Fรผr FreikรคuferDen Termin kann man sich vormerken: 17. September, 18:30 Uhr im Werk 2. Dann kommt eine fรผnfkรถpfige Band nach Leipzig, bei der sich die Kritiker in Derwische verwandeln und mit Fachbegriffen um sich schmeiรŸen, dass es nur so kracht. Auch auf der Homepage vom Werk 2. Den Quatsch muss man nicht lesen. AuรŸerdem ist er falsch. Denn da klingt etwas ganz anderes. Und man fragt sich die ganze Zeit: Warum kommt dir das so vertraut vor?

Der Grund ist simpel. Wer den Clowns des Kritikerbusiness glaubt, man habe es hier mit Post-Rock zu tun, liegt falsch. Das hier ist echter, handfester Space-Rock. Man muss die Live-Performance der fรผnf jungen Musiker aus Leira in Portugal nicht einmal gesehen haben, um Bilder vor Augen zu haben. Denn die neue Scheibe von โ€žFirst Breath After Comaโ€œ ist ein Epos. So etwas gabโ€™s lang nicht, weil das moderne Musik-Business kaum noch Aufmerksamkeit hat fรผr die groรŸe Poesie des Rock, die einmal alle Kanรคle fรผllte und die jungen Menschen scharenweise in die Konzerte der groรŸen Bands trieb. Als diese Bands ihre neue technische Mรถglichkeit als Instrumentarium begriffen, damit richtig groรŸe, mitreiรŸende Romane in Sound zu verwandeln.

Und die Berรผhmtesten unter diesen groรŸen Erzรคhlern mit Syntheziser und E-Gitarre waren natรผrlich die Jungs von Pink Floyd. Und genau das klingt an im Hinterkopf, wenn man nun die zwรถlf Titel auf โ€žDriverโ€œ hรถrt, die eigentlich Kapitel sind in einer groรŸen, rauschenden Geschichte, in der das Meer allgegenwรคrtig ist.

Bei Pink Floyd war es ja zum Beispiel mal die groรŸe Story von der Eroberung des Weltalls in โ€žThe Dark Side of the Moonโ€œ. Die Scheibe von 1973 kann man noch immer auflegen, die Augen zumachen und abheben. Das war Space-Rock. Das ist bis heute Space-Rock. Und es ist aus den Charts verschwunden. Deswegen fiebert man mit, wenn die fรผnf jungen Portugiesen jetzt mit ihren Gitarren wieder ein groรŸes, mitreiรŸendes Poem vortragen. Poetisch nennen es einige Kritiker, weil sie รผberrascht sind, dass man noch immer derart emotionale Musik machen kann. Oder wieder. Natรผrlich war es nie ganz weg, haben Musikerinnen und Musiker gegen die stumpfe und eilige Oberflรคchlichkeit der Zeit groรŸe Kompositionen vorgelegt, die aus Konzerten ganze Weltreisen machten. Einen โ€žGroรŸen Gesangโ€œ, um mal einen Titel des chilenischen Dichters Pablo Neruda zu nennen. Denn nichts anderes ist das, was sich in โ€žDrifterโ€œ Song um Song aufbaut, mal verspielt, mal getragen und melancholisch.

Und man muss nicht mal die Songtitel lesen, um zu spรผren, dass es die ganze Zeit um die Begegnung mit dem groรŸen Atem der Welt geht, dem Rauschen der โ€žSeven Seasโ€œ, dem gleiรŸenden Himmel รผber โ€žTierra Del Fuegaโ€œ oder die lodernden Sonnenaufgรคnge in โ€žGold Morning Daysโ€œ.

Von einem โ€žWechselbad aus Melancholie, Spannung und Gรคnsehautstimmungโ€œ schreibt die Plattenfirma. Da kรถnnte man fast zustimmen. Aber ist das wirklich Melancholie? Wir verwechseln das ja heute gern nach all der Indoktrination, wir mรผssten jederzeit SpaรŸ haben, uptodate sein, jede Sekunde mit action fรผllen.

Nach der groรŸen Zeit des Rock ist irgendetwas schrecklich schiefgelaufen, haben Suppenkasper und Pausenclowns die Herrschaft รผber die Welt รผbernommen. Und der Ernst, das Fasziniertsein von einer unglaublich groรŸen und reichen Welt ist verschwunden. Ist einfach entsorgt und zugekleistert worden, wรคhrend die Schรคtze der Welt zerhackstรผckt und verramscht werden.

Nein. Es ist keine Melancholie, auch wenn da und dort auch ein Gedanke an โ€žLatin Quarterโ€œ auftaucht.

Aber hier wird nicht getrauert. Hier versuchen fรผnf junge Leute, ihre durchaus menschliche Beziehung zum Dasein und zur Welt in Sound zu fassen. Und sie kehren immer wieder zurรผck. Wie magisch angezogen von diesem Blick in das gewaltige Rauschen des Ozeans. Sie trauen sich etwas, was Kritiker so beilรคufig als โ€žpoetischโ€œ abtun, weil der grรถรŸte Teil dessen, was heute als musikalischer Krach produziert wird, mit Poesie nichts mehr gemein hat. Poesie fรคllt auf, weil sie etwas ist, was viele Menschen nicht mehr kennen: Die von reiner Faszination erfรผllte direkte Beziehung zu einem Kosmos, den wir nicht gemacht haben und der uns immer winzig bleiben lรคsst, egal, wie sehr wir uns รผberheben. Und der vor allem mit einem durch nichts gefilterten Ernst einfach da ist โ€“ auf grandiose Weise gleichgรผltig gegen uns รผberkandidelte Menschen, die glauben, sich alles aneignen und unterordnen zu kรถnnen.

Diese Fรผnf staunen wieder. Sie lassen sich diese Faszination nicht verstellen. Denn tatsรคchlich sind wir auch in unserem Ausgeliefertsein, unserer Winzigkeit Mensch. Wir mรผssen nicht alles haben. Ganz da sind wir tatsรคchlich erst, wenn wir uns ganz der GrรถรŸe und der schรถnen Unerbittlichkeit der Welt preisgeben. Und sie damit wieder gelten lassen als das, was uns geschenkt ist.

Das Leben kennt alle Facetten โ€“ vom Vertรคndelten, Tรคnzerischen bis zum andรคchtig Hymnischen. Die ganze Bandbreite versuchen die Musiker und insbesondere Sรคnger Roberto Caetano auszuloten, anklingen zu lassen, einzuweben in den Sound-Teppich, dessen Grundmelodie immer wieder aufgenommen wird. Denn all das steht ja nicht schรถn separiert nebeneinander, sondern flieรŸt mit uns. Das Bild ist jederzeit prรคsent: Wir sind Teil eine Stromes und wir sind Teil einer fortwรคhrenden Verรคnderung. โ€žHimmlische Chรถreโ€œ, meint die Plattenfirma. Aber das ist Quatsch: Das sind irdische Chรถre. Das ist wie Whitmans Grashalme vertont. Oder โ€žOn the Roadโ€œ als Reise an den Atlantischen Ozean. Space-Rock ganz elementar. Denn seit Pink Floyd wissen wir es ja eigentlich: Wir sind mitten drin in einem Kosmos, dessen Schรถnheit uns atemlos macht. Aber nur, wenn wir ihm wieder ohne Brille und Zampano-Gehabe begegnen.

First Breath After Coma โ€žDrifterโ€œ, popuprecords, Labelcode: LC 12427

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