Ostern ohne Besuch der Kirche ist für viele Familien kaum denkbar. Aber schon in den vergangenen Tagen erlebten viele Menschen, wie die Kirchen umdachten und Gottesdienste per Live-Stream anboten. Und die Corona-Pandemie zwingt jetzt auch die Thomaskirche und das Bachfest zum umdenken. Eine öffentlich besuchte Bach-Passion ist derzeit unmöglich. Was tun? Auch die Passionsmusik gibt es in diesem Jahr am Karfreitag im Internet.
Die Aufführung einer Bach-Passion in der Woche vor Ostern ist vielerorts eine – teils über 100 Jahre alte – Tradition. Viele Menschen in der ganzen Welt betrachten es als ein unverzichtbares Ritual, während der Passionszeit Bachs Vertonungen der Leidensgeschichte Jesu zu hören oder selbst zu singen. Für sie alle bedeutet das flächendeckende Entfallen der Passions-Aufführungen aufgrund der COVID-19-Pandemie den ungewohnten Verzicht auf ein hochemotionales Ereignis im musikalischen Jahreskalender.
Das Bachfest Leipzig versammelt daher die gesamte Musikwelt in Bachs Thomaskirche und ermöglicht ihr eine aktive Teilnahme an einem einzigartigen Konzertprojekt: Am Karfreitag, 10. April, erklingt zur Todesstunde Jesu (15 Uhr) eine kammermusikalische Fassung von Johann Sebastian Bachs berühmter Johannes-Passion an dessen Grab, und die globale Bach-Community ist zum Mitsingen eingeladen.
Die Übertragung erfolgt im Livestream auf dem Facebook-Channel des Bach-Archivs. MDR KULTUR und MDR KLASSIK übertragen das besondere Konzert im Netz ab 15 Uhr im Video-Livestream, zusätzlich auf Facebook und zeitversetzt im Radio um 19 Uhr sowie um Mitternacht im MDR-Fernsehen. Im Anschluss ist das Konzert in der ARD Mediathek abrufbar. Auch auf ARTE Concert wird das Konzert übertragen. Prominente Musiker unter anderem aus Malaysia, Kanada, den USA, Österreich und den Niederlanden werden zugeschaltet.
Die Aufführung wird in Zusammenarbeit mit dem Mitteldeutschen Rundfunk realisiert und durch Spenden der Stiftung Chorherren zu St. Thomae und der Neuen Bachgesellschaft e. V. ermöglicht. Unterstützt wird sie durch die Partnerschaft mit den Ludwigsburger Schlossfestspielen und weiteren Festivals, die das Konzert in ihren diesjährigen Programmen aufgrund der Pandemie nicht durchführen konnten und sich nun aktiv mit ihrem jeweiligen Publikum daran beteiligen: „BACH – We are FAMILY!“
Vor 296 Jahren, am Karfreitag des Jahres 1724, erklang Johann Sebastian Bachs „Johannes-Passion“ zum ersten Mal. Sie war das bis dato umfänglichste Werk des 1723 neu bestellten Leipziger Thomaskantors: Zwei Stunden lang folgte die Gemeinde dem musikalisch illustrierten Leiden Jesu Christi, und manch einer stimmte – gemeinsam mit dem Thomanerchor – in Bachs unsterbliche Choräle ein und zog daraus Kraft in schwierigen Zeiten. Bis heute finden Millionen Menschen weltweit Trost und Hoffnung im Musizieren und Hören dieser einzigartigen Musik.
Johann Sebastian Bach: St. John Passion (Good Friday 2020) #BachBeatsCorona
Die Passionszeit 2020 ist überschattet von der Covid-19-Pandemie. Hunderte, vielleicht tausende Aufführungen von Bachs Passionen weltweit – seit fast zwei Jahrhunderten ein Ritual für Musikliebhaber – wurden aufgrund der überall geltenden Ausgangsbeschränkungen abgesagt. Um der globalen Bach-Community dennoch die aktive Mitwirkung an einer Bach-Passion zu ermöglichen, hatte der Intendant des Bachfestes Leipzig diese Idee: Die Aufführung einer kammermusikalischen Version des Werks, produziert vom PODIUM Esslingen, musiziert von wenigen Musikern direkt an Bachs Grab in der Leipziger Thomaskirche unter Mitwirkung des amtierenden Thomaskantors Gotthold Schwarz und kostenfrei gestreamt rund um den Erdball – um Bach-Chöre und Musikfreunde aus aller Welt zum Mitsingen der Choräle einzuladen.
Prof. Dr. Michael Maul, Intendant des Bachfestes Leipzig, erklärt dazu: „Beim diesjährigen Bachfest im Juni wollten unter dem Motto ,BACH – We are FAMILY!‘ fast 50 Bach-Chöre von allen Kontinenten das größte Bach-Familienfest aller Zeiten in Leipzig feiern und auf vielfältige Weise miteinander musizieren. Wegen der Pandemie und den damit einhergehenden Grenzschließungen und Ausgangsbeschränkungen kann dies so nicht mehr stattfinden.
Deshalb wollen wir mit dem Vorziehen dieser ganz besonderen Produktion der Johannes-Passion auf den Karfreitag – die ursprünglich am 13. Juni auf dem Leipziger Marktplatz mit 5.000 Mitsängern musiziert werden sollte – zumindest einmal die globale Bach-Familie virtuell zum gemeinsamen Singen bringen: zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ich bin mir sicher: das wird für uns alle ein sehr bewegendes Ereignis werden.“
Die eigentliche Passions-Geschichte wird von nur drei Musikern vorgetragen.
Die Produktion des PODIUM Esslingen wurde 2019 als „Innovativstes Konzert des Jahres“ mit dem begehrten Opus Klassik ausgezeichnet. Der isländische Tenor Benedikt Kristjánsson erzählt darin die Leidensgeschichte Jesu auf der Basis von Bachs Passion, übernimmt dabei die Rolle des Evangelisten und aller handelnden Personen – und dirigiert zudem den virtuellen Chor.
Zu seiner Rolle erklärt er: „Vor acht Jahren war ich zum ersten Mal in der Thomaskirche in Leipzig. Ich hatte einen Blumenstrauß in der Hand und Tränen in den Augen. Beides legte ich auf Bachs Grabplatte. Seit diesem Moment habe ich davon geträumt, in der Thomaskirche zu singen. Am kommenden Karfreitag geht ein Traum in Erfüllung, unter unfassbaren Umständen. Ich bin sehr dankbar und ich hoffe, dass Bach-Liebhaber auf der ganzen Welt mit mir singen werden.“
MAKING OF Johannespassion für Tenor allein, Cembalo, Orgel und Schlagwerk
Cembalistin Elina Albach und Schlagzeuger Philipp Lamprecht übernehmen den Part des Orchesters, und für die Choräle werden – neben den fünf Sängern in der Thomaskirche um Thomaskantor Gotthold Schwarz – Künstler und Bach-Chöre, die zum Bachfest 2020 eingeladen sind, zugeschaltet. Zudem sollen alle Zuschauer daheim mitsingen. Dafür wird vom Bach-Archiv und dem Carus-Verlag ein digitales Programmheft mit Noten zum Download bereitgestellt.
Prof. Dr. Michael Maul freut sich schon auf diese Live-Schaltung: „Schon jetzt haben so fantastische Bachfest-Künstler wie Ton Koopman, Klaus Mertens, Rudolf Lutz, Miriam Feuersinger, Martin Petzold, Mitglieder des THOMANERCHOR Leipzig und die Chöre des Bachfestes Malaysia, der J. S. Bach-Stiftung St. Gallen und der Ottawa Bach Choir eingewilligt, dass sie aus ihren Wohnstuben in die Aufführung zugeschaltet werden. Ich danke allen Mitwirkenden, der Stiftung Chorherren zu St. Thomae, der Thomaskirche, der Neuen Bachgesellschaft und dem Mitteldeutschen Rundfunk für diese großartige Kooperation in schwierigen Zeiten. ,BACH – We are FAMILY!‘ – das gilt jetzt mehr denn je!“
Für David Chin, der mit den Musikern seines Bachfestes Malaysia einen Choral zur Aufführung beisteuern wird, ist die Aufführung ebenfalls von besonderer Bedeutung: „Die Musiker des Bachfestes Malaysia sind überaus dankbar, dass sie eingeladen wurden, an dieser besonderen Aufführung zur Zeit der Pandemie in Leipzig am Karfreitag virtuell mitzuwirken. Alle Choräle in Bachs Passionen haben einen sehr persönlichen reflektierenden Charakter. Derjenige, den wir singen dürfen (,O hilf, Christe, Gottes Sohn‘, BWV 245,65), passt auf besondere Weise zu der Situation, mit der die gesamte Menschheit momentan konfrontiert ist, denn der Choral beginnt mit einem Hilferuf an Christus. Das Stück erinnert uns daran, dass wir, obwohl arm und schwach, weiterhin Dank sagen werden und dem Willen Gottes unterworfen sind. Denn Jesus selbst hat alle Leiden für uns durchlebt.“
Auch Ton Koopman, Präsident des Bach-Archivs Leipzig und Träger der Bach-Medaille der Stadt Leipzig, ist begeistert: „Ich weiß, wie intensiv die Kollegen um Michael Maul in den letzten beiden Jahren an der Vorbereitung von ,BACH – We are FAMILY‘ gearbeitet haben. Wir alle haben das Bachfest herbeigesehnt. Mit Pilgern aus aller Welt wäre es wirklich herrliches ,Bach-Esperanto‘ geworden. Umso tröstlicher ist es, dass wir diese Idee nun am Karfreitag zumindest virtuell hörbar machen können. Und toll, dass ich 2020 so zumindest einmal in der Karwoche an der Aufführung einer Bach-Passion mitwirken kann!“
Mit der Aufführung soll zugleich ein Beitrag zur Unterstützung der vielen freischaffenden Musiker geleistet werden, die im kulturellen Bereich am stärksten von den Folgen der Pandemie betroffen sind. Sämtliche mitwirkenden Musiker sind Freischaffende. Zudem werden im Rahmen des Streams Spenden gesammelt. Diese werden in den kommenden Wochen und Monaten verwendet, um freischaffenden Musikern die Mitwirkung an unterschiedlichen musikalischen Darbietungen und Streaming-Formaten an Bachs Leipziger Wirkungsstätten zu ermöglichen.
Update:
Die Sendezeiten für die Johannes-Passion am Karfreitag, 11. April:
Live ab 15 Uhr auf:
www.facebook.com/bacharchiv
www.facebook.com/mdrkultur
www.facebook.com/MDRKlassik
www.mdr-kultur.de
www.mdr-klassik.de
www.arte.tv/de/arte-concert
www.arte.tv/de
im Radio um 19 Uhr auf
MDR KULTUR und MDR KLASSIK
im Fernsehen ab 23.50 Uhr im
MDR-Fernsehen
in den Mediatheken abrufbar:
www.ardmediathek.de/mdr
www.arte.tv/de/arte-concert
www.arte.tv/de
www.youtube.com (Bach-Archiv-Channel: 14.04.2020)
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Ein Spiel auf Zeit: Die neue Leipziger Zeitung zwischen Ausgangsbeschränkung, E-Learning und dem richtigen Umgang mit der auferlegten Stille
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