Am Ende eines schier endlosen Ganges trifft sich eine bunte Gruppe junger Menschen, es wird geprobt. Ein letztes Mal nach unzähligen Proben, leider ohne Probebühne, hier im Gang des Spinnwerkes in der alten Spinnerei. Am Montag, 11. März ist Premiere, nur noch Stunden, der Text sitzt und so mancher Lacher hat es trotz aller Probenarbeit auch bei den Aktiven bis in den Generaldurchlauf geschafft. "Wer ist eigentlich dieser Rudi Dutschke?" hallt's durchs Gemäuer.
Die Mieter der Bahnhofsstraße müssen raus, es wurde gekauft, nun soll hochwertig saniert werden. Doch das wissen noch sehr wenige, die Bewohner der Straße jedenfalls nicht. Ein Telefonat, welches ein sichtlich hektischer Mann führt, am Telefon ein gewisser Dr. Hühnerstein, es geht um eine neue Show fürs Fernsehen. Und da Hartz IV durch ist beim Konsumenten, kommt das Thema Bahnhofsstraße in Zeiten fehlender Wohnungen in den Großstädten gerade recht.
Das Konzept ist schnell gefunden, der Plot aus den ewigen “Gewinnershows” längst Routine: Ein Jahr mietfrei für die mitleiderregendste Gestalt, Teilnehmer sollen die Bewohner der freizulenkenden Straße sein. Und diese sind alsbald mit Feuereifer bei der Sache, versuchen den vermeintlichen Zuschauer davon zu überzeugen, dass es ihr mietfreies Jahr werden sollte.
Was Jens-Uwe Jopp und seine Schüler und Studenten der Gruppe “Essenz” am Montag erstmals im Schillergymnasium auf die dann sicher vorhandene Bühne bringen werden, ist selbst erdacht. Weit ab von “meinem” und “deinem” Faust – eigene Gedanken, Texte und ein Song haben es in den “Spieleabend” der Gruppe geschafft. Die Charaktere der Bahnhofstraße sind ebenso den Köpfen der Schauspieler entsprungen, wie die beiden Moderatoren der neuen Megashow und das ebenfalls selbst mitgebrachte dauernörgelnde 2-Frau-Publikum. Was bei einigen Darstellungen durchaus gezielt hinter deutsche Gardinen, direkt ins wahrlich mitleiderregende Gebaren mancher Zeitgenossen führt.
Vom ferngesteuert durch die Gegend brabbelnden Hausmeister – falsch “Facilitymanager” – über den pedantischen aber leider unfruchtbaren Herrn Wendler aus der Dynastie der Wendeltreppenbauer Wendler bis hin zur sichtlich aneinander vorbeiagierenden Kleinfamilie Koch und einem alles verachtenden Paul, dem Prototypen des oppositionellen Musikers geht der bunte Reigen der antretenden Mitspieler. Den leicht faschistoiden Vater samt bereits entglittenem Sohn findet man darüber hinaus ebenso, wie den angehenden Rechtsanwalt mit der Lieblingsfarben blau – rot und einem fast toten Hund.
Und ganz wie nebenher bei Ratespielchen, Bewerbungsgespräch um den Job einer Putzfrau, Buzzertests samt “Eine-Millionen-Euro-Frage” und verklemmten, rollenangepassten Selbstvorstellungen werfen die jungen Protagonisten nicht ganz zufällig mit sattsam bekannten Sprüchen aus der Klamottenkiste um sich. Denn wo sich “Arbeit wieder lohnen muss”, um mal wieder “was Schönes für die Frau zu kaufen” ist natürlich der aggressive Freidenker und die “Scheißindustrie” ebenso wenig weit entfernt, wie Menschen, die “Ja zum Leben sagen”, offensichtlich unwissend, was dies überhaupt sein soll.
Und wie immer am Ende einer Show, in welcher der Pöbel vor und hinter der Kamera miteinander verschmelzen, droht der römische Daumen im Finale. Den Investoren der Bahnhofsstraßen dürfte es herzlich egal sein, ob die Show letztlich gesendet oder durch eine andere ersetzt und wer der nächste Mieter in der sanierten Wohnung werden wird. Den Mitgliedern der Gruppe “Essenz” ist es das nicht, denn am Ende muss das Publikum abstimmen, wer den großen Preis bekommt. Was zu einem kurzweiligen Premierenabend am Montag führen dürfte, wenn der Vorhang sich öffnet und die Spiele beginnen mögen.
Dann steht nur eines wirklich bereits jetzt fest. Auf die Frage, wer eigentlich dieser Dutschke war, gibt’s von der dann hoffentlich vorhandenen Bühne keine Antwort. So leicht machen es die Stückemacher dem Publikum dann doch nicht.
“So sehen Sieger aus”, Premiere am Montag, 11. März 2013, 19 Uhr im Leibniz-Gymnasium am Nordplatz 13. Weitere Aufführung am 25. März um 19 Uhr in der Thomasschule (Hillerstraße 7), Der Eintritt ist jeweils frei.
Weitere Informationen gibt es unter
www.essenzleipzig.tumblr.com
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