„Liebe ist ein Hund“, singt Emily Lubitz. Mit einer Stimme, die sie unter die einfühlsamsten der heutigen Folk-Sängerinnen einreiht. Ein Naturtalent. Ein Geschenk. Und eine Freude, die schon 140 Millionen Menschen kennenlernen durften, die die Sicherheitskampagne der Metro „Dumb Ways To Die“ gehört haben. Das war 2012. Dann machte das bezaubernde Trio erst mal Pause. Wegen Familienplanung. Aber jetzt kommt „Tinpan Orange“ sogar nach Leipzig.
Am Freitag, 28. Oktober, gastieren die Geschwister Emily und Jesse Lubitz und der Violonvirtuose Alex Burkoy im Werk 2. Die drei sind „Tinpan Orange“ und sie reisen derzeit mit ihrem 2015 eingespielten Album „Love is A Dog“ durch Europa. Zwischen Berlin und Offenbach machen sie den Abstecher nach Leipzig. Und für diesen Tag wird sich das Werk 2 in den eindeutigen Mittelpunkt der Leipziger Folk-Welt verwandeln. Wenn das noch Folk ist. Das weiß man ja selbst bei Sängerinnen wie Heather Nova nicht so recht. Aber Folk hat ja – zum Glück – nicht mehr die engen Grenzen, die er einst hatte, als noch irische Fiedler und schottische Dudelsackspieler die Szene dominierten. Dazu haben mittlerweile zu viele experimentierfreudige Musikerinnen und Musiker die Szene bereichert.
Und das heißt eben auch: Sie lassen Musikstile aus Nachbarwelten einfließen. Genau das tut „Tinpan Orange“ auch. Das Ergebnis: Musik, die dahinschmelzen lässt, romantisch bis zum wohligen Seufzen. Von Emilys „seidener Stimme“ schwärmt auch ihre Agentur, die ihre Tour durchs raue deutsche Land organisiert. Zum Tinpan-Orange-Sound wird das Ganze, wenn Alex Burkoys Streicher-Arrangements die Lieder in himmlische Sphären abheben lassen und Jesse seine Tremolo-Gitarre dazwischenzwischtern lässt. Heißt das so? Kann man das sagen? Das Ergebnis ist zwar aufs erste Hören hin voller romantischer Leichtigkeit. Aber dass die ganze Sache mit irdischem Hintersinn und Augenzwinkern komponiert ist, ist nicht zu überhören. Die drei sind keine Trauerklöße aus verwunschenen Pfarrhäusern. Sie kennen das Leben und singen davon. Ist ja auch nicht leicht. In Australien, wo sie her kommen, wahrscheinlich genauso wenig wie hierzulande. Wenn die Liebe schon ein entlaufener Hund ist – wer wünscht sich da nicht manchmal, ein Knochen zu sein? Sich einfach mal hingeben zu können: Fass! Und lass ja nicht wieder los!
Wenn das so einfach wäre. Aber es kann auch schiefgehen. Zum Beispiel wenn ein reicher Mann an die Tür klopft, so ein blöder reicher Schnösel, der sich alles kaufen kann – auch die Liebe. Wenn man sich reinhört in diese scheinbar so leicht hingesungenen Texte, merkt man, dass man hier drei aufmüpfige junge Leute vor sich hat, die von den romantischen Versprechungen der modernen Konsumwelt nicht allzu viel halten. „Lauf weg“, ist ihre Botschaft an die junge Dame, der ein reicher Plunderkopf derart geldklimpernde Avancen macht. Denn wenn einer sich schon übers Geld definiert, dann wird er auf die Gefühle, Wünsche und Träume der Gekauften mit ziemlicher Sicherheit keine Rücksicht nehmen. Es sei denn, sie verkauft ihre Seele.
Aber das kennt man auch in Australien sehr gut. Wer glaubt, seine Träume verwirklichen zu müssen, der geht nach Amerika. Diesem Land der unbegrenzten Verarschungen, wo ein riesiger Eiscreme-Wagen für die Träume vom Sommer steht. Blendende „Cities of Gold“. Trugschlösser. So sanft war der Abgesang an die falschen Träume von Gold, Reichtum und Amerika lange nicht.
Die eigentliche Botschaft schwingt natürlich immer mit – mal leicht ins Melancholische spielend, dann wieder so herrlich schräg, dass man beinah an die späten Beatles denken möchte – aber das Leben ist nun einmal schräg. Liebe wird enttäuscht, Träume zerplatzen. Das Leben schwingt zwischen dem kältesten Morgen und der wärmsten Nacht, „in der wir schlaflos waren, aber wahr“. Logo: Es geht um lauter schräge Beziehungskisten, manche gescheitert, manche echte Arbeit. Und dann immer diese Abschiede von den Illusionen der Jugend, in der man noch glaubte, dem Tod davonrennen zu können. Das ordinäre Leben holt einen doch wieder ein, sorgt für diese einsamen Abende, an denen man froh ist, die ganze schreckliche Welt aussperren zu können. Und trotzdem einsam ist. Verzweifelt irgendwen anrufen möchte – den Liebhaber? die Mutter?
Wie man sieht: Es sind die ganz einfachen Themen des Lebens, die einem zwischen 17 und 70 so schrecklich zu schaffen machen, diese ganzen Träume von etwas Besonderem, das sich dann als Fata Morgana herausstellt. Das Herz rennt dem Falschen hinterher. Und den man liebt, der jagt anderen Träumen nach in den Nächten. Und trotzdem gibt man nicht auf, jagt selbst – mal wie ein Leopard, mal wie ein Pfeil – dem Traum von Freiheit nach. Den trägt man nämlich mit sich herum, diesen ewigen Quälgeist. „Wir wurden nicht zur Arbeit geboren, wir wurden geboren, um zu fliegen“. Und dann? Dann überkommt uns dieses ordinäre Leben.
Natürlich wird nicht geflucht. Es klingt sogar fast beschwingt, wenn die drei das zelebrieren, eingängig, einladend. Denn schlimm ist das eigentlich nicht. Nur schrecklich ärgerlich und irdisch. Und am Ende eben doch jedes Mal wie die Musik zu einem Film, der mit einem Regen am Fluss beginnt. Oder Wind im Haar. Und endet, wenn zwei Menschen sich in die Augen schauen. „Ein wunderschönes Folk-Album“, schwärmt die Agentur.
Recht hat sie.
Und diesen wunderschönen himmlischen Folk über das ganz ordinäre, schöne Leben gibt es am Freitag, 28. Oktober, um 20 Uhr im Werk 2.
Tinpan Orange „Love is a Dog“, Popup Records
In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei
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