Osteuropa-Abend im Gewandhaus: Andris Nelsons zählt zu den jüngeren Stars der Dirigenten-Szene. Seit dieser Spielzeit ist der Lette, der schon als Rattle-Nachfolger bei den Berliner Philharmonikern im Gespräch war, für fünf Jahre Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra. Landsfrau Baiba Skride konzertiert regelmäßig mit international renommierten Orchestern, hat sich aber auch mit Kammermusik einen Namen gemacht. In Leipzig ertönten am Donnerstag Werke von Prokofjew, Strawinsky und Bartók.

Im Mittelpunkt des Abends steht das 2. Konzert für Violine und Orchester von Sergej Prokofjew. Das Werk entstand im Sommer 1935, etwa zwanzig Jahre nach dem 1. Violinkonzert. Drei Sätze, konzipiert nach Prokofjews Maßstäben der “neuen Einfachheit”, die Baiba Skrides Virtuosität herausfordern.

Die Lettin begeistert die Zuhörer am Donnerstag mit einem betont geschmeidigen Vortrag. Im komplexen 2. Satz erwischt die Geigerin bei hohem Tempo jeden noch so kurzen Ton, während Nelsons Solistin und Orchester narrativ über die Musik aufeinanderzubewegt. Im streicherlastigen, tänzerisch anmutenden 3. Satz kreiert der Dirigent bei aggressivem Vortrag ein wuchtiges, hingebungsvolles Hörerlebnis.
Zuvor erklingt im Großen Saal Igor Strawinskys Ballettsuite “Petruschka”. Nelsons begibt sich auf eine fortwährende Suche nach dem besonderen Klangmoment in Strawinskys Partitur, hebt die Spitzen hervor, konstruiert Spannungsbögen. Das Orchester spielt dynamisch, ja geradezu entfesselnd, so dass die abstrakt anmutenden Melodien unter Nelsons zu einer sinnlichen Einheit zusammenfließen. Gundel Jannemann-Fischer beweist am Englischhorn ihre herausragenden Solo-Qualitäten.

Abgerundet wird der Abend mit einer weiteren, zur Suite umgearbeiteten, Ballettmusik. Béla Bartóks “Der wunderbare Mandarin” war in dieser Fassung, die 1928 erschien, der größte Erfolg vergönnt. Nelsons interpretiert das Werk als ein surreales Durcheinander disharmonischer Melodien, das von Streichern und Bläsern eine sportliche Höchstleistung abverlangt. Den Zuhörern entfaltet sich ein akustischer Thriller. Lustvoll, aggressiv, dramatisch und taktweise ohrenbetäubend: Bartók in Reinkultur.

Nächste Termine: Heute Abend 20 Uhr im Gewandhaus und am 6. Dezember in der Alten Oper, Frankfurt/M.

www.gewandhaus.de

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