Man könnte fast sagen, es sei Englische Woche bei "a cappella": Das Internationale Festival für Vokalmusik hat 2013 mit dem Orlando Consort - Experten für Alte Musik - und mit The Magnets - Profis im A-cappella-Pop-Sektor - gleich zwei britische Ensembles im Programm. Die Gastgeber amarcord wiederum widmen sich im Eröffnungskonzert des Festivals passenderweise der Goldenen Ära englischer Vokalmusik im 16. Jahrhundert.

Und das an dem Abend, an dem die zwei größten deutschen Fußballclubs in London das Champions-League-Finale austragen. Die Peterskirche ist trotz dieser Gegenveranstaltung komplett ausverkauft. Sicher, weil den treuen “a cappella”-Anhängern klar ist: Ihre amarcords sind auch diesmal meisterlich.

Sie zeigen es in einem Programm mit geistlichen Werken der beiden englischen Meister Thomas Tallis und William Byrd, wobei Byrds “Mass for Five Voices” (mit Gregorianischen Chorälen in den Propriums-Teilen versehen) von Tallis? “Lamentations of Jeremiah”-Motetten umrahmt wird. Der Hymnus “Te lucis ante terminum” von Tallis und Byrds “De lamentatione Ieremiae prophetae” schieben sich ergänzend in den Mittelteil des Abends.

Byrds fünfstimmige Messe ist in all ihren Teilen – darunter ein erhabenes Credo und ein sanftes, berührendes Sanctus und Agnus Dei – ein sich stetig weiterentwickelndes Klangwerk mit feinen Details. Dabei verleiht Byrd oft schon jedem einzelnen Sinn- bzw. Textabschnitt der einzelnen Messteile ein eigenes musikalisches Gesicht. Die ganze Vielseitigkeit des Komponisten zeigt sich auch in seiner Umsetzung der Klagelieder des Jeremia mit teils kühnen harmonischen Entfaltungen und ein paar zarten Dissonanzen.
Die Stücke des fast 40 Jahre früher geborenen Thomas Tallis? wirken im Vergleich etwas traditioneller, jedoch mit Bedacht und hohen Augen- oder besser Ohrenmaß entwickelt, was vor allem heißen will: dem Ohre schmeichelnd, aber konstant spannend.

Das Ensemble amarcord schreitet all diese verschiedenen musikalischen Strukturen in Tempo und Dynamik gezielt und passend aus. Sie singen mit Inbrunst, nicht mit Pathos, aber doch bedeutungsvoll. Und es ist einfach schön anzusehen, wie sich die fünf Sänger der Musik hingeben. Die tiefen Stimmen des Ensembles geben ein Fundament, eine Wärme ab, die englische Gruppen vielleicht so nicht haben. Wunderbar auch, wie im Aushalten der Schlussakkorde alle Einzelstimmen klar verortbar sind – trotz absoluter Homogenität. Diese zeigt sich auch einmal mehr bei den Gregorianischen Chorälen. Das nicht einmal oktavversetzt gesungene, kunstvolle Graduale “Anima nostra” erzwingt sich so einen eigentlich aufzusparenden Zwischenapplaus.

Die “a cappella”-Gemeinde gab sich dem kontemplativen Festivalauftakt dankbar hin, lauschte andächtig, nahm auf und genoss. Nun darf sie gespannt sein, was amarcords Gäste in den nächsten acht Tagen noch alles an vokaler Meisterschaft aufbieten. Mundgemachter Bandsound, Obertongesang, neue und alte A-cappella-Klänge aus aller Welt stehen an. Es wird mit Sicherheit eine aufregende Woche.
www.a-cappella-festival.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar