Mayjia Gille ist in Leipzig keine Unbekannte; hier führt sie die Moderation ihrer Talkshow „Das Ledersofa“, gibt in der Leipziger Popgruppe „Eisvogel“ den singenden Ton an, arbeitet auch in anderen musikalischen Projekten mit Musikern, veröffentlicht seit Jahren Lyrikbände. Im Interview mit der Leipziger Zeitung (LZ) spricht sie über ihre aktuellen Projekte; Musik, Lyrik und Belletristik.
Die COVID-Pandemie hat uns immer noch in den Fängen. Beschreibe doch bitte, wie hast Du als Künstlerin und Musikerin die vergangenen 24 Monate erlebt?
Ich habe das getan, was ich immer tue. Meine Arbeit lebt ja davon, dass es in der Verborgenheit, im Ausufern mit den Materialien fern von Zuschauern entsteht. Zwar habe ich auf ein paar Live Auftritte verzichten müssen, dafür setzte ich mich mit Streams auseinander, auch mit einem etwas stärkeren Marketing, was mir ohnehin schwerfällt. Aber im Großen und Ganzen hat sich nichts negativ verändert am alltäglichen Tun. Ganz im Gegenteil: Ich konnte wunderbar in Ruhe Songs und Gedichte und Romane entstehen lassen, viele neue Bilder.
Ich habe ja auch 2020/21 noch zudem ein Stipendium in Hamburg für Malerei, dort habe ich Lesungen gehalten, neue Bilder gemalt. Und somit war ich die ganze Zeit eigentlich, Gott sei Dank, immer unterwegs. Ich bin ja ein leidenschaftlicher Gypsy, ein Spaziergänger, weil ich die Vögel und den Wald und das Meer so liebe. Also habe ich von Nord bis Süd alles durchwandert, was so geht. Nur auf andere Länder musste ich leider verzichten. Schon wieder auf mein geliebtes Finnland. Das lässt viele Gedichte, Gedanken und Lieder in mir zurück. Und zum Trotz auf Finnisch und Norwegisch. Wenn ich schon nicht dort sein kann, dann möchte ich deren Sprache wenigstens sprechen.
Fühltest Du Dich mit den vom Freistaat angebotenen Corona-Hilfen unterstützt?
Ich habe mehrere Anträge für Stipendien und Projekte eingereicht, die meisten davon sind abgelehnt worden, aber eines hat man mir bewilligt. So konnte mein Letterwomen Talk kurze Zeit weitergeführt werden, und zwar in Form von Online Interviews. Dazu ist ein Katalog entstanden. Ich habe Leipziger Künstler interviewt und das unter das Motto „Good News“ gestellt. Um einfach der mich umgebenden Negativität gesellschaftlich etwas entgegenzusetzen, nämlich das, woran ich glaube: an die Größe und Einzigartigkeit der Künstler, die ich dort vorstellte.
Dieser Tage erscheint ein neues Studioalbum von Dir und Deiner Band Eisvogel. Was bekommen wir von Euch zu hören?
Auf jeden Fall Ohrwürmer. Die meisten Songs sind in Deutsch geschrieben, aber auch englische, norwegische Texte sind dabei. Sowohl Abschiede werden dort besungen, als auch die trotzige Kraft des „dennoch“, die in die Aufrichtung geht. Auf dem Album geht es aber auch um die Freiheit, in der heutigen Zeit „vielleicht“ zu sagen. JA und NEIN.
Klingt spartanisch, nachdenklich, ambientlastig und romantisch, was wir vorab auf Deinem YouTube-Kanal zu hören bekommen, … wie ist die Idee zum Album entstanden?
Ich entwickle keine Ideen oder Konzepte für ein Album. Es entstehen einfach Songs und die werden dann auf ein Album gestellt. Bei mir ist kein Song wie der andere. Deshalb kann ich darauf verzichten, auf konzeptionell raffinierte Ideen zu setzen. Das wäre nicht mein Weg. Für mich ist es ein Vorteil: Jedes Lied ist eine eigene Oper, eine eigene Geschichte und so entsteht es ja auch.
Was das alles vielleicht noch harmonisch verbindet, ist unser Sound, der sich in Richtung Elektrodrums bewegt. Vielleicht ist das das einzig bindende Element. Das Album heißt „Alles ist in uns“ – es bezieht sich auf ein Gedicht von Ezra Pound und besagt so viel wie: „Was Du wirklich innig liebst, bleibt bei Dir und ist beständig, der Rest ist Asche“, … wie gesagt gab es viele schmerzhafte Abschiedsmomente für mich, die sich aber im Laufe der Zeit in Stärke und Gehenlassenkönnen umgewandelt haben: in ein viel freieres weiteres Atmen.
Und die andere Bedeutung ist: Es ist ja auch tatsächlich alles in uns: der Idiot und die Wissende, der gewalttätige Mensch, das Leid, der Jubelnde, Großartigkeit, der die das Kleinkarierte, unendliche Trauer und beschissene Gleichgültigkeit, Ja UND Nein. In diesem Spannungsfeld des ganzen Lebens. Wir können uns nicht beschneiden und denken, wir wären nur gut oder die anderen wären nur schlecht. Dem einen ermöglichen wir alles, dem anderen nichts. Dem einen öffnen wir die Tür, dem anderen hauen wir sie vor der Nase zu. Feindbilder sind also völlig unnütz, alles ist in uns selbst. Auch alle Möglichkeiten! Alle Arten Hoffnung. Alle Arten Lust. Auch davon erzählt die neue CD.
Die Mischung aus Noten und Lyrik ist ein ungewöhnlicher und neuer Ansatz; wir bekommen Gedichte zu hören und eine musikalische Auflösung. In „Was singen wir? – Mury“ vernehme ich ein russisches Anthem. Was hat es damit auf sich?
„Mury“ der Titel bezieht sich auf ein polnisches Freiheitslied aus den siebziger Jahren. Es hat mich sehr berührt, weil es in die heutige Zeit, auch in die Situation in Russland passt. Das Gedicht habe ich für meine Freunde in Weißrussland geschrieben. Übersetzt hat es inzwischen ein bekannter russischer Autor. Ich habe dort Freunde, um die mir manchmal bange ist, Autoren, Studenten, Intellektuelle. Und wer weiß, wann wir hier solch einen Freiheitssong noch gebrauchen können. Die Verbindung von Lyrik übergehend in Musik war schon immer meins, nun aber wird es mehr veröffentlicht.
Wie gesagt: Marketing ist nicht so ganz meine Stärke. Dazu gehört nämlich auch, ständig Dinge zu veröffentlichen. Und am Computer zu hocken, das ist für mich das Schlimmste. Ich weiß, ich muss das und mache es auch.
Aber ich gehe viel lieber in den Wald und schaue mir die Goldammer an oder auf dem Feld die Regenpfeifer, oder fahre mit dem Schlauchboot durch die Kanäle, um endlich den Eisvogel zu erwischen. Wenn ich mal ganz viel Geld habe, werde ich eine Marketingbeauftragte bezahlen, denn das ist ja ein ganz eigener Job. Ich habe so viele Songs und Gedichte, dass mir manchmal der Überblick fehlt, wie und wann und ob ich das eigentlich einer Öffentlichkeit darbieten soll.
Wen oder was besingst Du auf dem neuen Album?
Die Einsamkeit, … und das im besten Sinne. Ich muss alleine sein, um diese Arbeit zu machen, die ich mache. Es ist meine Leidenschaft, Liebe, Notwendigkeit, meine Welten, innere Reisen. Ich brauche das Zwiegespräch mit mir selbst, mit Gott und allem um mich ohne Lärm, ohne andere Menschen eben auch sehr.
Die Zweisamkeit. Die ist mir sehr wertvoll, nicht nur in Zeiten von Corona, wo man sich zeitweise tatsächlich nur zu zweit treffen konnte. Ich habe mich schon immer am liebsten zu zweit, maximal zu dritt mit Freunden getroffen.
Die Liebe. Denn es ist nicht selbstverständlich, geliebt zu werden und lieben zu dürfen, dass einen jemand ranlässt an sein Herz, Lebensalltag, an sein Innerstes, sich Dir anvertraut, zumutet … da ist, mit Dir Zeit verbringt, so ein Kind oder eine erwachsene Person – wie kostbar!
Du trittst im Oktober auch mit Deinen neuen Songs live auf; was bekommen Gäste zu sehen?
Eine klasse Band. Ich mag die Zusammenarbeit mit meinen Trompetern, meinem Gitarristen Timm Völker, mit wahrscheinlich auch Überraschungsmusikern. Das Publikum bekommt mich zu hören und natürlich zu sehen. Und natürlich gibt es Überraschungen, die ich hier nicht verrate. Gerade der Wechsel von Popmusik und lyrischen Kompositionen und Improvisation in meiner Musik, bedingt auch eine kleine Bühnenshow. Das bekommt nur das Live-Publikum …
Freut Ihr Euch, als Band wieder auftreten zu können?
Ja, denn wie gesagt sind manche Dinge nur möglich mit einem Live-Publikum, dann ergeben sie Sinn. Ich möchte dem Publikum etwas schenken und es ist ein Austausch. Insofern freue ich mich auf die Menschen, die uns begegnen und denen wir begegnen.
Welche Wünsche und Hoffnungen verbindest Du mit dem neuen Album und Euren aktuellen Konzertauftritten?
Der Wunsch sind: noch mehr Konzerte und Auftritte. Es ist schön, wenn die Fan-Gemeinde wächst, weil die Songs weitergetragen werden dürfen. Denn somit kann man auch mehr in die Öffentlichkeit bringen, was hier an Arbeit entstanden ist. Teilen, weitergeben, denn die Werke sind ja nicht dazu da, zu Hause rumzuliegen. Musik und Gedichte wollen natürlich in die Welt, Bücher wollen gelesen und angefasst werden und Lieder müssen gehört werden, damit sie trösten oder aufrütteln können. Wir Kunstschaffenden leben davon.
Natürlich wünsche ich mir, dass das Publikum mit uns in Verbindung bleibt, nach uns fragt, die neuen Songs, die in Zukunft entstehen, weiterhin genießen möchte. Das gibt mir die Basis, den Beruf ausüben zu dürfen in der Gänze. Jeder hat ja so seinen eigenen Lebensauftrag.
Denkst Du angesichts der neuen Scheibe, dass Du diesen künstlerischen Ansatz, Musik mit Lyrik zu vermischen, weiterführen willst?
Ich vermische nichts … die beiden finden immer neu zusammen wie ein Liebespaar. Zweimal 100 %. Es gibt keine besseren Hälften. Ich bestehe aus Lyrik und Musik, aber nicht jedes Lied ist vertont Lyrik. Das darf man nicht vergessen. Ein Songtext ist normalerweise kein Gedicht und umgekehrt. Ich präsentiere es zusammen, aber Lyrik ist Lyrik auch in Verbindung mit Musik. Und ein Ohrwurm ist ein Ohrwurm, weil es einen sauguten Songtext und saugute Melodie enthält.
Und ja: Es darf immer beides in meinen Konzerten und Songs sein – es gehört beides zu mir, wie rechte und linke Hand. Ich komme so mehr in die Weite, die ich für mich sehe und ich hab längst noch nicht alles so erreicht, wie ich das will, aber sonst wäre es auch kein Ziel, keine Vision. Außerdem schaffe ich mir immer neue, weit weg genug natürlich, keine Sehnsucht lebt, wenn man alles sofort erfüllen kann.
Was werden wir von Dir und Euch als Band Eisvogel 2022 zu hören und zu sehen bekommen?
Es wird auf jeden Fall nach der Veröffentlichung im Oktober noch ein zweites Album geben mit Cover Songs. Bei den Livekonzerten covere ich einige Songs von Musikern, die mir sehr, sehr am Herzen liegen. Von diesen eigenen Varianten wird es ein Album geben. Weiterhin wird es natürlich neue Songs geben und auch Lyrik-Vertonungen. Und immer auch im Sinne der veröffentlichten Bücher. 2022 wird der neue Gedichtband herauskommen und auch mein Debütroman. Darauf freue ich mich natürlich sehr, es wird auch Zeit, denn es liegt schon eine ganze Weile bei mir rum. Nun habe ich einen Verlag gefunden, der komplett dahintersteht und begeistert ist. Auf so einer Basis lässt sich viel besser arbeiten.
Album Titel: ALLES ist in uns
Release Konzert: 22.10.2021 / horns erben / 19:30 Uhr
„Beton statt Grün: Wie umweltfreundlich ist Bauen in Leipzig?“ erschien erstmals am 1. Oktober 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 95 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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