Viel benötigt Regisseur Jürgen Zielinski nicht, um das Lebensumfeld einer allenfalls durchschnittlichen Familie im Amerika der Vierziger Jahre darzustellen. Ein Baugerüst als Haus, ein Auto, ein Kühlschrank, ein Blumenbeet und ein Zaun. Die Familie ist in der Gesellschaft und ihren Werten eingesperrt. Am 1. März war Premiere des Arthur-Miller-Stücks "Tod eines Handlungsreisenden" am Theater der Jungen Welt in Leipzig.

Willy Loman ist eingesperrt. Er ist die Hauptperson im bekanntesten Drama von Arthur Miller, das am 1. März eine beeindruckende Premiere im Theater der Jungen Welt feierte. Selbst Malerstar Neo Rauch, Prinzen-Star Sebastian Krumbiegel oder Tatort-Kommissar Dietmar Bär kamen, um sich anzusehen, was Jürgen Zielinski diesmal auf die Bühne zauberte. Zweieinhalb Stunden mussten sie einplanen, um das Ende des Handlungsreisenden Loman, exzellent gespielt und verkörpert von Günter Schoßböck, zu erleben.

Ach früher. Früher war Willy Loman ein erfolgreicher Handelsvertreter, bereiste mehrere Bundesstaaten, verkaufte Strümpfe. Kein Leben, das sich jeder wünschte, aber immerhin ein ehrbarer Beruf mit einem Auskommen, das zum Leben reichte. Laut eigener Aussage war Willy Loman in seinen Handelsbezirken bei jedem beliebt. In der Gegenwart ist ihm davon nichts mehr geblieben, keiner will ihn mehr kennen, die Firma stellte auf Provision um. Nur wenn Loman verkauft, verdient er.

Aber das Geschäft läuft schlecht, der 63-Jährige kann mit dem heutigen Wirtschaftsleben nicht mehr mithalten. Ihn plagt das schlechte Gewissen, immerhin wird die Familie in dieser Zeit nur vom Mann ernährt. Dazu noch seine nichtsnützigen Söhne Biff (Sven Reese) und Happy (Martin Klemm), die mit über 30 Jahren wieder zu Hause einziehen und im Berufsleben kaum mehr als einen Fuß in die Tür bekamen.Was lief nur falsch, warum schlug der nervtötende, wenig gesellige Nachbarssohn einen besseren Weg ein als seine Jungs, wo doch gerade der älteste, Biff, Lomans größte Hoffnung war? Was wurde nur aus Willy Loman, den einst so viele kannten? Warum leben weder er noch sein Sohn Biff den amerikanischen Traum? Warum schaffte es Bruder Ben? Was ist das Geheimnis des Erfolgs? Diese Fragen stehen im Raum. Loman braucht zwei Tage, um auf der Suche nach den Gründen eine Lösung zu finden.

Vor dem Nichts stehend, in einem Land, in dem es keine soziale Absicherung gibt, packt ihn der Wahn. Immer wieder schaut er zurück, lässt wichtige Episoden seines Lebens Revue passieren. Vor allem Biff sollte es einmal besser haben als Willy, wurde vom Vater gehätschelt und getätschelt, trug seine Erwartungen und Hoffnungen seines Vaters wie einen Sack voller Gasbetonsteine mit sich herum. In der Schule, beim Footballspiel, im Berufsleben.

Dass Biff unter der Last zusammenbrach, redete sich Loman schön, hörte nicht die mahnenden Worte des Nachbarsjungen. Der amerikanische Traum sollte von Biff geträumt werden. Mit dem Scheitern in den Mathe-Abiturprüfungen zerplatzt der Traum. Doch statt die Fehler zu analysieren, türmen Willy und Biff Loman Lüge um Lüge aufeinander, machen sich ein tolles Leben vor – bis Biff seinen Vater beim Fremdgehen erwischt.Was eine weitere Lüge gegenüber der Mutter ist, wird der Knackpunkt im Verhältnis der beiden. Biff verliert jeglichen Respekt, eine zielführende Kommunikation findet nicht mehr statt. Erst als Biff erkennt, dass es so nicht weitergeht, will er reinen Tisch machen. “In diesem Haus haben wir nie auch nur zehn Minuten die Wahrheit gesagt”, so sein Fazit, das sein dem Wahn verfallener Vater nicht mehr akzeptieren will. Loman bringt sich schließlich um. Zur Beerdigung des einst so Beliebten kommen nur die engsten Geliebten.

Symbol des Lomanschen Niedergangs auf der Bühne: Ein Blumenbeet, in dem die Blumen je nach Situation wachsen. Am Ende des Stücks wird das Beet zu Lomans Grab. Das Symbol ist nur ein kleines Detail in Zielinskis Planungen, die auch vorsehen, dass für die verschiedenen Rückblenden Personen direkt ins Geschehen eingeschoben werden, so als würden sie in Lomans Gedächtnis gestellt. Was gerade in der englischen Originalfassung immer wieder für Verwirrung sorgt, weil die Rückblenden durch keine Regieanweisung angekündigt werden, bekam Zielinski ohne Missverständnisse dank wechselnder Beleuchtung und Kostüme perfekt hin. Oder die Fragen, die Loman beschäftigen, werden nach und nach beantwortet. Die Zuschauer steigen so häppchenweise dahinter, warum aus den Söhnen des Willy Loman trotz großer häuslicher Liebe nie etwas werden konnte. Die Zeit rannte auch. Bei den langen Dialogen auf dieser einfachen Bühne ist es ein klarer Verdienst des Regisseurs, mit der Zeitknappheit umzugehen.

Günther Schoßböck und seinen Mitstreitern kauft man ihre Rollen ab. Die Fragen, die Loman quälen, beschäftigen den Zuschauer schon genug. Das Stück animiert zur Selbsthinterfragung der eigenen Erziehung, des eigenen Lebens, und das geht nicht immer gut aus. Es macht betroffen. Wenn Theater die passenden Gefühle weckt, dann ist es gelungen. Zielinski versuchte nicht, das Stück modern zu inszenieren, obwohl der Stoff dies hergeben würde. Er beließ es in der Zeit und verzichtete auf sämtliche störende Extravaganzen. Einzige augenscheinliche Veränderung: Loman kommt nicht bei einem Autounfall um. Doch das möge man dem Regisseur verzeihen. Geheimnis gelüftet!

Für die Vorstellungen am 3. März, 3. und 4. April gibt es noch Karten. Zuschauen lohnt sich.

Theater der Jungen Welt Online:

www.tdjw.de

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