Er nennt sich einen optimistischen Melancholiker und tritt gern als Lonesome Rider auf: John McShultz, in Berlin aufgewachsen, lรคngst in Leipzig heimisch. Zu erleben an Orten wie dem Flowerpower, der Anker Musikkneipe oder dem Cafรฉ Kune. Orten, wo man spรคtabends hingeht, wenn einen die Melancholie aus der Bude treibt und man keinen Truck hat, mit dem man nachts รผber die Route 66 rollen kann.

So ungefรคhr. Es ist ein Lebensgefรผhl, manchmal auch nur eine Stimmung, die einen auch in Leipzig des ร–fteren einholt, wenn man merkt, wie oberflรคchlich und geschรคftstรผchtig das alte Aschenbrรถdel von Stadt geworden ist. Und man lange laufen muss, wenn man nicht in einem der Lokale stranden will, in denen das Publikum scheinbar nur sitzt, um sich den vorbeifahrenden StraรŸenbahnen zu zeigen. Es ist wirklich nicht damit zu rechnen, dass es mal ein Gedichtband mit StraรŸencafรฉ-Gedichten gibt. Dafรผr sorgt schon der Lรคrm des Verkehrs.

Berรผhmte musikalische Vorbilder

Und trotzdem sitzen sie da und tun so, als wรคre es ein gemรผtlicher Freisitz. Und man genรถsse den Ort und den Moment. Und die Menschen. Von Vogelgezwitscher und anderen Naturphรคnomenen kann ja keine Rede sein. Und von Flirts mit zufรคllig getroffenen Frauen auch nicht, so wie in John McShultzโ€™ Gedichtband โ€žSehnsucht nach nirgendwoโ€œ, den er uns mit seiner CD zugeschickt hat.

Die Lieder auf seiner 2020 im eigenen Label Screambyrd verรถffentlichten Scheibe sind natรผrlich genauso wie seine Gedichte โ€“ bereichert um Drums, E-Gitarre und den rauen Sound seines fast geflรผsterten Gesangs. Daran kann man ihn erkennen, auch wenn man beim Klang der Gitarre immer wieder darauf wartet, dass gleich Johnny Cash einsteigt, den er natรผrlich genauso zu seinen Vorbildern zรคhlt wie Element of Crime und Neil Young.

Aber Berlin ist nicht der Wilde Westen, Leipzig erst recht nicht. Wen man hier was erleben kann, dann bestimmt keinen wilden Ritt auf dem Truck oder einen Ritt als Lonely Rider durch endlose Prรคrie. So ein bisschen die schwermรผtige Musik eines Ennio Morricone im Kopf. Geht einfach nicht. Die Abenteuer erlebt man eher mit Frauen.

Frauen, die John McShultz auch auf seiner CD besingt, diese ganze Sehnsucht nach einer, mit der man es lรคnger zusammen aushalten kann. Die einen nicht nur nach einer einzigen zรผgellosen Nacht daran erinnert hat, wie gut das tut, wenn man mal rauskommt aus seiner Lederhaut und sich fallen lassen kann. Oder geben โ€“ in die โ€žDeine Hรคndeโ€œ zum Beispiel.

Alltag als Romantik-Killer

Mit den Liedern dรผrft John McShultz so manchem einsamen Streuner durch Leipziger Nรคchte aus dem Herzen sprechen, der โ€žMutter Einsamkeitโ€œ nur zu gut kennt, weil das mit den Frauen eben nicht nur ein wilder Ritt durch eine Nacht ist, sondern meistens auch das berรผhmte Tucholskyโ€™sche โ€žDanachโ€œ kennt. Dann, wenn man sich um den ganzen Kleinkram des Alltags kรผmmern muss, der in der Regel auch bestens in der Lage ist, die ganze feurige Liebe aufzufressen.

Und dann geht man auseinander, hat sich nichts mehr zu sagen. Oder vielleicht doch. Aber das lรคsst sich nicht mehr ohne flatternde Gefรผhle aussprechen, weil man dann da steht mit einer Vorstellung von โ€žEs war doch so schรถn mit uns beidenโ€œ, die zumindest eine schon lรคngst abgehakt hat.

Vielleicht auch, weil sie das mit dem einsamen Cowboy an der Seite auch nicht lange aushรคlt. Ist ja nicht nur so, dass grau gewordene Jungs nach immer neuen Momenten der Bestรคtigung suchen, dass sie noch akzeptiert werden als einer, mit dem man durch die Nรคchte toben und im Bett liegen kann.

Auch das Schรถne zieht vorรผber und endet โ€“ so ist das Leben

Diesen Kater danach kennen beide Geschlechter ja irgendwie, auch wenn beide wohl vรถllig unterschiedlich damit umgehen. Und John McShultz besingt nicht nur die Frauen, er erzรคhlt auch, warum er sie nicht vergessen kann. Manchmal auch direkt im Du, als sรครŸe die Schรถne tatsรคchlich im Publikum und wรคre zumindest noch neugierig darauf, was der melancholische Cowboy sich wรผnscht von ihr.

Oder gewรผnscht hat. Manchmal hilft das ja, um zumindest dieses Gefรผhl der Leere zu fรผllen, das immer bleibt, wenn sie gegangen ist. In melancholischen Liebesliedern ist das so. Da ist es immer das Cowgirl, das seiner Taschen packt und geht.

Aber das hรถrt man ja auch heraus: Da steckt auch die ganze Wehmut รผber das Leben drin und die leider nicht allzu trรถstende Erkenntnis, dass alle guten Dinge vorรผbergehen, dass das Leben voller Abschiede ist. Und dass man dagegen nicht wirklich viel tun kann. AuรŸer es tapfer zu ertragen und es den Schรถnen nicht krumm zu nehmen, dass sie es nicht lรคnger ausgehalten haben mit einem.

Wer also demnรคchst beim spรคten Abstecher in eine der Leipziger Musikkneipen so einen rauen, flรผsternden Sound von einem Burschen mit Lederhut und Lederjacke hรถrt โ€“ das kรถnnte John McShultz sein, der mal wieder einen โ€žTag in einer anderen Weltโ€œ besingt oder die Erinnerungen an die Schรถne im Sommerkleid, die so schnell nicht verblassen, weil es wirklich ein paar Sternstunden im Leben waren.

John McShultz โ€žEin Tag in einer anderen Weltโ€œ, Screambyrd Records 2020, 12 Euro.

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