Mit Thomas Larchers Sinfonie "Alle Tage" für Bariton und Orchester präsentierte das Gewandhausorchester am Donnerstag die erste Uraufführung in der Spielzeit 2015/16. Der internationale Pultstar Christoph Eschenbach dirigierte das Auftragswerk von Gewandhaus, Zaterdaag Matinee Amsterdam und National Symphony Orchestra Washington. Die Gesangspartie übernahm Weltstar Matthias Goerne.
Matthias Goerne ist auf den großen Bühnen dieser Welt zu Hause. Der gebürtige Weimarer singt in dieser Saison unter anderem den Orest in Strauss’ Elektra an der Wiener Staatsoper und einen Walküren-Wotan in Hong Kong. Hinzu gesellen sich Konzerte mit namhaften Klangkörpern wie dem Orchestre de Paris, London Philharmonic, Concertgebouworkest, New York Philharmonic und dem Tonhalle-Orchester Zürich. Im Sommer ist Goerne bei den Festivals in Salzburg und Verbier zu erleben.
Im Leipziger Gewandhaus interpretierte er am Donnerstag die Bachmann-Lieder, die den programmatischen Rahmen von Larchers Sinfonie bilden. Das gut 45-minütige Werk gleicht einem surrealen Klang-Experiment. Der Österreicher Thomas Larcher schöpft instrumental aus den Vollen. Alle Stimmgruppen sind in spätromantischer Tradition mehr als üppig besetzt.
Die Sinfonie besteht aus fünf Sätzen. Vier kreisen um jeweils ein Gedicht Ingeborg Bachmanns. Die “Anrufung des großen Bären”, “Mein Vogel” und “Heimweg” sind naturverbundene Texte. Larcher verpackt Bachmanns Verse in alles durchdringende Rezitative, deren Klangsprache bisweilen an Wagner erinnert. Allerdings fehlt der Begleitmusik die romantische Melodik. Larcher kreiert an aufwühlendes, sich windendes, absolut rastloses Klangbild.
Christoph Eschenbach arbeitet sich mit viel Fingerspitzengefühl und Liebe für kleinste Feinheiten durch die breite Partitur. Dennoch hat der Solist Goerne taktweise alle Mühe, gegen das berstende Orchester anzukommen. Der vierte, rein instrumentale Satz bietet dem Zuhörer laute, dramatische Zuspitzungen. Schallende Vorboten des Krieges, den das Bachmann-Gedicht “Alle Tage”, das dem Werk den Titel gab, thematisiert.
“Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt”, singt Goerne im Schlusssatz fast ein bisschen zu pathetisch. Die romantischen Anklänge sind passé. Das Werk erschöpft sich nun vollends in der zeitgenössischen Avantgarde. Als alle Töne verstummt sind, applaudiert das Gewandhauspublikum. Erst verhalten, dann leidenschaftlich. Programmatisch hat Larcher den Nerv der Zeit getroffen. Man darf gespannt sein, ob sich das Werk im internationalen Repertoire durchsetzen wird.
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