Sebastian Hartmanns einjährige Abschiedsvorstellung hat begonnen. Am Donnerstag präsentierte der Centraltheater-Intendant den Leipzigern seine Adaption von Tolstois Epos "Krieg und Frieden". Schauspieler und Regisseur ernteten nach fünfeinhalb Stunden tosenden Beifall. Wer Hartmanns "Krieg und Frieden" sehen möchte, sollte viel Sitzfleisch mitbringen. Und Durchhaltevermögen.
Denn der Regisseur erzählt keineswegs den Roman nach. Das wäre auf der Theaterbühne kaum zu realisieren. Der Noch-Intendant drapiert stattdessen einzelne Motive aus dem Werk zu Themenkomplexen.
Leben, Sterben, Krieg, Frieden. War Leo Tolstois Weltroman einst ein Brennglas des russischen Adels während des napoleonischen Feldzugs, so ist Hartmanns Adaption ein Stachel im Fleisch der Bourgeoisie unserer Tage. Der Regisseur holt den staubigen Stoff ins Hier und Jetzt, entschlackt ihn um seinen aufklärenden Impetus und legt seinen philosophischen Kern offen. Das schmeckt nicht jedem Zuschauer. Im Laufe des Abends lichten sich die Reihen.
Hartmann setzt sich bei der Besetzung seiner mannigfaltigen Figuren über Charakter-, Rollen- und sogar Geschlechtergrenzen hinweg. Mehrfachbesetzungen sind die Regel. Eine Mammutaufgabe für das 14-köpfige Ensemble, darunter Heike Makatsch, das sich regelrecht in Ekstase spielt. “Ich lebe, also bin ich.” Ein simpler Satz im zweiten Akt bringt die Essenz des Fünf-Stunden-Schinkens auf den Punkt.
Das Ich, das Subjekt steht im Zentrum von Hartmanns Adaption. Seine Akteure formen die drei Buchstaben am Ende des ersten Aktes. Eines der stärksten Bilder an diesem Abend. Die Bühne spartanisch dekoriert. Hartmann gönnt seinem Ensemble gerade einmal zwei gigantische Platten, die mittels Hebebühne und Stahlseilen angehoben und herabgesenkt werden können. Nur die Untere ist begehbar. In die Obere sind LED-Tafeln integriert (Bühne: Tilo Baumgärtel). “Was ist Kunst?”, fragen sie zu Beginn des dritten Aufzugs. Eine Antwort bleibt aus.
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