Die offizielle Wahl fehlte noch, auch wenn die Auswahljury schon am 24. November ihren Kandidaten gekürt hatte für das Amt des Leipziger Thomaskantors: Andreas Reize wird Nachfolger von Thomaskantor Gotthold Schwarz, dessen Vertrag mit der Stadt Leipzig vereinbarungsgemäß am 30. Juni 2021 endet. Um das klarzumachen, brauchte der Stadtrat am Freitag, 18. Dezember, nicht mal eine Minute.
Die Ratsversammlung folgte damit der Empfehlung der Auswahlkommission zur Nachfolge im Thomaskantorat. Der Schweizer aus Solothurn konnte wegen der Corona-Pandemie nicht persönlich bei seiner Wahl in der Sitzung am 18. Dezember dabei sein, will seinen Antrittsbesuch in Leipzig aber nachholen, sobald dies wieder möglich ist. Er folgt im Amt auf Gotthold Schwarz, der noch bis zum 30. Juni 2021 Thomaskantor bleibt.
Der Blick in die Vorlage zum Beschluss zeigt auch, dass das Amt des Leipziger Thomaskantors sehr begehrt ist: „Bis zum 3. Juni 2020 bekundeten 41 Personen ihr Interesse an der Stelle. Sechs weitere Persönlichkeiten wurde nach Abstimmung zwischen der Auswahlkommission und der Expertenkommission direkt angesprochen“, kann man da lesen, sodass dann 47 Personen aufgefordert wurden, ihre Unterlagen einzureichen.
36 meinten es wirklich erst und reichten die Unterlagen fristgerecht ein. Und das gehört durchaus zu den kleinen Besonderheiten, dass sich auch eine Frau um das Amt bewarb – und da sie ebenfalls eine offizielle Aufforderung zur Abgabe der Unterlagen bekommen hatte, deutet sich etwas an, was vielleicht erst in weiterer Zukunft wirklich werden könnte: dass der berühmte Knabenchor eines Tages auch von einer Kantorin angeleitet werden könnte.
Leipzigs Verwaltung jedenfalls scheint dafür inzwischen offen zu sein. Vielleicht braucht es einfach nur noch mehr Bewerberinnen bei der nächsten Ausschreibung. Wobei ja die Frage, warum es nicht auch einen Thomanerinnenchor gibt, im 21. Jahrhundert nur zu berechtigt ist, gerade weil an der Grundschule Anna Magdalena Bach nun einmal auch Mädchen ihre erste gesangliche Ausbildung erhalten.
Bei Andreas Reize war die Jury besonders davon beeindruckt, dass er schon Erfahrungen mit der Leitung verschiedener Knabenchöre gesammelt hat.
Die Befürwortung durch die Auswahljury:
Herr Reize ist ein hervorragend begabter Musiker.
Er wurde 1975 geboren, studierte Kirchenmusik in Bern und Winterthur-Zürich (A-Prüfung). Er absolvierte ein Studium der historischen Aufführungspraxis an der Schola Cantorum Basiliensis sowie ein Aufbaustudium Orchesterleitung an der Musikhochschule Luzern. Außerdem legte er ein Konzertdiplom im Fach Orgel, ein Lehrdiplom Klavier sowie ein Postgraduate-Studium im Fach Dirigieren ab.
Zurzeit leitet er das cantus firmus vokalensemble sowie das cantus firmus consort-Orchester (historische Instrumente), ist Musikdirektor der Oper Waldegg, seit 2007 Leiter des Knabenchores „Singknaben der St. Ursenkathedrale Solothurn“, seit 2011 Leiter des Gabrielichors Bern und Chordirektor des Zürcher Bach-Chores sowie seit 2019 Erster Gastdirigent am Theater Biel-Solothurn für den Bereich Alte Musik. Gastdirigate führten ihn zu verschiedenen namhaften Ensembles, u. a. an das Nationaltheater Mannheim.
Lehraufträge im Fach Chorleitung nahm er an der Hochschule der Künste Bern und an der Universität der Künste Graz wahr.
Herr Reize stellte in seiner Bewerbung ein umfassendes, fundiertes und schlüssiges Konzept für die zukünftige Entwicklung des Thomanerchores vor, das er in der persönlichen Vorstellung überzeugend darstellen konnte. Er verfügt über breite interpretatorische, musikwissenschaftliche und theologische Kenntnisse. Über die Geschichte und das Profil des Thomanerchores zeigt er detaillierte Kenntnisse. Die Bedeutung des Chores für die Stadt Leipzig sowie darüber hinaus weiß er in allen Facetten einzuordnen. Er hat große Achtung vor dem hohen Amt des Thomaskantors.
In der musikalischen Vorstellung zeigte Herr Reize eine ansprechende, abwechslungsreiche Probenmethodik, die durch seine reichen Erfahrungen mit einem Knabenchor geprägt ist. Er ging zugleich lobend und fordernd mit dem Chor um. Seine Vorstellungen und Ansagen bezüglich Tempo, Artikulation und Dynamik sind klar, der Probenablauf gut organisiert. Aufgrund seiner gesanglichen Ausbildung zum Altus kann er gut mit stimmlichen Problemen umgehen und durch Vorsingen Hilfestellungen geben. Hervorzuheben ist seine ausgesprochen freundliche, motivierende und zielgruppenorientierte Arbeit mit den jüngsten Thomanern.
Die Arbeit mit dem Gewandhausorchester war souverän, inspirierend und erfolgreich. Sein Dirigat war gut und absolut verständlich, sodass es in der Probenarbeit keinerlei Probleme gab. Er erwies sich als bestens orientiert über die historisch informierte Aufführungspraxis. Unter seiner Leitung ist eine erfolgreiche, moderne Weiterentwicklung der Bachinterpretation in Leipzig beim Thomanerchor zu erwarten.
Herr Reize ist ein sympathischer Mensch, der sehr gut mit anderen im Team zusammenarbeiten kann. Er verfügt über Leitungserfahrung und breites organisatorisches Wissen. Es gelang ihm, den Chor auf die Aufführung zu fokussieren und in der Andacht war der Wille zur eigenen musikalischen Gestaltung deutlich zu spüren.
Die Expertenkommission hält Herrn Reize für den mit Abstand am besten geeigneten Bewerber um das Thomaskantorat.“
Und ganz ähnlich sehen es auch der OBM und die zuständige Kulturbürgermeisterin.
„Wir freuen uns, mit Andreas Reize einen Kandidaten gefunden zu haben, mit dem wir den Aufbruch ins 21. Jahrhundert erfolgreich fortsetzen können. Wir erhoffen uns von ihm neue musikalische Impulse für die Musikstadt Leipzig und die Bachinterpretation beim Thomanerchor. Seine umfassende Ausbildung und die bisherigen Erfahrungen eröffnen neue Perspektiven für die kommenden Jahre“, sagte Oberbürgermeister Burkhard Jung.
Und Kulturbürgermeisterin und stellvertretende Vorsitzende der Auswahlkommission Dr. Skadi Jennicke: „Andreas Reize ist ein hervorragend begabter Musiker. Er stellte in seiner Bewerbung ein umfassendes, fundiertes und schlüssiges Konzept für die zukünftige Entwicklung des Thomanerchores vor. Er verfügt über breite interpretatorische, musikwissenschaftliche und theologische Kenntnisse und hat große Achtung vor dem hohen Amt des Thomaskantors.“
Der Amtsantritt von Andreas Reize in Leipzig ist für September 2021 geplant. Und vielleicht ist dann die Corona-Pandemie so weit bewältigt, dass auch die beliebten Motetten und die Weihnachtskonzerte der Thomaner in der Thomaskirche wieder mit Publikum möglich sind. Es gibt ja nur zu berechtigte Wünsche, die man für das nächste Jahr haben darf.
Ach ja, das Abstimmungsergebnis aus der Ratssitzung vom 18. Dezember noch: 49 : 0 : 0. Einstimmig.
Die Debatte im Meinungsaustausch am 16.12. und der Beschluss am 18.12.2020 im Stadtrat
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