Für Leipziger Beethoven-Fans zählt dieses Konzert zu den Jahreshighlights. Das Gewandhausorchester spielt alljährlich zum Jahreswechsel die berühmte 9. Sinfonie mit dem noch viel bekannteren Schlusschor über Schillers "Ode an die Freude". Karten für die drei Konzerte kosten bis zu 150 Euro. Wer das Geld übrig hat, bekommt 2014 ein kurzatmiges Klangerlebnis geboten.

Der Kopfsatz fällt unter Riccardo Chailly depressiv-melancholisch aus. Der Italiener dramatisiert die musikalischen Spitzen der Partitur, bläst den Satz beinahe zu einem donnernden Klagelied auf. Die dunklen Klangfarben in d-Moll dürfen sich gleich mehrfach wie ein Gewitter explosionsartig entladen. Schon früh zeigt sich das hohe Tempo, das der Kapellmeister anschlägt. Die Geschwindigkeit ist an dieser Stelle noch angebracht. Noch …

Das Scherzo mit seinen berüchtigten Oktavsprüngen der Streicher gleich zu Beginn klingt bei Chailly ein wenig fragil. Der Maestro hat alle Hände voll zu tun, um aus den vielen rasant gespielten Stimmen ein rundes Ganzes zu bilden. Der Kapellmeister hebt dabei das rasante, wiederkehrende Leitmotiv hörbar hervor, das in freudigen Bläsergesang mündet – ein musikalischer Vorbote auf den euphorischen Schlusssatz. Vergessen sind die Depressionen und Mysterien, die den vorausgegangenen Satz umhüllten.

Der dritte Satz geht Chailly leicht von der Hand. Beethoven lässt die Instrumente nacheinander einsetzen, die Musik fließt vor sich hin. Der Übergang zum Schlusssatz gestaltet sich für den Kapellmeister eloquent. Keine langatmige Kunstpause. Einfach weitermachen. Das bekannte Leitmotiv nähert sich über die Celli leise, als wenn sich im Nabel des Gewandhauses ein schwarzes Loch aufgetan hätte, durch das die Töne aus einer fernen Welt zu uns hinüber schallen.

Ein gelungener Einstieg in den Höhepunkt des (kurzen) Abends, den der Maestro binnen 22 Minuten exerziert. Andere Dirigenten nehmen sich zwei, drei Minuten mehr, um die sinnliche Vollkommenheit des Kunstwerks in vollen Zügen erklingen zu lassen. Bei Chailly klingt die “Ode an die Freude” eher nach einem machtvollen D-Zug.

Beethoven verlangt für sein Finale einen gemischten Chor. Der Abend bietet mit dem Gewandhauschor, dem MDR Rundfunkchor und dem Gewandhauskinderchor gleich drei Klangkörper auf, die sich mit den Solisten den Platz auf der Orgelempore teilen. Viele Sänger erzeugen vor allem eines: Lautstärke. Die chorischen Tutti-Passagen wechseln in den Klangfarben zwischen gellendem Triumphgeschrei und pathetischem Sakralchor.

Die Solisten durchwachsen. Bassist Thomas Bauer schmettert seinen Part stakkatohaft irgendwohin in die Weiten des Raumes. Tenor Steve Davislim interpretiert Beethoven hemdsärmlig. Sopranistin Luba Orgonasova und Mezzosopranistin Iris Vermillion, die die Alt-Partie übernimmt, sind gewiss beides herausragende Sängerinnen, bleiben an diesem Abend jedoch nicht nachhaltig im Gedächtnis. Ebenso wenig Chaillys Beethoven-Interpretation. Sich dem Werk von seiner mystischen Seite her zu nähern, ist ein interessanter Zugriff, doch das hohe Tempo verhindert beinahe das jubelnde Finale.

Zwei Mal wird das Gewandhausorchester in diesem Jahr noch Beethovens “Neunte” musizieren. Die Konzerte am Dienstag und Mittwoch sind wie jedes Jahr ausverkauft. Die Aufführung an Silvester wird ab 17 Uhr im MDR Fernsehen und auf MDR Figaro live übertragen. Kälteresistente Musikliebhaber können das Konzert auf einer Leinwand auf dem Markt verfolgen.

www.gewandhaus.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar