarte, den Lesern schwer. Zwar haben Szenenfotos Erinnerungswert, blassgraue Schrift auf angegilbtem Papier ist leseunfreundlich, und die Idee, dokumentarische Fotos mit Goldschleiern zu überdrucken, kommentiert nur sich selbst. Aber diese bibliophile Kostbarkeit hat ihren Preis: Vier Euro!
“Gesamtkunstwerk experimentell”
Mit dem “RING für Kinder” im Hause der Musikalischen Komödie hatte sich die Oper Leipzig eingestimmt. Für Witzbolde, die bei Wagner Bescheid wissen, oder wissen wollen, kommt Marlene Jaschke mit ihren Wagner-Problemen in den großen Saal. Und in Kürze kehrt dann Wagner als Denkmal in seine Vaterstadt zurück, auf alten Sockel, in neuem Design und guter alter Bronze! Im Schulkeller am Nikolaikirchhof wird sich eine Ausstellung dem jungen Wagner in Leipzig widmen. Und wo nicht Wagner drauf steht, heißt es “inspiriert von….”. Wissenschaftler und Wissensdurstige diskutieren allerorten Reime und Ungereimtheiten, und die HNO-Ärzte diagnostizieren die Wagner-Sänger-Stimme. Leipziger Kultur im Mai 2013 gibt sich als Wagner-Museum. Als sehr lebendiges.
Künstlerin rosalie aus Stuttgart, bühnenbild- und kostümgestaltungserfahren, hat dem Museum der bildenden Künste den Rahmen einer Aussstellung zur den drei Sachsen Max Klinger, Karl May, Richard Wagner gegeben. “Das Gesamtkunstwerk ist erst das Experimentelle”, sagt Frau Professor rosalie.
Dank ihrer Licht-Kunst in drei Räumen wird das übrige zusammen gehalten, ein Gemischtwarenladen, geschaffen von mehreren Kuratoren und ihren Bekanntschaften, aus Lebzeiten-Kunst der drei Protagonisten und allerhand Souvenirs. Dazu zählt das hölzerne Bettgestell der Wesendoncks aus der schweizerischen Villa, bepflanzt mit lebendigem Grün und sogar eine zedernholzig-blumige Duftnote soll dort installiert sein.
Kürzer und knapper
Des “RINGES” Zukunft dürfte ein Fast Food werden, den die neuen Freigeister-Weltenbummler-User zwischen ihren Kommunikationen gerade so einschieben können. 15 Stunden, vier Abende…? Und was das kostet… Bayreuths Katharina Wagner hatte die Idee zum Wagner für die Kinder in Bayreuth, und war selbst schon drauf und dran, eine Kurzfassung zu inszenieren…. Es sollte in Südamerika sein, doch die Produktion ließ sich nicht so angehen, wie in Bayreuth. So inszenierte dann jemand anderes.
Aber selbst das Kino, oft totgesagt, hält sich wacker. Was früher lief, wird neu hochgekocht. “Star Trek” etwa. Kino-interne Werbung bewertet den Neuling: “Endgültig in einem urbanen Action-Blockbuster-Olymp gelandet.” Wie aus einer ganz anderen Welt und komisch klingt, und doch wie Natur, was da an Sinfonieorchester-Instrumentenklang aus den Boxen wallt. Garantiert synthetisch gesampelt.
Der “Nibelungen”-Stoff diente vielen Autoren als metaphorische Bühne zur Verhandlung der Welträtsel vor offizieller Einführung der Demokratie. Weniger berühmt als Richard Wagner, wurde eine andere mit Leipzig verbundene Schriftstellerin, die hier gestorbene Bürger- und Frauenrechtlerin Marie-Louise Otto-Peters. Sie hatte allerdings ihr Opernlibretto schon 1845 fertig, bevor Richard Wagner 1848 seine Prosaentwürfe und “Siegfrieds Tod” abschloss.
“Götterdämmerung” am Augustusplatz
Ein anderer Teil, das Finale des RINGS, die “Götterdämmerung” kommt mit der öffentlichen Generalprobe am 20. Mai und der Premiere am 22. Mai an eine andere Seite des Augustusplatzes. Universitätsmusikdirektor David Timm und die Wagner-Gesellschaft 2013 e. V. bitten zur Aufführung. Nicht in der Aula, weil das Paulinum erst nächstes Jahr fertig wird. Mit dann 5 Jahren Verspätung. Man möchte meinen, es ging dort zu, wie auf der Baustelle Walhall der Firma Fasolt & Fafner… Derweil beschwerten sich die Jurastudenten über den gesperrten Hörsaal, so war denn – in gutnachbarschaftlichen Beziehungen – eine Vorlesung im Gebäude gegenüber angesetzt: im Opernhaus.
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