Auf den Keimzeit-Sänger Norbert Leisegang zu treffen, wird für einen musikinteressierten Mittvierziger mit Osthintergrund ganz schnell zu einer besonderen Zeitreise. Zurück in die letzten Tage der DDR, mitten hinein in das Gefühl von Aufbruch der 90er und anschließend direkt ins Heute. 30 Jahre Rückschau und ein aktueller Anlass: Die Band „Keimzeit“ ist wieder auf Tour, ungewöhnlich daran ist bei den spielfreudigen Brandenburgern der Anlass. Alle Songs der ersten Platte „Irrenhaus“ reisen mit und bergen eine Überraschung. Sie scheinen keinen Tag gealtert und aktuell wie einst.
Vielleicht geht es ja noch mehr Menschen so – dieses Gefühl, mehrere Leben in dieser Zeit durchlebt zu haben. Viele Stationen seither, viele Begegnungen, viele neue Eindrücke. Und nur wenig blieb dauerhaft. Keimzeit war dennoch irgendwie immer dabei, unterschwellig oft, leise im Gedächtnis. Wenn es hieß, der und er sei irgendwie um 1989 herum „aus der Zeit gefallen“, machte es pling und „Flugzeuge ohne Räder“ schoss einem durch den Kopf. Und wie oft machte es wohl „Kling, klang“, wenn man eine langgestreckte Allee entlanglief?
Norbert Leisegang ist an diesem 3. Dezember in Leipzig, Details zum Auftritt am 14.12.2018 im Täubchenthal besprechen. Zeit für ein Interview, das keines werden konnte, weil sich rasch Verstehen und ein gewisser Plauderton einschlichen.
Zeit auch, dem Kern einer Band nachzuspüren, die sich in der Ankündigung zur „Irrenhaus-Tour“ ungewohnt kämpferisch gibt, wenn es in der Ankündigung heißt: „Der Hofnarr, den Mario Zimmermann seinerzeit so spontan gezeichnet hat, zeigt uns mehr denn je, die lange Nase. Solange neue und alte Strömungen wieder zum Angriff auf humanistische Werte blasen und die eigene Kultur in Haft nehmen wollen, sind Songs wie „Irrenhaus“, „Hofnarr“, „Flugzeuge ohne Räder“ und „Mama, sag mir warum“ mehr als klingende Zeitbilder, Mahner dafür, dass man die Freiheit nicht geschenkt bekommt.“
Apropos Freiheit. Mitten hinein in die Wendewirren knallen die ersten „Keimzeit“-Lieder im Jahr 1988 auf dem DDR-Jugendsender DT64, 1990 folgt die Platte „Irrenhaus“. Für viele wird sie in einer Zeit des Kennenlernens einer anderen Gesellschaftsform zum Soundtrack der Veränderungen. Nachdenklich, fröhlich und ja – auch zum Mitsingen einprägsam nachhaltig – wird es so manchem das Album der Wendezeit.
Dabei hat alles viel früher begonnen.
Als „Keimzeit“ auftaucht, ist die Band schon lange auf Tour und in der ostdeutschen Szene bekannt. Wie lange eigentlich und wann gelang der musikalische Sprung auch über die Mauer?
Wir waren praktisch schon in den 80ern, also ab 1982 ja quasi präsent, im Ostteil Deutschlands, Und schon da gab es natürlich Veranstalter und Verbindungen, auf die haben wir uns natürlich auch in den 90er Jahren verlassen können. Also auch in Leipzig z.B. Allerdings schon in den 80ern hatten Freunde von uns aus Frankfurt am Main versucht, für uns eine Tour zu organisieren.
Also, sie hatten die schon organisiert, und da hieß es eigentlich nur noch, dass Keimzeit die Erlaubnis brauchte, das war 88/87. Und die haben wir nicht bekommen vom Kulturamt.
Also war der Draht schon auch früher da.
Der Draht war da, als wir unser Album in Berlin aufgenommen hatten, wussten wir auch dass z.B. der Jugendsender DT64 ab 89 auch unsere Musik spielt und bis in Oberfranken reingehört wurde. Und dass quasi auch durch diesen Sender und weitere Sender, die grenzüberschreitend waren, also zum Westen hin ausstrahlten, auch Keimzeit gespielt und gehört wurde.
Keimzeit und das Filmorchester Babelsberg – Kling Klang, 2010. Quelle: Youtube
Das ist dennoch ungewöhnlich, das können nicht viele Bands von sich sagen, oder? Da gibt es dann noch vielleicht Karat, die Pudys, wenn man die Ostbands vor Ende 89 betrachtet, die überhaupt so einen Draht schon hatten …
Natürlich, Karat und auch Silly wurden in ganz Deutschland gehört, ich weiß auch, dass zum Beispiel „City“ in Griechenland gehört wurde, da gabs dann so Verbindungen.
Dennoch war alles irgendwie zu eng – Also für die Musik, auch die von Keimzeit, kam die Wende einfach genau richtig, oder?
Unsere Zeit war natürlich dann Anfang der 90er, als wir das erste Album im Haus aufgenommen hatten. Wie gesagt, wir wussten damals nicht wirklich, ob das ein gutes oder ein schlechtes Album war…
Kennst du eine Band die so etwas vorher weiß?
Glücklicherweise nicht.
Das Momentum der Platte „Irrenhaus“ zu dieser Wendezeit ist rückblickend betrachtet beachtlich. Da heißt es „Die Irren ins Irrenhaus, die Schlauen ins Parlament …“ – ich hab als Hörer immer gerätselt: wen meint er jetzt wirklich? Ist es Ironie? Ist es denn heute, rückblickend gesehen, so gekommen?
Ja, das kann man sich wohl fragen. Ehrlich gesagt, wenn ich solche Songs wie Irrenhaus oder Hofnarr oder Ratten geschrieben habe, war meine Intention nicht politisch, ganz und gar nicht. Meine Intention war: Ich brauch gute Wörter, ich will einfach, dass es klingt. Dass dann natürlich bestimmte Reflexionen auch gesellschaftskritisch da mit einflossen, darüber wurde ich mir erst später bewusst.
Also stehen die Lyrik, Worte, die eine breite Fläche haben und vom Hörer interpretiert werden können, im Vordergrund?
Ja. So ist es, und ich glaube das ist nicht nur ein Keimzeit-Phänomen sondern insgesamt bei guten Texten einfach das Phänomen, oder das Gute ist, dass man nicht wirklich mit einer Intention rangeht und sagt, ich hab jetzt das Thema und das will ich unbedingt ausfüllen und quasi am Reißbrett das tue per Text, sondern mich da mit zwei, drei Schlagwörtern erst mal in Bewegung setze und dann guck ich mal, wo ich da am Ende ankomme.
Wenn es halbwegs aus einer Komposition heraus stimmt, ist es wie bei einem Gemälde auch, wenn so ein Ölgemälde stimmt von der Komposition her, dann kannst du da Blumen hinstellen und jemand stellt sich davor und ist völlig ergriffen, und so sehe ichs eben auch in der Musik. Und insofern bin ich da mehr aus dem Bauchgefühl rangegangen und ganz und gar nicht politisch. Ich hab mich so und so in den 80er Jahren für Politik gar nicht interessiert.
Das wäre die nächste Frage gewesen. Norbert Leisegang wird Diplomlehrer für Mathematik/Physik und dann arbeitet man als Traktorfahrer und Rettungsschwimmer – ist das so eine Art gesellschaftlicher Entzug zu DDR-Zeiten gewesen?
Nene (schmunzelt), das muss man dann wahrscheinlich im Kontext der Zeit sehen …
Das versuche ich gerade.
…bevor ich zum Studium antrat, war ich Traktorist in einer LPG, um ein bisschen Geld zu verdienen. Rettungsschwimmer war ich immer nebenbei, um im Sommer mir auch noch mal ein paar Penunzen dazuzuverdienen.
Aber da steht nichts von „war dann 5 Jahre Lehrer an einer Schule“. Das war ja die versteckte Frage.
Das ist richtig, wenn das die Frage ist …
Ich frage deshalb, weil es gerade in den 80ern immer mehr Menschen gab, die haben sich passiv entzogen und nicht mitgemacht, sich ein Stück rausgenommen aus der DDR-Gesellschaft. Bei Norbert Leisegang und Band steht sicher schon da einfach die Musik im Vordergrund oder wird immer stärker schon zu der Zeit, so liest sich alles, was man über diese Jahre so findet.
Genau, ich hab dann Anfang der ersten Hälfte der 80er mein Studium für Mathematik und Physik im Lehramt quasi absolviert und wusste danach, dass ich nicht Lehrer werde. Dann bin ich zur Direktorin, zum Kreisschulrat gegangen…
Das war ja nicht ganz einfach in der Zeit.
Ne, das war nicht einfach, da hatte ich ein Disziplinarverfahren an den Hacken, aber letztendlich hat man mich entlassen. Und dann hab ich quasi gejobbt ne Zeitlang und parallel dazu wusste ich aber, ich gehöre auf die Bühne. Und dann hatte ich eben auch durch meine Geschwister und verschiedene Freunde Mitstreiter gefunden. Die waren so quasi Neo-Hippies, die sich gesagt haben, „wir machen da weiter, was in den 70ern, 60ern wichtig war“.
Und dann haben wir mehr und mehr unseren Spielplan verdichtet und waren dann, soweit ich mich erinnern kann, schon in den 80ern teilweise über 120mal im Jahr auf der Bühne.
Entsteht dort schon diese Familie, diese um die Band offenkundig sehr treue Community im realen Leben? Die Konzerte sind immer gut verkauft, dagegen scheint die Resonanz im Netz (bei Facebook habt ihr mit 6.800 Fans eher kleinere Zahlen) eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Bis heute gilt Keimzeit als ausgemachte Liveband zum „Anfassen“ mit jährlich rund 60 Auftritten.
Mittlerweile, ja. Man muss dazu sagen, vielleicht dass Keimzeit auf jeden Fall eine Liveband ist, wir aber seit den 90ern auch unsere Alben aufgenommen haben und es natürlich schätzen, quasi, künstlerisch ist man mit so einer Album-Produktion sehr, sehr rege. Man überlegt sich: was nimmt man auf, was nimmt man weg, mit wem arbeitet man zusammen. Wir haben mit verschiedenen Produzenten zusammengearbeitet, die uns künstlerisch, sagen wir mal, sehr progressiv beeinflusst haben.
Das „elektromagnetische Feld“ (1998) wurde immerhin von Franz Plasa (ua. Nena, Rio Reiser und Udo Lindenberg) produziert …
Unter anderem. Und was du jetzt auch sagst mit der Resonanz. Ob man nun virtuell oder, was weiß ich, im eigentlichen Keimzeit-Umfeld bei den Konzerten Resonanz und Sympathie bekommt oder Ablehnung, das haben wir – mittlerweile ist die Band seit über 35 Jahren auf der Bühne – in allen Höhen und Tiefen bislang durchlebt, es gibt natürlich auch Leute …
Was heißt Ablehnung?
Dass bestimmte Generationen mit uns meinetwegen die 20er Lebensjahre durchlebt haben und dann Anfang 30 gesagt haben: Jetzt hab ich eine Familie, einen Job, jetzt muss ich mich um andere Dinge kümmern. Und Keimzeit – ich hab das schon so oft gehört, jetzt hör ich mir etwas anderes an, jetzt hab ich eine andere Band …
Ich nenne mal meine zwei „andere Bands“ (von vielen) aus dieser Zeit. Da stand damals im Plattenregal mit „Irrenhaus“, später noch „Im elektromagnetischen Feld“ Keimzeit neben CDs von Hans Eckardt Wenzel und Element of Crime. Dabei kamen mir vor allem Wenzel und Eure „Irrenhaus“ ähnlich aufbruchsgeladen vor: jetzt hab ich die Möglichkeit ne Platte zu machen, jetzt krieg ich Radio-Möglichkeiten. Die „Irrenhaus“ wirkte lange vorgereift oder sind da auch ganz spontane Nummern dabei, die ich nicht wahrgenommen habe?
Nein, du hast da komplett Recht. Es sind eigentlich alles Kompositionen die wir ab 1986/85 schon live gespielt haben und dann, wenn man so will, 5 oder 6 Jahre später zusammengefegt haben. Wir hatten sicher noch 30 Songs, die wir hätten aufnehmen können und auch das nächste Album „Kapitel 11“ hat sich noch vorrangig aus diesem Fundus gespeist. Und wir brauchten nur 12 oder 13 Lieder, die es ja dann bei der „Irrenhaus“ gewesen sind, da konnte man natürlich aussuchen.
Werden alle Lieder aus der Zeit bei den verbleibenden Irrenhaus-Konzerten gespielt?
Ja. Und da wir dieses Album jetzt wieder komplett im Konzert spielen, merke ich – und das ist eine subjektive Einschätzung natürlich meinerseits – dass jeder Song ein Gewicht hat, wie du auch schon sagst. Musikalisch mussten wir hier und da noch mal Hand anlegen, vielleicht ein bisschen komprimieren, weil so viel Soli wie damals werden wir wahrscheinlich nie wieder spielen können.
Aber grundsätzlich funktionieren die Songs damals wie auch heute.
Und dann gibt es natürlich ne Menge Leute, die damals in den 90ern „Irrenhaus“ so oder auch „Flugzeuge ohne Räder“ liebgeschätzt haben und es jetzt auch natürlich hören wollen. Es gibt aber auch Leute die das einfach nicht kennen, dieses Album.
Apropos: 30 Jahre ist das Album nun praktisch alt, da ist eine ganz neue Generation erwachsen geworden in der Zeit …
Genau, und die lassen sich anzünden, die hören das als neues Album, als neue Songs quasi. Sie wissen zwar, dass es ein altes Album ist, aber die lassen sich ganz schnell anstecken. Und dann merke ich, diese Songs, und das ist das schöne, dieses ersten Albums, verbinden Alt und Jung, Kenner und Nichtkenner.
Das Konzert am 14. 12. 2018 in Leipzig (1). Alle Bilder L-IZ.de
Was mir in der Vorankündigung zum Irrenhaus-Konzert aufgefallen ist, ist das fast schon kämpferische Motto: „Hier passieren wieder Dinge in diesem Land. Es geht um Humanismus und Aufklärung.“ Herzlich Willkommen nochmals also bei der L-IZ in dem Zusammenhang. Gibt es da Auslöser-Punkte, gibt’s da bestimmte Trigger-Punkte, wo ein Norbert Leisegang gesagt hat: Moment, was ist das jetzt? Was passiert hier gerade? Das geht mich was an? Oder ist es eher ein schleichender Prozess?
Ja, wenn ich sage, dass ich mich in den 80ern und in den 90ern eigentlich nicht für Politik interessiert habe, dann hat sich das in den Nullerjahren und auch jetzt in der letzten Zeit verändert – wahrscheinlich auch mit meinem Alter zusammenhängend – dass ich doch das ein oder andere wahrnehme, auch an Gesellschaftskritik.
Und sehe aber trotzdem meinen Stand als – sagen wir mal – Singer-Songwriter nicht anders als in den 80ern. Also wenn ich Songs schreibe, denke ich nicht propagandistisch. Es darf einfließen, wenn ich gesellschaftskritische Ideen oder Gedanken habe, aber ich sehe mich da nicht als politisch engagierten Songschreiber.
Aber es ist ja eine Haltung wenn man zum Leipziger Courage-Festival kommt, dort auch mit Clueso zusammen auf der Bühne durchaus deutlich wird.
Darauf wollte ich jetzt zu sprechen kommen. In der Band unterhalten wir uns sehr wohl, was im Land, was in Europa und weltweit passiert. Der eine ist auf einer Reise in Chile unterwegs gewesen, kommt zurück, ein anderer ist in der Ukraine gewesen: und dann unterhalten wir uns eigentlich mehr darüber, wo wer war und was er da erlebt hat. Und wenn wir dann eine Einladung bekommen zu „Leipzig zeigt Courage“, dann gibt es einen demokratischen Konsens in der Band und wir sagen ja.
Wir müssen jetzt nicht irgendwelche Sätze prägen und Parolen raushauen, sondern es reicht eigentlich, wenn wir mit unserer Haltung, die so und so grundlegend liberal und humanistisch ist, auf die Bühne gehen. Denn es ist glaubwürdiger, als wenn ein Leisegang plötzlich was loskrähen würde, wo man sich fragt, ja was meint der jetzt damit.
Oder, will der jetzt in die Politik?
Genau. Und das können andere besser machen, und insofern will ich damit nur sagen: Schuster, bleib bei deinen Leisten und das werd ich immer tun. Also in dem Moment, wo ich mich eben als Entertainer und Humanist sehe, dann ist das mein Genre.
Das Konzert am 14. 12. 2018 in Leipzig (2). Alle Bilder L-IZ.de
Das Grummeln der vergangenen Jahre gerade im Osten wird sicher auch an Keimzeit nicht vorbeigegangen sein. Machen wir es mal konkret: warum sind z.B. Ostdeutsche nicht wirklich sehr konstant und sehr klar für offene Grenzen?
Sind sie ja.
Sind sie ja – aber? Die Stimmungslage ist da manchmal eine andere, obwohl wir Ostdeutsche selbst erleben durften, wie sich eine Grenze öffnet und eine Mauer fiel …
Wir wünschen uns, dass sie alle für offene Grenzen sind. Sind sie nicht.
Reden wir über Zahlen: um die 25% steht die Prognose für die AfD in Sachsen. Und das ist ein deutliches Zeichen. Hat sich bei Euch bei Konzerten in Ostdeutschland in der Stimmungslage im Publikum etwas spürbar geändert? Gibt es da Signale oder ist die Keimzeit-Welt heil geblieben?
Ja und nein, also da muss ich doch differenzieren. Das eine ist, was sich jetzt mittlerweile als ganz normal anfühlt, dass Keimzeitsympathie – also ich find die Band toll, ich geh zu Konzerten – sich ablöst zu „ich lass dann mal los“. Das find ich normal. Ich bin natürlich verschnupft, wenn man mich ablehnt und Keimzeit irgendwie nicht mehr hören will. Aber ich kann es mittlerweile einordnen und sage mir, das ist menschlich, das ist ganz normal, passiert mir mit anderen Bands, mit anderen Künstlern, mit bestimmten Schauspielern auch. Das ist das eine.
Und das andere jetzt, was Ablehnung und Zuspruch betrifft: Die Stimmung ist bislang in den Konzertsälen, wie meinetwegen in Hamburg in der Markthalle, genauso smooth, geschmeidig und sagen wir mal liberal und aufmerksam wie in Leipzig. Will sagen, wahrscheinlich schaffen wir uns durch unsere Konzerte eine Blase …
Es gibt sie also – die Keimzeit-Welt.
Genau, unser eigenes Universum. Die Leute, die dahin kommen, da haben wir keine dummen Zwischenrufe, ich werd auch nicht angegriffen und ich werde auch nicht politisch „angemacht“ oder was auch immer. Man versucht sich aufeinander einzustellen. Im besten Falle funktioniert das, man ist gegenseitig aufmerksam und dann kriegt man da so ein ganzes Blumenbeet zustande für so einen Abend, wo dann jeder – Band als auch Publikum – aus der Veranstaltung rausgeht und sagt: Irgendwas ist hier gerade passiert, was total schön war.
Es ist durchaus eine Insel. Ich meine, wenn ich mich mit Freunden treffe, ist das auch eine Insel, wenn wir hier zusammensitzen, dann sind wir auch quasi eine Insel. Und sind in etwa in unseren Grundhaltungen ähnlich verortet.
Dennoch erlebt ja auch Norbert Leisegang persönlich das Meer um diese Insel herum. Also wir reden übers persönliche Erleben.
Das persönliche Erleben ist schon, dass ich bei einigen Entwicklungen, die politisch oder gesellschaftlich um mich herum passieren, ein gutes oder ein schlechtes Gefühl habe. Richtig Angst allerdings hab ich nur einmal bekommen in Brasilien, als ich dort beraubt wurde, ausgeraubt wurde. Da wurde ich von Junkies überfallen und da hab ich dann wirklich bis auf die Knochen extreme Angst gehabt. Das ist mir im Übrigen hier in Deutschland nie passiert, glücklicherweise, und insofern, also diese Grundangst ist mir nicht anheim.
Aber Angstfreiheit ist auch schon mal ein Statement.
Ich will ja gar keine Statements. Vielleicht magst du die lieber haben als ich, aber Statements haben ja oft den Makel, dass sie überzogen sind und dass sie nicht überall gelten, und da wärs jetzt Quatsch wenn ich jetzt sagen würde ich hab Angst oder ich hab keine Angst. Ich hab hier und da schon natürlich ein mulmiges Gefühl, aber das ist dann situationsbezogen. Grundsätzlich gesellschaftlich fühl ich mich in Deutschland sehr wohl, nach wie vor und ich reise. Also ich bin auch unterwegs und weiß, dass es in anderen Ländern, sagen wir mal, doch krasser zugeht als in Deutschland.
Die Kriminalitätsbelastung in Deutschland sinkt – ein lebenswertes Land also, in dem sich aber eben auch zunehmend Spannungen zeigen, wie sie auch schon in anderen europäischen Ländern zu beobachten sind. Obwohl dort vielleicht die Entwicklungen begründeter sind als gerade bei uns.
Allerdings, möchtest du z.B. jetzt in Polen leben, oder in Ungarn?
Ach, Polen schon, ja. Polen war immer mal so eine Idee, da ich da einige Ecken kenne … Das ist eine ganz andere Frage: Warum mag ich ein Land?
Genau.
Ich kenne zum Beispiel Krakau ein wenig und dachte damals: wow, einfach eine wunderschöne Stadt, die Menschen sind unfassbar freundlich …
Und dennoch gibt es auch den Katholizismus in Polen, den ich in gewissem Sinne infrage stelle: diese strikte Gläubigkeit oder auch bestimmte andere Entwicklungen in Polen, wo ich sagen würde, das ist gesellschaftlich etwas, was mir nicht gefallen würde. Aber die polnischen Menschen, also mit denen verbindet mich ne ganze Menge.
Letzte Frage und diese lautet immer: Was hab ich vergessen zu fragen, wozu du aber unbedingt noch was sagen möchtest? Vielleicht noch etwas zur Keimzeit-Leipzig-Historie im Vorfeld des Leipziger Konzertes am 14. Dezember 2018.
Ne lange Geschichte und darüber sind wir froh. Ohne dir Honig ums Maul zu streichen, will ich sagen, wir sind immer froh, wenn auch die Medien in Leipzig, also Print, Internet und auch bewegtes Bild uns bei Konzerten oder bei einem neuen Album, ob nun Retro wie Irrenhaus oder bei dem zukünftigen Album „Das Schloß“ was wir im Februar 2019 rausgeben werden, unterstützen.
Viel Erfolg im Täubchenthal und bis Anfang 2019 also. Danke für das Gespräch.
Die Band Keimzeit, Tourdaten und Infos im Netz
Keimzeit spielt am 14.12.2018 im Täubchenthal Leipzig. Restkarten an der Abendkasse.
Keimzeit mit Saxophonist Ralf Benschu auf Irrenhaus-Tour
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