Der Titel von Sarah Leschs fünftem Album, das am 19. November erscheint, ist Programm und Provokation. Die Lieder der Leipzigerin sind Statement und Kraftquelle. Die Platte ist eine Ansage an eine Gesellschaft, die sich oft noch schwertut, wichtige Diskurse auszuhalten. Nach 50 Jahren „Wir haben abgetrieben“, nach 15 Jahren MeToo-Kampagne, nach knapp einem Jahrzehnt #aufschrei mag vielleicht niemand mehr an die heile Welt glauben.
Aber mehr als ein kollektives Achselzucken ist leider in der Regel nicht drin. Die Welt ist schlecht, aber dieser ganze Weltverbesserungskram geht dann trotzdem zu weit. Abtreiben darf man doch jetzt und die Arbeitskollegin sieht auch jeden Tag ganz glücklich aus. Und bitte nicht krampfhaft unsere schöne Sprache verhunzen! Oh hoppla, wieder ein Text aus Männerperspektive.
Sarah Lesch ist wütend. Wut, die sich Bahn bricht nach toughen Jahren als Musikerin, als Frau, als Mutter. Als Mensch. Aufgestaute, aufgeschobene Wut. Wut, die sich nun umkehrt: in Kraft und Verständnis. In Klarheit. In Wahrheit, Unbedingtheit und: in Liebe. Das ist alles nicht neu, schon Testament, Zeitlose Kamelle und viele andere ihrer Lieder haben emanzipatorische Themen auf die Bühne getragen.
Mit ihnen hat Sarah Lesch dem Liedermachergenre in den letzten Jahren den Altherrendogmatismus ausgetrieben und den politischen Song wieder um Themen des privaten Zusammenlebens erweitert. Und dennoch geht „Triggerwarnung“ weiter als alles Bisherige.
Sarah singt von Gewalterfahrungen, von Demütigungen, von den Härten in einer zwischen Stillstand und Aufbruch, zwischen Elend und Wohlstand zerrissenen Welt. Es sind Lieder, die empowernd sind und aus der anonymen Masse Vereinzelter eine Familie aus verbundenen Geschwistern erschaffen, die ermutigt und wachgeküsst, aber vor allem gemeinsam echten Wandel bewirken können. Nie war Sarah Lesch näher bei sich selbst, nie näher bei den anderen. Nie war ihr Blick klarer, die Sprache deutlicher, die Bilder konkreter als auf „Triggerwarnung“.
In „Schweigende Schwestern“ öffnet Sarah nach Jahrzehnten der Verdrängung und Aufarbeitung auch eines ihrer eigenen Traumata, um anderen Betroffenen dysfunktionaler Beziehungen und sexualisierter Gewalt Mut zu machen und zu signalisieren: Ihr seid nicht allein!
Und um auch endlich für alle klarzustellen: Es passiert überall und ständig und es ist verdammt nochmal der größte Elefant im Raum – Jede zweite Frau in Deutschland erfährt in ihrem Leben mindestens einmal sexualisierte Gewalt. Nicht nur die Opfer sind unter uns, auch die Täter. Im Kohlenstoffalltag oder in den Kommentarspalten der Sozialen Netzwerke.
Sarah Lesch – Es schläft ein Lied (Offizielles Musikvideo)
Mit „Drunter machen wir’s nicht“ hat Sarah schließlich die Female-Empowerment-Hymne schlechthin im Gepäck – schonungslos direkt und mitreißend eingängig. Die Zeit ist nicht für milde Pointen. Aber immer für ein liebevolles Halten, ein verwegenes Augenzwinkern.
Musikalisch setzt Sarah Lesch dabei erneut auf nuanciert kongeniale Bandarrangements, die ihren Liedern und dem Charisma ihrer vielseitigen Stimme einen weiten und tiefen Raum geben.
Auch unter Coronabedingungen konnte Sarah gemeinsam mit ihrem Produzenten Erik Manouz dafür eine erstklassige Riege an internationalen Gästen versammeln, darunter auch Jazz- und Pop-Koryphäen wie Wencke Wollny und Antonia Hausmann von Karl die Große oder der preisgekrönte Pianist Johannes Bigge.
Entstanden sind Songs, deren lyrische Eindringlichkeit durch die Arrangements noch unterstrichen wird. Botschaft und musikalische Klasse stehen sich hier nicht gegenseitig im Weg, sondern verbünden sich zu einer poetischen Musik, die Ihresgleichen sucht.
Ob Sarah uns im berührenden „Ich trag Dich nach Haus“ Trost spendet, „Licht“ wirft auf das Leben in der Pandemie oder uns auch die Seele streichelt mit „Es schläft ein Lied“. „Triggerwarnung“ ist ein unbedingtes, ein unmittelbares Album. Eines mit Ausrufezeichen.
Sarah Lesch (DE, Leipzig) „Triggerwarnung“, VÖ: 19. November 2021, Label: Räuberleiter
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