Schauspiel im Käfig. Wer wird vorgeführt? Nirgends Personal. Zeitweise beobachten Kameras. Senkrechte Metallstäbe um einen rechteckigen Bühnenraum, auf vier Seiten sitzen die Gaffer. Ein Kerl in Stöckelschuhen und rotem Ballerinen-Rock betritt den Kerker, redet zu den Leuten draußen: "Was soll ich Euch erzählen?" und schwatzt vom Auto, das 200 fährt, "kannst ja mal mitfahren", redet von Neuruppin, das im Schwarzwald liegt ...
Geisterbahnfahrt. Ende offen.
Einstige Arbeitswelten sahen anders aus. Nur ein Akkuschrauber ist noch vorhanden, alles beruht auf Instinkt, Gruppendynamik – ohne Aufgaben von außen. Darin ist das anders als “Big Brother”, und auch hier flirtet man mit den Kameras. “Dschungelcamp” für Normalos, zu Promis kam es nicht mehr. Bevorzugt ist, wer eine Boulette kriegt, die draußen vor dem Käfig verteilt werden. Zeitweise gibt es folterhaft-grelles Licht, zwischendurch Düsternis. Geisterbahnfahrt für alle. Ende offen.
Helden sind Geschichte
Angekündigt waren die Figuren Josef Ackermann, Bakunin, Prometheus und Hamlet, die “in aberwitzigen Situationen mit der Bühnenrealität konfrontiert” werden. Man hört die Botschaft, schenkt ihr Glauben und ist neugierig. Von ihnen bleiben nur Bruchstücke aus Überlieferungen. Helden gibt es nur in Geschichten. Hatte man doch aber 1984 das Theater “Neue Szene” im gleichen Raum mit Volker Brauns “Guevara oder Sonnenstaat” eröffnet, gleichfalls mit politischer Rollen-Prominenz. Später dann hat hier die Französische Revolution abermals stattgefunden, und…. aus und vorbei.
Wer wird vorgeführt?
An Zirkus erinnert die Arena, wie ein Raubtierkäfig, als ob man die Insassen vor dem Publikum drum herum schützen müsse. Denn die Akteure kommen von außen, öffnen und schließen das Tor selbst. Zuweilen jagen sich die zehn Akteure um den Käfig herum oder reden heftig auf die Zuschauer ein. Egal, ob da nun eine künstlerische Idee versteckt ist oder auch nicht. Gut zwei Stunden werden durchlebt, einige Besucher verzichten eher.
Sebastian Hartmannns Theaterstück
Es hat eine lange Tradition, dass Leipziger Schauspiel-Studierende ab dem dritten Semester in Studios an Stadtheatern arbeiten, im Repertoire mitspielen oder eigene Premieren herausbringen. Nun hat es die Studierenden des Theaterinstituts der Hochschule für Musik und Theater am Centraltheater erwischt: Klara Deutschmann, Harald Horvath, Katrin Kaspar, Heiner Kock, Sina Martens, Maximilien Pekrul, Flora Pulina, Jonas Steglich, Dominik Paul Weber und Timo Weisschnur sind die Akteure auf der Spielfläche und per Video.
Vielleicht ist es immer nur ein einziges Stück, das Sebastian Hartmann über die Bühnen poltern lässt, immer von was anderem angeregt, neu betitelt, mit anderem Personal fortgesetzt. Mal Kafkas “Prozess”, mal “Pension Schöller” und dann weiter…
Von Wolfram Lotz verwaltet der S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main einen Text “Der große Marsch”, und tatsächlich ist eine Dame mit einem Textbuch anwesend, wechselt von Zeit zu Zeit den Sitzplatz, und man könnte sie für die Souffleuse halten.
Der Tod und der Wal
Nur nicht müde werden, Publikum! Dafür sorgt das Nummern-Programm, Nahkampf-Bilderfluten, ein Bilderrausch mit Kostümball, meistens vermutlich aus dem Erotik-Shop. Wer so was nicht schon sah, dem könnten die Sinne überlaufen. Hier und da wird gequält, ausgiebig, wenn auch bekleidet, in Gruppe kopuliert. Bis der Käfig mit schwarzer Verhüllung zur Black-Box und zum Video-Fernsehen gemacht wird. Zuschauer werden unterwiesen und angemacht, Glück hat noch, wer heftig geküsst wird. Und dann kommt ein Menschen-Gerippe ins Spiel, der tanzende Tod, lautstark abgewiesen: “Nicht noch ein Symbol!” Und im aufblasbaren Walfisch lebt kein Jonas, aber alle spielen mit ihm …
Neues altes absurdes Theater
Wer schon etwas länger ins Theater geht, findet Absurditäten vor, als wäre “Warten auf Godot” noch zu erfinden, wie auch Dramenzerlegungen wie bei polnischen Dramatikern, Theater der Grausamkeiten, oder Konstanze Lauterbachs Stücküberarbeitungen. Auf offener Szene wird einer umgezogen, asiatisch eingekleidet, als wäre er Jo Fabians “Shite Samurai” entsprungen, einst in der Neue Szene gezeigt. Damals zur Zeit, als Sebastian Hartmann selbst in Leipzig zum Schauspieleleven wurde und in seinem “Wehrtheater Hartmann” Schauspieler die Zuschauer streicheln ließ …
Lieber eine Flasche Ketchup als ein falscher Hamlet
“Ich möchte kein Illusionstheater, sondern ich möchte ein wirkliches Geschehen.”, so steht es als “Intro” im Programmheftchen mit Bezug auf den Autoren Wolfram Lotz, Jahrgang 1981. Weiter: “Und wenn sich ein Schauspieler dann eben eine Flasche Ketchup über den Kopf gießt, dann ist das erst mal realer, als wenn er sagt, er ist Hamlet, und er ist aber nicht Hamlet.” Ein solcher Anspruch ist erlaubt und schadet niemandem, was auch man selbst von Kunst und Dramatik und Zuschaukunst halten kann was man will.
Jedem Gag seine Lacher
Ausverkauft war die zweite Vorstellung und punktgenau findet jeder Gag, ob Slapstick, Wortwitz, Stilbruch oder Stilblüte jemanden, der drüber lacht oder auslacht. Viel Applaus und Gejohle und Bravos hinterher den geschundenen Körper- und Stimmkräften.
Sebastian Hartmann als Zauberer
Somit gab es nun noch eine Sebastian-Hartmann-Regie-Premiere, dessen letzte Inszenierung im großen Haus zum Voyeurstück wurde. Nachdem sich schnell herum gesprochen hatte, dass “mein faust” heute in Goethes alter Studier-Stadt Leipzig so gar nichts mit dem Dichter und seinem “Faust” zu tun hat, der entstandene Abend und das Ensemble sich gar mit dem Prädikat “P 18” vor zu jungem Publikum schützen mussten. Uff! Immerhin so was ist dem Theatermagier Hartmann gelungen! Und ein Zauberer ist er. Mehr Publikum der 20er bis 30er Lebensjahre hat er in die Häuser gezaubert, von den älteren Semestern bleiben viele weggezaubert. Leipzig ist für ihn zu klein. Er braucht Metropolen, Orte, wo man noch kein Theater Titanick sah, Jo Fabian und Konstanze Lauterbach nicht inszenierten, man Wolfgang Krause-Zwieback nicht kennt.
Worin der Zauber des Zauberers besteht, das könnte die Theaterwissenschaft herausfinden, so sie es will. Bei beiden Abenden, “mein faust” und “Der große Marsch”, ließ sich nicht vermuten, ob und was es da für Proben gab, ob und was da fixiert ist, so dass es an weiteren Abenden wiederholbar wäre – oder aber alles der Intuition und Situation der Schauspieler unterworfen ist.
Erklärung…
Über “Theater” wurde allerhand geredet an dem Abend in der Skala, wobei statt dem Publikumsplatz Theater mehr die Bühne, die Dramatik gemeint war. Diese Bemerkung ist nicht dabei: Stupipedia.org, das satirische Lexikon im Internet, erklärt unter dem Begriff “Theater” (Version Februar 2013, gefunden lange vor der Premiere in der Skala:): “Theater ist eine Beschäftigungsmaßnahme für arbeitslose Künstler und Schauspieler. (…) Die Besucher eines Theaters sind keine Kunden im theaterrechtlichen Sinne, sondern “Verschaukelte”. (…)
Ein Theaterstück, auch Beschäftigungsmaßnahme ohne Mehraufwand genannt, kann alles Mögliche beinhalten. Es darf nur kein Drama sein, keine Liebesgeschichte zeigen, es darf auch keine Komödie zum Besten geben und Krimis sind verboten. Eigentlich ist gar nichts erlaubt, was im Fernsehen üblich ist. Ein Stück nach den Theaterschen Gesetzen hat überaus merkwürdig zu sein, muss die zwei Stunden Arbeit schnell verstreichen lassen und darf absolut keinen Sinn machen. Die idealerweise grell geschminkten und bemalten Schauspieler haben zu improvisieren, müssen anatomisch unmögliche Verrenkungen zum Besten geben und sollten mindestens einen Orgasmus auf der Bühne vortäuschen.
Ein wesentlicher Faktor ist das Grimasseschneiden: Damit die Mimik auch beim kurzsichtigsten Zuschauer in den hintersten Reihen ankommt, müssen Augen und Mund weit aufgerissen werden. Verrenkte Kiefer und herausgefallene Augäpfel gehören inzwischen zu den anerkannten Berufskrankheiten eines Schauspielers.” Also, Augen auf bei der Berufswahl.
Nächste Vorstellungen: 17.02.2013, 20:00 Uhr, Skala. 27.03., 19:00 Uhr, 02.04., 21:00 Uhr Festspielarena im Centraltheater. Vom 01.03. bis 03.04. dann “Festspiele”.
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