Skizzierte Phalli auf den Tickets und in Holz geschnitzt im Bühnenbild bringen die mitgebrachte Dame zum Staunen. Doch das passt, denn im Stück geht es nicht um Geld, Macht und Sex, sondern um die Reihenfolge Sex, Macht und Geld. "Wo ist denn das Sommertheater fragen Ankömmlinge in der Substanz-Garten-Kneipe?" - "Ganz hinten in der Bretterwand geht dann eine Tür auf!"

So kam es auch, und ein gut genährtes rosafarbenes Häschen kontrollierte die Tickets. Tor zu. Bühne frei. Frei weg gegen den Kneipenkrach von nebenan. Oben drüber Leipzigs Sommerabendhimmel am Täubchenweg.

Frauen sagen: Sex oder Krieg!

Dargestellte Selbstjustiz beruht auf alter Literatur, veröffentlicht von einem Autoren namens Aristophanes unter der operativen Vorgangs-Bezeichnung “Lysistrate – Der Kampf der Geschlechter”. Frauen warten auf die Heimkehr der Männer aus dem Krieg und verweigern Sex. Bis denn die Männer nicht mehr ausziehen werden, “und die Völker nicht mehr kriegen lernen werden”. Oh, da sind wir biblisch gesprungen, denn das Stück wurde 411 vor Christus uraufgeführt.

Rolf Hochhuth hat die antike Komödie mal ins Nato-Umfeld transportiert, das tut Schluttig genauso wenig, wie er zeitgeistige griechische Unzulänglichkeiten oder gar europäische Finanzkrisen anklingen lässt. Ouzo-Schnaps gibt’s auch nicht. Soll doch der Zuschauer sich selbst sein Bild von Griechenland machen! Antik oder gegenwärtig! Oder alles Ouzo!
Hier brennt die Luft

Woher der Theatermacher Matthias Schluttig für seine Dramavision-Projekte das Personal bezieht, bleibt sein Geheimnis. Zum Schlussapplaus ist die Bühne voller Leute, die hinter den Kulissen gar nicht dabei. Wenn im Publikum humorarme Betriebswirte Stühle und Darsteller zählen, Kosten schätzen und Gewinne mutmaßen, gerät kaufmännisches Denken an Schranken. Dem entgegen wirkt auch noch, das hier nicht so getan wird, als ob die Luft brennt, hier brennt die Luft wirklich. Dabei halten sich Pulverdampf und Qualm in Grenzen. Flüssigkeits-Ausgießungen (im modernen Schauspiel zwingend nötig) gibt’s gar nicht.

Was passiert? – Es ist alles menschlich. Frau Lysistrate, mit schicksalhaft-dunkel gefärbter Stimme, bekommt ihren Gatten tot aus dem Krieg zurück. Sie überzeugt – auch das ist Kampf – die anderen Frauen Athens und schwört sie ein. Und dann kommen die seelischen und körperlichen Krüppel nach Hause vor Athens Tore, und werden “außen vor” gelassen! – Eine Gemeinheit! Unverschämtheit! Kein Akt möglich! Und damit ein Staatsakt.
Mitgelacht – mitgefiebert

Wie die das aber erspielen, erst die Weiber: geistig voll da, später körperlich fast gefügig werdend. Und erst die Kerle: Gebrechlich heimatsuchend zunächst, dann notgeil-aggressiv. Da steckt eine schauspielerische Musik drin, mit der man gern mitlacht. Das heißt hier auch: mitfiebert!

Bühnenbild braucht man nicht: doch, halt, ein Brett, die berühmten Bretter an sich, sind auf Autoreifen abgelegt. Ein paar Mauern und Tore, alles aus einem Stoff. Drei Lampen. Und Kostüme: paarweise sortiert die Kuschel-, die Uniform-, die Fetischfraktion. Weniger antik-stilisiert, eher heutig-second-hand. Herausragend die diversen Figuren auferlegten schwarzen Breit-Klebebänder, die dem modernen Prinzip Künstlichkeit den richtigen Halt geben!
Aristophanes, Verona und Dieter …

Soweit Schlutttig nach Aristophanes. Dazu kommt in mehreren Szenen der Störfaktor einer Talk-Show aus früheren TV-Zeiten. Verona Feldbusch (War das nicht die Hier-werden-sie-geholfen-Maus?), und Superstarkandidatenbeschimpfer Dieter Bohlen waren verheiratet. Hatte man schon vergessen. Beide waren vor und nach ihrer Scheidung mal bei Harald Schmidt, dem fliegenden Holländer der Fernsehsender, zu Gast. – Gefühl? – Nur jeder für sich. – Alle drei! Aber große Klappe! Die Szenen sind original aufgeschrieben, nur leicht gekürzt. Und süffisant schön gespielt! Gaukler rufen und die Leute kommen

Zurück zu Aristophanes/Schluttigs Dramavision: Es gibt einen plötzlichen und versöhnlichen Schluss für alle. Wie im Leben…. – immer gewünscht! Es funktioniert noch immer das alte Spiel, Gaukler annoncieren, das neugierige Publikum strömt, um sie zu sehen. Matthias Schluttigs Dramavision hat auch die Qualität, dass hier keine Seite die andere auslachen oder für dumm verkaufen will.

Und Gefahr ist im Anzug, dass Dieter Bohlens vorgestanzte Künstler-Kritik-Kriterien aus der Superstar-Show ins Live-Geschäft hineinblitzen, wo sich Künstler und bezahlender Zuschauer gern gegenüberstehen. Aber das ist ein anderes Drama.

Nächste Vorstellungen: 02., 03., 04., 05.08.2012, “Substanz”, Täubchenweg. Tickets: 6,00 Euro, ermäßig 4,00 Euro.

www.dramavision.de

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