Schon zum dritten Mal hob sich in der Semperoper am vergangenen Sonntag der Vorhang für die Premiere einer Faust-Inszenierung von Keith Warner. Nach den Faust-Opern von Berlioz und Gounod arbeitete sich der Brite diesmal an dem eher unbekannten „Doktor Faust“ des Italieners Ferruccio Busoni ab. Das Ergebnis ist ein illustrer Bilderreigen.

Ferruccio Busoni begann 1910 mit den ersten Planungen zu seinem „Doktor Faust“. Das Projekt sollte ihn bis in den Tod begleiten. Die Fertigstellung erlebte der Sohn eines italienischen Klarinettisten und einer deutschen Pianistin nicht mehr. Er verstarb am 27. Juli 1924 im Alter von 58 Jahren in Berlin. Sein Schüler Philipp Jarnach vollendete das Werk nach den vorliegenden Skizzen Busonis. Die Uraufführung fand im Mai 1925 in der Semperoper statt.

87 Jahre später steht das Werk abermals auf dem Spielplan des traditionsreichen Opernhauses. Diesmal wird die 1985 uraufgeführte Fassung von Antony Beaumont gespielt, deren Finale Busonis Ideen näherkommt als Jarnach. Im Mittelpunkt der Oper steht die Auseinandersetzung mit Fausts Charakter. Busoni reduzierte die Handlung weitestgehend auf die Gelehrtentragödie. Faust (Lester Lynch) vermacht seine Seele, wahnhaft angetrieben von Wissensdurst, an Mephistopheles (Mark Le Brocq).

Nachdem Faust in einer Kirche knapp der Rache von Gretchens Bruder (Sebastian Wartig) entrinnt, entführt ihn Mephisto nach Parma zur Hochzeit des Herzogs (Michael König) und der Herzogin (Manuela Uhl). Faust lässt sich auf eine Affäre mit der schönen Frau ein, während der Teufel nach des Doktors Seele greift.

Keith Warner setzt sich auf der Bühne assoziativ mit den literarischen Motiven aus Busonis Libretto auseinander. Die bunte Bilderflut beginnt in der frühen Neuzeit und endet im Hier und Jetzt. Der Zuschauer begegnet unter anderem den antiken Philosophen, Jesus und seinen Jüngern, Albert Einstein und einem Astronauten. Das bewegliche Säulenlabyrinth, mit dem Bühnenbildner Tilo Steffens die Szene überzogen hat, erinnert vage an vorchristliche Tempelanlagen. Sechs Tänzerinnen und Tänzer untersetzen spielerisch das Bühnengeschehen, in dem Warner mit einem Augenzwinkern der Frage nachgeht, ob der Mensch übermenschlicher Vollkommenheit gewachsen ist.

Manuela Uhl (Projektion, Herzogin von Parma), Mark Le Brocq (Mephistopheles/Ein Nachtwächter). © Jochen Quast
Manuela Uhl (Projektion, Herzogin von Parma), Mark Le Brocq (Mephistopheles/Ein Nachtwächter). © Jochen Quast

Fausts Reise zur Selbsterkenntnis startet in der mittelalterlich anmutenden Bücherstube, wo der Gelehrte mit einem neuzeitlichen Laptop die Götter beschwört. Sie führt ihn über das 18. Jahrhundert, die Zeit des Ersten Weltkriegs und die blühenden zwanziger Jahre in die Gegenwart. Am Ende der langen Reise muss Faust erkennen, dass Mephisto womöglich ein Spiegelbild seines eigenen Charakters sein könnte.

Musikalisch steht die deutschsprachige Oper in der Tradition der Musikdramen Richard Wagners. Der Spätromantiker Busoni erzeugte in der anspruchsvollen Partitur ausufernde Klangwelten, die Dirigent Tomas Netopil am Pult der Staatskapelle leider nicht zur vollen Geltung bringen kann. Insbesondere in der Vertikale wirkt das Klangverhältnis zwischen Solisten und Orchester mitunter arg unausgewogen. Zu häufig gelangen bei den zahlreichen Rezitativen von der Bühne aus nur unverständliche Halbsätze in die Weiten des Zuschauerraums, weil die Sängerinnen und Sänger nicht gegen die schiere Kraft des Orchesters ankommen. Weit weniger Schwierigkeiten bereiten Netopil die langen, düster gehaltenen sinfonischen Vorspiele und Verwandlungsmusiken, die zu den Höhepunkten des Abends zählen.

Das Solistenensemble liefert durchweg gute bis sehr gute Leistungen. Bariton Lester Lynch vermag an diesem Abend mit seiner angenehm dunklen Stimme ungeheure Luftmassen zu bewegen. Tenor Mark Le Brocq ist stimmlich stets präsent, besonders gut zu verstehen und gefällt auch mit seinen spielerischen Darbietungen. Michael König überzeugt gesanglich und darstellerisch als Herzog. Und Manuela Uhl singt die Herzogin-Partie erfreulich dynamisch und spannt dabei ungeheure Bögen. Dreieinhalb Stunden dauert der illustre Bilderreigen, der der Semperoper zur Premiere kein ausverkauftes Haus beschert hatte, aber einen Ausflug in die Landeshauptstadt allemal wert ist. Das Publikum spendete den Mitwirkenden und dem Regieteam 15 Minuten langanhaltenden Beifall.

Semperoper
Doktor Faust
Ferruccio Busoni

Nächste Termine: 20.4., 23.4., 7.5.

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