„Suche nach Wärme“ hat Thomas Schinköth sein Vorwort im Booklet überschrieben, in dem er versucht zu schildern, wie er den Liedern von Wilhelm Weismann und Rudolf Wagner-Régeny begegnete. Lieder, die beim erste Hineinhören an die große Zeit der romantischen Liederkunst erinnern. Aber tatsächlich sind sie über 100 Jahre später entstanden. In einer Zeit, in der in deutschen Landen nichts wirklich romantisch war. Auch nicht im östlichen Teil.
Denn dort lebten und wirkten sie – Wilhelm Weismann als Lektor der Edition Peters und später als Dozent an der Musikhochschule in Leipzig, Rudolf Wagner-Régeny in (Ost-)Berlin. Zwei Komponisten des 20. Jahrhunderts, „deren Werke durchaus Aufmerksamkeit verdienen“, wie Rondeau Production betont.
Vielleicht besser formuliert: die wiederentdeckt werden sollten. Denn sie stehen nicht unbedingt im Fokus der Aufmerksamkeit. So wie die Zeit, in der sie entstanden – in den ersten Nachkriegsjahrzehnten, in denen beide Komponisten auf ihre Weise versuchten, die Stimmung einzufangen, die eben nicht ganz so fröhlich enthusiastisch war, wie es einem Propagandafilme aus dieser Zeit gern weiß machen wollen.
Der stille Klang der Zeit
„Verbunden sind alle Titel durch ihre Art: melancholisch sentimental, unaufgeregt schlicht, aber in keinem Fall klanglich unkomplex“, schreibt Rondeau. „Wilhelm Weismanns Lieder bestechen mit teilweise archaischem Klängen über mittelalterlichen Texten, sind dann wieder zart-impressionistisch, versetzt mit Elementen erweiterter Tonalität. Rudolf Wagner-Régeny, dessen Opern heute noch etwas mehr Aufmerksamkeit bekommen, charakterisieren seine sehr persönlichen Vertonungen, teilweise von eigens geschriebenen Liedtexten, die zunehmend auch die Einsamkeit des Komponisten zum zentralen Motiv werden lassen, und stilistisch zwischen Neoklassizistik und freitonalen Anklängen changieren.“
Dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen. Außer, dass gerade Wilhelm Weismann auch Gedichte zeitgenössischer Autoren vertonte. Die es ebenfalls wiederzuentdecken gilt. Denn die literarische Welt ist gern genauso vergesslich wie die musikalische. Da findet man Wieland Herzfelde, Hans Leifhelm, Manfred Hausmann, aber auch Bert Brecht und Heinz Kahlau. Ihre Texte fangen ebenso die Zerrissenheit und Melancholie der Zeit ein.
Thomas Schinköth erinnert daran, dass beide Komponisten – der eine 1900, der andere 1903 geboren – im Zweiten Weltkrieg die Zerstörung ihrer Wohnung durch Bomben erlebten. Und es ist unüberhörbar, dass es beiden Komponisten um das Hiersein auf Erden geht, das tief sitzende Gefühl der Verunsicherung, das sie mit allen ihren Altersgenossen teilten. Was nur halt nicht wirklich zum gewollten Stimmungsbild des Landes passte, in dem sie lebten.
Das Land am Horizont
Das Gedicht „Das ferne Lied“ stammt übrigens von Wieland Herzfelde und fasst wahrscheinlich auch am besten zusammen, was gerade Weismann bei Komponieren bewegte: „Das ferne Lie nahm sanft mich an der Hand, / als Unverstand mir was ich liebte stahl / und sich ins Herz mir fraßen Gram und Qual. / Es ließ am Horizont mich schau’n das Land, / in das seit je mich zieht das ferne Lied.“
Und es ist diese sehr nachdenkliche Melancholie, die der Tenor Patrick Grahl und die Pianistin Klara Hornig in dieser Einspielung auch lebendig werden lassen. Nachdenkliche Lieder. Stille Lieder, verglichen mit dem, was für gewöhnlich unseren Liederalltag ausmacht.
Erinnerung an eine Zeit, in der es auch für Komponisten noch reizvoll war, neue Kompositionen für die Kammermusik zu schaffen, also den kleinen Raum, in dem Virtuosen wie Grahl und Hornig ihre Exzellenz hörbar machen können und ein kleines Publikum andächtig lauscht und sich forttragen lässt in die Welt, die entsteht, wenn sich Lyrik und Musik begegnen und zumindest eine Ahnung davon geben, wie intensiv wir unser Leben wahrnehmen können, wenn wir uns aus dem Lärm der Tage herausnehmen.
Wobei es die verschiedensten Orte gibt, an denen man diesen Liedern lauschen kann, die Patrick Grahl und Klara Hornig 2021 im Fürstensaal der Hochschule für Musik in Weimar eingespielt haben. Schinköth empfiehlt einige.
Und bei Weismann darf man durchaus daran denken, dass er 1968 mit einem Telegramm an den Leipziger Oberbürgermeister auch gegen die Sprengung der Paulinerkirche protestierte. Wozu auch als Hochschullehrer ein gewisser Mut gehörte. Und vor allem das Wissen darum, dass es jenseits der Politik und Propaganda immer geschützte Räume braucht, in denen Menschen die Chance haben, ihrem eigenen Herzen lauschen zu können.
Wilhelm Weismann, Rudolf Wagner-Régeny „Das ferne Lied“, Rondeau Production, Leipzig 2024, Bestellnummer CD ROP6270, EAN Code 4037408062701.
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