Musik ist mehr als Unterhaltung. Musik kann auch Denkanstöße liefern, Utopien in das Denken der Allgemeinheit einspeisen, weise sein. In Leipzig lebt eine junge Musikerin, die sich auf einer großen Reise befindet. Natzso ist ihr Name. Tanner fragte sie …
Guten Tag beeindruckende Natszo. Als ich gerade etwas über Dich herum recherchierte, fand ich ein Bild mit folgender Bildunterschift: “Where is the place you can be without passport?”. Eine gute Frage. Wo ist dieser Platz denn??? Ich habe das Gefühl, dass derzeit Passports wie Mauern um mich wachsen.
Ja, das Gefühl kommt grad leider auf. Natürlich hab ich auch keine Antwort darauf, wo dieser Platz sein könnte. Aber ich würde mir wünschen, dass Menschen, die da Entscheider spielen für andere Menschenleben, sich genau mit dieser existenziellen Frage einfach mal in ein stilles Kämmerlein setzen würden, um für sich selbst zu überlegen: Wo wäre ich dann? Wenn es keine Passports geben müsste, wenn es keine Grenzen gebe, wenn ich überall akzeptiert wäre? Wahrscheinlich würden sich dann Viele ihre Umgebung und ihr Leben anders “malen”.
Und vielleicht auch mit mehr Mitgefühl und Weisheit entscheiden. Und auch, wenn man da das Politische rauslässt. Ich habe die Frage ja in Zusammenhang mit dem Song “homesick” formuliert. Da singe ich: “… there lies my place, maybe my home … it is where they have to admit me without a passport.” Das kann wirklich überall sein. Da, wo man sich innerlich hinträumt in Momenten, in schlechten und in guten, das kann auch immer woanders sein. Ich mag es, in meiner Musik eben auch Utopien zu schaffen. Ich sehe schon den Ist-Zustand, frage aber auch immer, wie könnte es denn sein? Resignation finde ich schlimm.
Jetzt kommt eine richtig fiese Frage, beste Natszo – aber sie muss gestellt werden, weil dies ja hier ein zu lesendes und nicht zu hörendes Interview ist: Was ist das für Musik, die Du machst, wo kommen die Melodien her?
Ich bezeichne mich ja selber als Singer-Song-Abenteurer, einfach, weil ich mich nicht so gerne festlegen mag, vielleicht auch nicht kann. Zum einen ist es ja so, dass ich vor ca. zwei Jahren angefangen habe, zu loopen. Für die, die jetzt etwas old school fragen: hä, was ist das? Ich vervielfältige mich selbst auf der Bühne, d.h. ich nehme etwas live vor Publikum auf – und lege immer mehr Elemente darüber. So, dass es am Ende fast nach Band klingt. Vor allem kann dadurch eine schöne Mehrstimmigkeit entstehen. Das ganze war etwas aus der Not geboren. Mein Ex-Band-Partner und ich hatten uns leider nicht mehr besonders lieb, außerdem war die Distanz zum Proben plötzlich zu groß, weil ich nach Leipzig gezogen bin.
Mit dem loopen hab ich mir eine große Freiheit auf der Bühne geschaffen. Ich hab das irgendwann mal loop-beat-blues genannt, einfach wegen der Rhythmen, die ich mit Bass oder einem Hauch von Beat-Boxen erschaffe und nach allem, was ich dann stimmlich noch drauf puzzle, trotzdem am Ende immer Songs mit relativ eingängigen Melodien entstehen. Und der zweite wichtige “Schatz”, mit dem ich meine Songs komponiere, ist eine alte klassische Gitarre. Mit ihr ergeben sich atmosphärische Singer-Songwriter-Stücke, mal folkig, mal dubbig, mal … eben kleine schöne Songs.
Ich weiß, bevor sie bei mir war, ist diese Secondhand-Gitarre mal schön punkig von jemandem am Strand zerhauen worden, der Hals war gebrochen und wurde im DIY-Verfahren wieder zusammen geleimt. Wahrscheinlich klingt sie deswegen nach so viel Charakter, finde ich. Die hat schon was erlebt. Wie ein altes Haus.
Du bist ja auch bekennende Veganerin. Warum eigentlich? Und warum müssen wir doch manchmal über Ernährungsgewohnheiten reden, obwohl doch alle Menschen für sich in Anspruch nehmen, zivilisiert zu sein?
Das, was wir allein durch unsere Essgewohnheiten tun und befürworten, hat leider sowas von überhaupt nichts mit zivilisiert zu tun. Aber vielleicht ist es auch das falsche Wort. Auch hier geht es darum, sich mal wirklich kurz rauszunehmen aus seinem eigenen Alltag und genau hinzusehen, was passiert da jeden Tag parallel, während ich studieren, arbeiten, kuscheln oder mich amüsieren gehe? Jeden Tag wird Lebewesen, die genauso atmen, deren Herz genauso schlägt, die eigene Freiheit und das Recht auf Leben abgesprochen. Meistens steht am Ende dann noch ein qualvoller Tod. Und das nur, weil wir Käse essen wollen, Milch trinken, Butter und Fleisch einkaufen gehen.
Erst heute hab ich wieder jemanden bei einer Mitfahrgelegenheit getroffen, dem es nicht klar war, dass eine Kuh schwanger sein muss, damit sie Mich geben kann. Und du kannst dir nicht vorstellen, wie viele das nicht wissen. Ich hab da bis vor fünf Jahren selber nicht drüber nachgedacht, obwohl ich bis dahin schon lange Vegetarierin war. Ich empfinde uns Menschen wie Dr. Frankenstein. Allein schon, weil wir uns herausnehmen, ein weibliches Tier künstlich zu besamen, um ein neuen Leben zu erschaffen.
Im Fall der Kuh wird diese schwanger, nimmt wie jede andere Mutter Bindung zu ihrem Kind auf, während der Schwangerschaft und nur wenige Stunden oder Tage nach der Geburt wird ihr das Kind weggenommen, weil wir die Milch brauchen. Und wer das einmal gesehen hat, gehört hat, weiß wie grausam das ist. Ich meine, vor allem Eltern müssen sich das doch vorstellen können, was wir da diesen friedlichen, wunderbaren Tieren Furchtbares antun (natürlich werden die männlichen Kälber gemästet und die weiblichen werden später auch als Milchkühe ausgebeutet). Und keiner braucht zu glauben, dass es da einen Unterschied macht, ob 20 oder 200 Milchkühe, ob Bio oder nicht Bio. Auch Eier, Fleisch … alles gleich grausam.
Und das alles nur, weil wir entweder nichts wissen, weil die Werbung “so gute Arbeit gemacht hat” oder, weil wir oft auch zu bequem sind oder oder … alles nichtige Gründe. Aber auch hier ist Resignation falsch. Da werde ich nicht müde, aufzuklären und zu appellieren.
Wo kommst Du eigentlich her? Ich bekomme ja doch eigentlich recht viel mit, was geschieht in den Kellern und Clubs – aber Dich hatte ich vor einem halben Jahr noch nicht auf dem Schirm…
Aus dem tiefen, dunklen, mmh, na eigentlich aus den tiefen Gefilden von Bandarbeit und Duoperformance. Da gab’s ganz viele Aufs und Abs und obwohl ich immer schon selbst geschrieben und komponiert habe für die anderen Projekte, hat das mit dem “freischwimmen” gedauert. Jetzt hab ich mein “Seepferdchen”. Und schwimme seit knapp drei Jahren damit durch Leipzig und natürlich auch durch andere Städte.
Überall, wo Du auftrittst, fliegen Dir die Herzen zu, Menschen fühlen sich angesprochen und berührt. Gibt es auch Gegenwehr? Hast Du Erfahrungen sammeln müssen mit Schlechtmachern und Miesepetern?
Ich glaube, die Miesepeter trauen sich nicht an mich ran. Außerdem bin ich selbst mein größter Miesepeter und Schlechtmacher. Und manchmal reicht auch aus, wenn ein Freund, eine Freundin nach dem Konzert sagt: “Ja, war doch solide.” Dann weiß ich, die hab ich dann wohl eher nicht erreicht. Uff.
In der Recherche fand ich auch, dass Du Dich als Dokumentar-Journalistin verstehst. Was heißt das denn genau? Bist Du mit der Kamera filmemachend in der Arktis oder schreibst Du Bücher über kleine Orte in Brandenburg? Was machst Du da genau? Erzähl doch mal.
Ich hab mit 18 ein Praktikum beim Radio gemacht und bin bei dem Medium irgendwie hängen geblieben. Ich hab mich hingearbeitet zu Radiodokus, so nenne ich das jetzt mal. Streng genommen nennt sich so was ein “feature”. Das sind cirka 30-minütige Dokus über ein Thema oder eine Person, wo ich versuche, “genauer” hin oder rein zuschauen. Die Behandlung von Tieren und Menschen in der Gesellschaft oder besondere Kunst, ich würde grob sagen, da schau ich hin und dokumentiere. Manchmal ergibt sich aber auch was im eigenen Leben. Zum Beispiel während meiner ersten Zeit in Leipzig, da hatte ich einen Proberaum in einem Wächterhaus. In so einem Haus ist man ja Teil einer Gruppe.
Und die Dynamik, die elendlangen Plena, die Partys, die Kämpfe untereinander, das hab ich auch dokumentiert und du wirst es nicht glauben, für andere Ohren klingt so was dann am Ende wirklich interessiert. Weil die so was nicht kennen, wie Gruppe “ungeschminkt” funktioniert oder eben auch nicht funktioniert. Als ich mich und die anderen derart dauerhaft mitgeschnitten habe, war ich geschockt, wie oft wir uns alle selbst wiederholt haben, wie oft wir uns nicht zugehört haben, wie viel Nonsens man innerhalb so einer Gruppe überhaupt von sich gibt.
Und wie ist das mit einem eigenen Album??? Oder ist eigenes Album auch nur ein weiteres Stück Produkt für den Markt und Du willst das gar nicht?
Ein Album wird es geben. Auch das ist ein Prozess. Da hat das “freischwimmen” dann fast nur noch mit einem selbst zu tun. Ich bin sehr kritisch, mag keine glatt produzierten Studioalben und hoffe, dass ich meine Form der Produktion gefunden habe, bzw. weiter finde. Mehr mag ich dazu gerade nicht sagen, lieber weiter aufnehmen und nach dem Winter werde ich dann hoffentlich etwas Flaches, sehr sehr Schönes, in Karton Verpacktes in den Händen halten und in andere viele Hände geben können. Ich freue mich ehrlich wie bekloppt auf diesen Moment. Und bis dahin bietet das Netz ja auch andere Möglichkeiten, in meine Musik reinzuhören. Außerdem bin ich einfach zu einem großen Teil Live-Musikerin. Komm doch mal vorbei beim nächsten Mal
Danke, Natzso, ich mag Deine Lieder.
Danke Volly, ich mochte deine Fragen.
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