Leipzig feiert in jedem Jahr eine ganze Menge Höhepunkte. 500 Stück hat Andreas Schmidt, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der LTM, allein für 2016 gezählt. Allein im Mai ballen sie sich, dass es - wie alle Jahre - in keinem Hotel mehr freie Plätze geben wird: Wave Gotik Treffen, Wagner-Festtage, diesmal auch noch der 100. Deutsche Katholikentag (25. bis 29. Mai) und die Max-Reger-Festtage (8. bis 20. Mai). Max wer?
Das dürfte manchem Leipzig-Besucher in diesen Tagen über die Lippen kommen. Denn er gehört nicht zu den Ganz-Berühmten unter Leipzigs Musikern. Die Plätze halten Bach, Mendelssohn und Wagner besetzt. Wie viele Berühmte Leipzig tatsächlich im Lauf von nur 300 Jahren an sich gezogen hat, das machte Kulturbürgermeister Michael Faber am Montag, 11. Januar, deutlich. Da hatten die Stadt und die Hochschule für Musik und Theater eingeladen, um auf die Reger-Feierlichkeiten in diesem Jahr aufmerksam zu machen.
Die fallen nicht vom Himmel. Die tauchten schon 2008 auf, als der Stadtrat einen Beschluss fasste, alle möglichen Jubiläen der nächsten Jahre in einem Jubiläumsreigen zu bündeln. Das war nötig, um die Beschlussgrundlage dafür zu schaffen, dass jedes Jahr mindestens eine halbe Million Euro extra dafür bereitgestellt werden können, um diese Jubiläen zu finanzieren.
Es waren ein paar ganz große darunter, wie 200 Jahre Völkerschlacht oder 1.000 Jahre Ersterwähnung.
Aber natürlich fällt auch auf, dass sich die Musiktermine ballen. Faber zählte Mendelssohn auf (200. Geburtstag 2009), Mahler (2011), 800 Jahre “Thomana” (2012) und Wagners 200. (2013). Und – na hoppla – vergaß einfach mal den 200. Geburtstag von Robert Schumann, der 2010 dran war. Man merkte schnell: Bei all den Großen, die man – wie Wagner – auch “bei aller kritischen Betrachtung” (Faber) in die Wahrnehmung der Stadt zurückholen will, gehen etliche Große einfach unter, weil ihnen entweder die starke Lobby fehlt oder die Chefplaner einen anderen Geschmack haben.
Das trifft etwa auf Hanns Eisler zu, dessen 50. Todestag ins “Thomana”-Jahr gefallen wäre. Aber irgendwie kann man auf Leipziger Königsebene mit diesem zweiten in Leipzig geborenen weltbekannten Komponisten (der andere ist Wagner) nicht viel anfangen. Mit Reger schon.
2016 jährt sich der 100. Todestag dieses Komponisten, über den sein Kollege Paul Hindemith einst sagte: „Max Reger war der letzte Riese in der Musik. Ich bin ohne ihn gar nicht zu denken.“
Es sind solche Übertreibungen von Kollegen, die am Ende Verwirrung stiften. Das hat auch mit der Zeit zu tun. Und das frühe 20. Jahrhundert war eine närrische Zeit. Nachdem das 19. Jahrhundert quasi die Klassiker der Musik kanonisiert hatte, waren die Komponisten spätestens ab Wagner in einem regelrechten Wettbewerb verfangen, von irgendjemandem die Krone “größter Komponist der Zeit” aufgesetzt zu bekommen. Ein Spiel, das die Herren Liszt und Brahms genauso mitspielten wie Mahler und Hindemith. Wobei man sich durch das Hochloben von Kollegen in den Musikerhimmel quasi miterhob. Da war schon der Promi-Kult des heutigen Musik-Business vorweggenommen. Auch wenn es Max Reger eher nur zur Nr. 2 brachte. Gefeiert als Nr. 1 wurde Richard Strauss zu seiner Zeit.
Eine Zeitlang war er in fast jedem Konzerthaus zu hören. Und dann verschwand er für eine Weile, war eher nur noch etwas für Spezialisten. Was weniger an Reger liegt, sondern am Geschmack des Publikums, das auf ganz große Namen regelrecht versessen ist. Verdi und Mozart ziehen eben mehr als Brahms und Reger.
Was tun, fragte sich also die Leipziger musikliebende Gesellschaft. Könnte man Leipzig quasi so ein bisschen zur Reger-Stadt machen? Gestorben ist er hier ja, gelebt und gearbeitet hat er hier auch.
Dass das ein Spagat werden würde, war auch 2015 schon klar, als das Kulturdezernat zur Feier des Reger-Jubiläums 200.000 Euro bei der Stadtkasse beantragte: 110.000 Euro, um das Programm zu bezahlen, 20.000 Euro für den Festakt, 25.000 Euro für die Städtewerbung, 35.000 Euro für Plakate, Website usw. und 10.000 Euro zur Betreuung der Fachpresse und Gäste.
Man wusste durchaus, dass es passieren kann, dass dieses Jubiläum nicht allzu viele Reisende ansprechen könnte. Denn: “Max Reger, zu Lebzeiten gefeierter Organist, umstrittener Komponist und hochdekorierter Dozent, hinterlässt ein umfangreiches und vielfältiges Oeuvre, welches für viele berühmte Komponisten seiner und nachfolgender Generationen Inspiration und Vorbild war.”
Aber – aus der Vorlage von 2015 zitiert: “Die weltweite Max-Reger-Gemeinde ist in den jeweiligen Regionen eher überschaubar, erreicht in der absoluten Menge im internationalen Kontext aber beachtliche Zahlen. Darüber hinaus ist sie stark vernetzt und also gut erreichbar. Max Reger wird wohl von nahezu jedem Organisten der Welt verehrt – auch aufgrund der handwerklichen Maßstäbe, die er setzte und die heute allgemein als Messlatte dienen. (…) Es gilt, dieses ausgewählte, aber interessierte, gebildete, reisefreudige und in der Regel finanziell besser gestellte Klientel mit einer speziellen, niveauvollen, fachspezifischen Ansprache über deren eigene Kommunikationskanäle abzuholen.”
Aber was sollen dann die großen Leuchtplakate in der Städtewerbung? Ist Max Reger vielleicht doch beim Volke gut bekannt und beliebt?
“Der zweite Schwerpunkt der Werbetätigkeit richtet sich an allgemein Musikinteressierte, denen Max Reger ein Begriff ist, ohne dass profunde Werkkenntnis vorliegt. Liebhaber von Kultur und insbesondere Musik, denen die Aktivitäten zum Todestag Max Reger willkommener Anlass zu einem Besuch sein könnten, bei dem sie dann auch andere Kulturorte der Stadt besuchen. Wichtig sind die Christen der beiden wichtigsten Konfessionen, denen Leipzig als Stadt der Reformation und auch als Austragungsort des 100. Katholikentages immer wichtiger wird. Ihnen ist Reger vor allem als Kirchenmusiker bekannt.”
So wird eine Schichtentorte draus. Aber erleben dürfen es die Leipziger trotzdem. Denn Michael Faber hat sich am Erfolg der Museumsnächte ein Beispiel genommen. Für neugierige Leipziger wird es am 14. Mai die “Lange Reger-Orgel-Nacht” in mehreren Leipziger Kirchen geben. Der Eintritt ist frei und Nachtbummler können Regers Orgelwerk von verschiedenen Interpreten vorgetragen hören.
In der Reger-Festwoche vom 11. bis 20. Mai bündeln sich die Reger-Konzerte. David Timm, als wesentlicher Organisator des Jubiläums, auf die zu nennenden Höhepunkt hin angesprochen, sagt: Es sind alle welche. Man würde den Künstlern und dem Regerschen Werk Unrecht tun, wenn man auch nur ein Konzert heraushebt. Es ist also auch ein breit angelegtes Schnupperangebot an alle, die Reger noch nicht für sich einordnen können.
Los geht’s schon früher – mit den zwei Eröffnungskonzerten am 22. und 23. Januar in der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig, wo man sich freut, den einstigen Professor für Komposition so würdigen zu können. Außerdem will man noch drei CDs vorlegen mit eingespielten Reger-Stücken. Da haben sich Professoren und Studierende zusammen ans Musizieren gemacht.
Und eigentlich sollte am Montag, 11. Januar, auch schon das frisch erworbene Reger-Porträt vorgestellt werden. Es ist ein Gemälde von Lino Vesco, das möglicherweise Max Reger zeigt. So war es auch ausgezeichnet, als Michael Faber zu Weihnachten 2014 in Wien weilte und das Bild in einem Auktionshaus ausgestellt sah. Er bot mit, kaufte und schenkte das Bild dann gleich dem Stadtgeschichtlichen Museum. Doch bis zum 10. Januar gelang es nicht, die noch offenen Fragen zur Herkunft des Bildes und zum Dargestellten zu klären, so dass Zweifel blieben: Ist das wirklich der jüngere Max Reger, wie das Auktionshaus glaubte?
“Da haben wir auf die Vorstellung heute lieber verzichtet”, sagte Faber am Montag.
Die Schirmherrschaft über die Max-Reger-Festtage übernahm übrigens der ehemalige Gewandhauskapellmeister Herbert Blomstedt, der mit den beiden Gewandhaus-Konzerten am 19. und 20. Mai gleichzeitig das Finale der Festtage dirigieren wird.
Und wer sich zu den Leipziger Veranstaltungen zum Reger-Jahr informieren will, findet sie auf einer eigens erstellten Website.
Und was Reger eigentlich mit Leipzig zu tun hat, erzählen wir gleich an dieser Stelle.
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