Georg Kaiser prägte das Stationendrama wie kein Zweiter. Die meisten seiner 60 Stücke sind längst in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht. Denn viele Texte des Expressionisten, der 1945 im Schweizer Exil starb, sind heute aktueller denn je. Centraltheater-Debütantin Christiane Pohle wagte sich an sein 1920 verfilmtes Frühwerk "Von morgens bis mitternachts" von 1912. Mit Erfolg.
Eine Dame, verführerisch gespielt von Birgit Unterweger, betritt eine Bank, um 3.000 Mark abzuheben. Die Auszahlung wird ihr aus formalen Gründen verweigert. Sie fühlt sich geprellt. “Bürgt hier irgendjemand für eine Frau aus Italien?”, fragt der Bankdirektor höhnisch ins Publikum. Eine Anspielung auf die Euro-Krise bei der Centraltheater-Premiere am 10. Februar.
Dies bringt den bis dahin ruhigen Kassierer (Guido Lambrecht) in helle Aufregung. Eingesperrt in ein Holzhäuschen beginnt er zu rebellieren. Aus der inneren Revolte wird Randale. Gewaltsam befreit er sich aus seinem kapitalistischen Mikrokosmos und unterschlägt nebenher 60.000 Mark, herzlos in zwei Plastikbeutel gestopft. Unterdessen steht der Sohn der Geprellten, ein Kunstnerd, vor dem Deal seines Lebens. Für 3.000 Mark kann er einen echten Cranach erwerben. Adam und Eva im Paradies.Sein Narzissmus treibt die Frau zur Weißglut. Sie besudelt das Meisterwerk, uriniert auf die Leinwand, als ob sie ein billiges Poster wäre. Als Retter in der Not taucht der Kassierer auf, versucht sie zur gemeinsamen Flucht ins Ausland zu überreden. Doch sie weigert sich, verduftet, lässt den Mann, der mit graumeliertem Haar, Goldrandbrille, orangenem Hemd und grauer Hose den Charme einer Büroklammer ausstrahlt, allein zurück. Er flüchtet in die Großstadt, wo er letzten Endes vereinsamt und sich erschießt.
Christiane Pohle interessiert nicht die Kriminalstory hinter dem Plot. Sie übt sich auch nicht in ausschweifender Kritik an den Finanzmärkten. Ihr Fokus gilt ganz dem Individuum. Der Kassierer ist erst geborener Langweiler, dann Rebell, schließlich Räuber und am Schluss ein Schizophrener, der sich selbst richtet. In etwas über zwei Stunden zeichnet sie die rasante Entwicklung seiner Persönlichkeit nach.
Auf einer riesigen Verlade-Rampe, die sich bis in den Zuschauerraum erstreckt, führt sie die Figuren, allesamt wahnsinnig, mit viel zu viel Klamauk und einer Prise Slapstick dem Publikum vor. Würden die sich nicht manches Mal zu häufig selbst wiederholen, wäre der Abend rundum gelungen. Ernst Surberg untermalt die Groteske mit surrealistischen Ambient-Klängen, außerdem ein bisschen Wagner und Beethoven. Dem Publikum hat’s gefallen. Ensemble und Regieteam erhielten viel Applaus.
Die nächsten Vorstellungen finden am 11. und 17. Februar sowie am 7. und 31. März statt. Die Vorstellung am 11. Februar ist bereits ausverkauft. Sonst kosten die Karten ab 12 bis 28,40 Euro.
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