Natürlich ist die Kür eines neuen Intendanten immer auch der Versuch, Einrichtungen attraktiver zu machen, die Häuser wieder zu füllen, mehr Aufmerksamkeit in die Stadt zu holen. Das war die Absicht mit der Wahl von Sebastian Hartmann (44) zum Schauspielintendanten in Leipzig ab 2008. Das steckt auch hinter der Kritik an seiner Arbeit, seiner Absage an eine Neuwahl und die am 20. Juni erfolgte Wahl von Enrico Lübbe (37) zu seinem Nachfolger. Eine Wahl, die die Grüne Jugend jetzt heftig kritisiert.
Vor allem die Umstände der Entscheidungsfindung bei der Suche nach einem Nachfolger für den derzeitigen Intendanten Sebastian Hartmann hält der Stadtverband der Grünen Jugend für falsch.
In seiner Juni-Sitzung hatte sich der Stadtrat für Lübbe als neuen Intendanten ab der Spielzeit 2013/14 ausgesprochen. Er war damit einer Empfehlung von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) gefolgt, der die Vorschläge einer eigens für die Intendantenwahl eingerichteten Findungskommission damit freilich ignorierte. Die Kommission aus Fachvertreterinnen und Experten, die teilweise beruflich und privat jahrelang mit der deutschen Theaterszene verbunden sind, hatte nach der Sichtung zahlreicher Bewerbungen drei Kandidaten empfohlen und in einer späteren Stellungnahme ausdrücklich betont, dass Lübbe nicht auf der Empfehlungsliste gestanden habe.
Auch das sind Signale, die ein OBM und ein Stadtrat setzen, wenn die Empfehlungen einer eigens berufenen Fachkommission einfach in den Wind geschlagen werden.
Für Burkhard Jung, der Lübbe gegen die Empfehlung der Findungskommission vorschlug, war die Arbeit von Enrico Lübbe als Hausregisseur in Leipzig 2000 bis 2004 unter Wolfgang Engel genauso ein Pluspunkt wie seine erfolgreiche Arbeit am Chemnitzer Schauspiel seit 2008, wo er – unter anderem mit der Reihe “Chemnitzer Erstaufführungen” – die Auslastung des Hauses von 50 auf 70 Prozent steigerte.Das Votum des Oberbürgermeisters gegen die Empfehlungen der Fachkommission ist aus Sicht der Grünen Jugend Leipzig nicht nachvollziehbar. “Statt in gegenseitiger Abstimmung mit gesellschaftlich relevanten Gruppen eine Lösung zu finden, wurde einmal mehr über die Köpfe der Bürger_innen hinweg entschieden. Anstelle eines Intendanten mit frischen Ideen und interessanten Konzepten, der eindeutig zur Relevanzsteigerung der Leipziger Theaterszene hätte beitragen können, setzt Jung auf seinen persönlichen Favoriten und zieht damit einer hoffnungsvollen Innovation den ‘braven Intendanten’ vor”, kritisiert Norma Tiedemann. “Mut und Weitblick lässt Herr Jung an dieser, wie an vielen anderen Stellen in der Leipziger Politik vermissen. Für uns als Grüne Jugend Leipzig ist dies eine vertane Chance, die Leipziger Theaterszene weiterzuentwickeln und qualitative Verbesserungen des Schauspiel Leipzig anzustoßen.”
“Die Rechtfertigung seitens Herrn Jung, dass Stadt und Stadtrat die Stadt Leipzig und deren Bedürfnisse besser kennen würden, akzeptieren wir als Grüne Jugend Leipzig nicht und kritisieren den Ablauf des Auswahlprozesses vehement”, so Tiedemann. Die auch ähnlich deutliche Kritik bei den Dramaturgiestudenten und beim Freundeskreis des Schauspiels Leipzig sieht.
Hinter der Neuwahl flackert natürlich die nach wie vor unbeendete Debatte um das actori-Gutachten und die daraus zwangsläufig sich ergebenden Folgen. Und es flackert eine Debatte, die in Leipzig seit 22 Jahren nie wirklich geführt wurde: Was wollen Bürger und Verwaltung eigentlich von ihrem Schauspiel? Warum tauchte das Haus sogar in der Schließungsdebatte auf? Und warum ging die Entscheidung für den durchaus nicht stromlinienförmigen Sebastian Hartmann so schief? Wenn sie denn schief ging. Denn das überregionale Feuilleton liebt den Regisseur mit seinem Faible für die provokative Inszenierung noch immer. Daran haben auch seine vier Leipziger Jahre nichts geändert.Was er aber nicht geschafft hat, ist natürlich, das Leipziger Schauspiel zu einem neuen Leuchtturm in der deutschen Landschaft der diskutierten Theaterplätze zu machen. Warum das so ist, das könnte diskutiert werden. Die einfachste Antwort darauf wäre wahrscheinlich: So etwas braucht mehr Zeit als nur vier Jahre. Und es braucht mehr Geld für entsprechende Inszenierungen, die auch das Publikum aus anderen Städten zur Premiere nach Leipzig locken.
Was er geschafft hat: Er hat das Leipziger Schauspiel-Publikum umgekrempelt und verjüngt. Nicht unbedingt mit seinen eigenen Inszenierungen – aber mit Furore machenden Gastinszenierungen wie die von Rainald Grebe, auch mit Konzerten.
Was ihm verloren ging, ist das Stammpublikum, das in Leipzig zwar oft ein biederes, aber auch ein anspruchsvolles war. Das hat manche Inszenierung von Wolfgang Engel seinerzeit auch durchfallen lassen. In Zeiten, als eine Regisseurin wie Konstanze Lauterbach Maßstäbe setzte in Leipzig.
Innerhalb der actori-Diskussion wird es im Prinzip völlig ausgeblendet: Was für ein Schauspiel wollen denn die Leipziger selbst haben? Eines, das die Stadt selber an ihrer Seele packt, sie aufrührt, umrührt und ihr – auch mit klug inszenierten Klassikern – den Spiegel vorhält? Das kann faszinierend sein und aufregend – und trotzdem dazu führen, dass es da draußen im windigen Feuilleton kein Schwein interessiert.
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Oder will man ein Schauspiel, wie es zum Beispiel Frank Castorf mit der Volksbühne in Berlin gemacht hat? Und so etwas scheint ja Burkhard Jung und dem Stadtrat 2007 vorgeschwebt zu haben, als sie Sebastian Hartmann nach Leipzig holten. Gleichzeitig wohl auch eine Steigerung der Zuschauerzahlen. Denn die waren auch in Wolfgang Engels Intendanz ja irgendwie vor sich hingedümpelt. Nach dem Spitzenjahr 2005 mit fast 125.000 Besuchern rutschten die Zahlen 2006 und 2007 wieder auf rund 100.000. Unter Sebastian Hartmann sackten sie dann erst einmal auf 85.000 durch, bevor sie sich 2010 und 2011 wieder bei 100.000 fingen.
Da aber auch im Stadtrat jede Diskussion über das, was diese Zahlen bedeuten, vermieden wurde, endet die Intendanz von Sebastian Hartmann so ratlos wie die seines Vorgängers. Die notwendigen Reform-Entscheidungen nach actori sind sowieso erst einmal auf 2015 vertagt. Burkhard Jung will diese Diskussion unbedingt aus dem OB-Wahlkampf heraushalten. Kommen wird sie. Kommen muss sie.
Und auch Enrico Lübbe muss sich sein Haus und die Stadt sehr genau anschauen, bevor er loslegt. Das erste Handicap hat er ja schon – die zweite Spielstätte fehlt ihm. Und damit der Ort für experimentelles Theater vor kleinerem Publikum.
Die Begründung für den OBM-Vorschlag zur Wahl Enrico Lübbes: http://notes.leipzig.de
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