Was Gerhard Gundermann wohl sagen würde? Vor fast 20 Jahren starb der „singende Baggerfahrer“ aus der Lausitz. Doch Mitglieder seiner alten Band „Die Seilschaft“ gehen seit Jahren wieder auf Tour und füllen ganze Säle. So auch Sonntagabend beim Konzert in der Alten Handelsbörse, veranstaltet vom „Anker“.
Für die treue Fangemeinde war es ein Schock, als der „singende Baggerfahrer“ Gerhard Gundermann im Juni 1998 überraschend mit nur 43 Jahren an den Folgen einer Hirnblutung starb. Geboren 1955 in Weimar, zählte „Gundi“ zu jenen, die weder im Staatssozialismus der DDR noch im wiedervereinigten Deutschland ihre politische Heimat fanden. Der unangepasste Querdenker landete nach seinem Abitur zunächst auf der Offiziershochschule der NVA in Löbau, flog dort aber raus, nachdem er sich weigerte, ein Loblied auf DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann zu singen.
Der Traum, selbst etwas für eine bessere Gesellschaftsordnung zu bewegen – gescheitert. Gundermann fand sich als Hilfsmaschinist im Lausitzer Braunkohlerevier wieder, qualifizierte sich für den Bagger, veröffentlichte daneben eigene Lieder und Kompositionen, sang mit der „Brigade Feuerstein“, arbeitete eng mit der Kultband „Silly“ zusammen. Als IM „Grigori“ trug er dem Ministerium für Staatssicherheit aber auch mehrere Jahre Informationen zu. Später bedauerte er seine „Petzberichte“, hielt gleichwohl Meldungen über korrupte Parteibonzen weiter für richtig. Wegen „prinzipieller Eigenwilligkeit“ setzten die Genossen Gundermann 1984 sowohl bei der Stasi als auch der SED vor die Tür.
Sein vorwiegend ostdeutsches Publikum verzieh ihm die persönlichen Irrwege nach 1989/90 rasch. Seit 1992 ging der Künstler neben der Beschäftigung als Baggerfahrer (bis 1997) mit seiner Band „Die Seilschaft“ auf Tour, verstand es wie kaum ein anderer, das Lebensgefühl von Melancholie, Abgehängtsein und Desillusionierung in griffige Zeilen zu verpacken.
Und das spürte man auch am Sonntagabend, als Christian Haase – Sänger der „Seilschaft“, die seit 2008 in fast gleicher Besetzung das Vermächtnis Gundermanns wieder auf die Bühne bringt – zum Ende des ersten Blocks den Song „Kann dich nicht mehr leiden“ ins Mikro schmetterte: „Du hast mich auf dein Traumschiff mitgezottelt, doch ich kann dich nicht mehr leiden. Mein alter Chef war gegen dich ein Trottel, doch ich kann dich nicht mehr leiden.“ Viele im Publikum, bestehend aus mehr als 200 Menschen vom Teenie bis zum Rentner, hielt es da schon nicht mehr auf den Sitzen.
Ähnlich ging es bei anderen, flotten Songs zu – dem Mutmacher „Herzblatt“, dem von Gundermann 1988 veröffentlichten Appell an den Planeten Erde „Halte durch“ und dem im Country-Stil umarrangierten Blick auf die Umweltschutzbewegung „Grüne Armee“.
Ruhiger wurde es dann, als etwa der Song „Die Zukunft“ die Gretchenfrage „Trifft sie mich wie ein Torpedo oder trifft sie wie ein Kuss?“ in den vollbesetzten Saal warf, „Kuba“ eine Stimmung von Endzeit und Abschied erahnen ließ oder „Vögelchen“ von Illusionen erzählte, denen wir erfolglos nachjagen, obwohl die „funkelnden Lichter“ doch faktisch direkt in uns liegen und wir sie nur mal wieder anzünden müssen.
Schmissige Lieder wie „Macht ja nischt“ und „Wenn ich wär’“ brachten dann noch einmal Leben in den Saal – und in anderen Momenten ahnte man intuitiv die Aktualität von Gundermanns Texten in unserer bewegten Zeit: „Ich mache meinen Frieden, mit all den Idioten, die die Welt behüten wollen. Mit ihren linken Pfoten, mit jedem Samurai, mit jedem Kamikaze und jedem grünen Landei und auch mit jeder Glatze, die die Welt nicht bessern können, aber möchten. Mit viel zu kurzen Messern in viel zu langen Nächten.“
Nach fast drei Stunden verließen die Besucher die Alte Handelsbörse in die kalte Nacht. Beeindruckend, wie zeitlos „Gundis“ Werke auch heute noch daherkommen, mit bittersüßer Traurigkeit, mit den einfachen Geschichten des Alltags, mit Enttäuschungen, mit Leben und Tod. Der „Seilschaft“ ist es wieder einmal gelungen, Gundermann quasi neues Leben einzuhauchen. Fast ein bisschen so, als wäre er dabei gewesen.
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