Die Zeit der Betrübnis ist vorbei. Jedenfalls unter den Verlegerinnen und Verlegern Mitteldeutschlands. 30 von ihnen folgten am Mittwoch, dem 19. März, der Einladung des Börsenvereins ins Haus des Buches in Leipzig, um der Presse ihre wichtigsten Neuheiten vorzustellen, mit denen sie auf der Buchmesse das lesefreudige Publikum erfreuen wollen. Anders als noch vor fünf Jahren, als die Buchmesse Opfer der Corona-Pandemie wurde.
Dabei ist die Buchmesse nun einmal der Ort, an dem man für neue Bücher Aufmerksamkeit schafft und bekommt. Und Überraschungen auch aus den mitteldeutschen Verlagen sind schon mal sicher.
Eine wird besonders Liebhaber der Thriller von Steven King interessieren. Denn dem Grimmaer Buchheim Verlag ist es gelungen, dessen Sohn Owen King ins Programm zu bekommen. Im Schatten seines berühmten Vaters hat sich nämlich auch der Sohn freigeschrieben, auch wenn er nicht so sehr im Genre seines Vaters schreibt, sondern eher in der Tradition von Charles Dickens.
Zur Buchmesse präsentiert Olaf Buchheim Kings jetzt ins Deutsche übersetzten Titel „Die Kuratorin“ (29. März, 20 Uhr im Gohliser Schlösschen). „Wir haben auch den Autor zu Gast“, sagt Buchheim. „Das wird eine ganz große Show.“
Noch viel stärker als in den Vorjahren wird in diesem Frühjahrsprogramm der mitteldeutschen Verlage sichtbar, wie sehr Geschichte zum Schwerpunkt in vielen Verlagen geworden ist. Gerade wilde und irgendwie völlig undurchschaubare historische Epochen wie die unsere wecken ganz offensichtlich die Neigung von Verlegern, Lektoren, Autoren und Lesern auf Geschichte. Man will wissen, wie die Dinge passiert sind. Vielleicht findet man da ja Antworten in früheren Ereignissen.
Etwa bei Friedrich dem Weisen, dessen Biografie „Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen“ die Evangelische Verlagsbuchhandlung jetzt vorgelegt hat. Mit Armin Kohnle hat sie ein echter Kenner der mitteldeutschen Reformationsgeschichte geschrieben, auch wenn er neben dem Schutzherrn Martin Luthers vor allem den Renaissancefürsten zeigt, der damals die Reichsgeschichte mitbestimmte.
Auch der in Bautzen heimische Domowina Verlag hat ganz tief in die Geschichtskiste gegriffen. Verleger Simon Peter Ziesch fragte in die aufmerksam gespannte Runde tatsächlich, ob alle wüssten, was 1787 passierte. Das mit der Amerikanischen Verfassung dürfte auch nicht jedem gleich eingefallen sein. Aber eigentlich ging es ihm um etwas, was man so beim Thema Lausitz nicht erwartet hatte: Ein Buch mit echten Reisebeschreibungen u.a. aus dem Jahr 1789: „Die Lausitz in Reisebeschreibungen des 18. und 19. Jahrhunderts“. Aus einer Zeit, als die Lausitz von Reisenden als ein unglaublich reiches Land erlebt wurde.

Aber noch spannender wird Geschichte ja, wenn sie auch noch in einen Krimi gepackt wird. Und genau das nutzte die in Chemnitz heimische Edition Wannenbuch mit ihrem „Papierverlag“ Paperento, um einmal zu einem richtig großen Krimi-Wettbewerb aufzurufen. Mit einer Handvoll eingesandter Manuskripte rechnete Verleger Jens Korch, aber dann schwappten gleich 120 Krimi-Manuskripte ins Haus.
Daraus konnte der Verlag dann die zwei besten auswählen. „Wer hat den Nischel geklaut“ heißt ein Titel, der zweite „Das Geheimnis des Luxor-Palastes”. Beide werden zur Messe auch in Leipzig vorgestellt. Und der Anlass dafür? Chemnitz ist in diesem Jahr Kulturhauptstadt. Da gibt eben auch ein Chemnitzer Verlag richtig Gas.

Ein Leipziger übrigens auch. Denn dass die Chemnitzer stolz sein können auf ihre Geschichte, das weiß auch Verleger Ralf C. Müller, der ja seit Kurzem neben dem Eudora Verlag auch den Tauchaer Verlag managt. Und dort hat er schon im vergangenen Jahr drei Chemnitzer Buchtitel vorbereitet – mit keinem Geringeren als Henner Kotte, dem krimiverliebten Leipziger Autor, der dann für alle so überraschend im Dezember gestorben ist.
„Aber wir hatten die Titel schon fertig“, erzählt Ralf C. Müller. Genau am Mittwoch, 19. März, kamen sie frisch aus der Druckerei. Aber nun wird Henner Kotte fehlen. Denn er war nicht nur ein begeisterter Autor, sondern auch ein begnadeter Vorleseautor, der seine Bücher selbst unters Publikum brachte.
Ganz große Geschichte bietet auch der Leipziger Universitätsverlag. Denn 36 Jahre danach steht noch immer die eigentliche deutsch-deutsche Frage im Raum. „Wie gehen wir eigentlich mit der Friedlichen Revolution um?“, fragt Verleger Dr. Gerald Diesener. Genau die Frage hat Rainer Eckert, den meisten Leipzigern noch bekannt als langjähriger, streitbarer Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums, in einer neuen, veritablen Streitschrift gestellt: „Triumph oder Niedergang einer Revolution?“
Ein Buch, das genauso aktuell ist wie die große Frage nach der Zukunft Europas, nachdem ein russischer Präsident nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat, sondern das komplette Wertegerüst der EU infrage stellt – und damit die ganze so schwer errungene Friedensordnung. Im Sammelband „Durch den Eisernen Vorhang nach Europa“ wird das Thema aus vielen verschiedenen Perspektiven beleuchtet.
Und dass Geschichte auch die nachfolgenden Generationen brennend interessiert, wird mit einer Serie deutlich, die der Klett Kinderbuch Verlag gestartet hat: „Wir Kinder von früher“. Patricia Serve stellte stellvertretend für diese Serie den von Stefan Schwarz geschriebenen Band „Der große Wurf“ vor. Ein Buch, in dem Schwarz seine eigene Kindheitsgeschichte als Sohn eines Geheimagenten erzählt.
Die jüngere Geschichte ist ganz offensichtlich genauso präsent wie die ältere. Und oft genauso wenig erforscht, wie Helmut Stadeler für den Verlag Busse & Stadeler feststellte, der nach seinem großen Band zur Leipziger Völkerschlacht nun auch einen Band zur Schlacht bei Bautzen vorlegt, die der Schlacht bei Leipzig vorausging und – mit hohen Verlusten in Napoleons Truppen – die Weiche stellte für Napoleons Niederlage bei Leipzig.
Was ja nicht ausschließt, dass man sich auch für die vielschichtige Gegenwart interessiert – und zwar die der großen, weiten Welt, in der wir alle leben.
Ein Thema, dessen sich ja schon der von Jona Krützfeld in Leipzig gegründete akono Verlag für afrikanische Literatur angenommen hat. Seit kurzem gibt es jetzt einen zweiten Leipziger Verlag, der sich Autor/-innen aus anderen Teilen der Welt widmet: In diesem Jahr ist der Orlanda Verlag von Berlin nach Leipzig umgezogen – ins Feinkostgelände an der KarLi.
Annette Michael präsentierte die jüngsten Titel von Autorinnen aus dem Verlag und umriss dessen Anspruch, der die Stimme der Welt mit den Stimmen von Frauen zusammenbringen will. Denn Geschichte ist nun einmal zur Hälfte weiblich, egal welcher Kerl da gerade durch die Weltgeschichte tobt.
Und Schlimmes anrichtet. Denn das ist ja für etliche Kerle das, was sie unter „Geschichte“ verstehen. Die Folgen tragen dann auch die Frauen. So wie in „Sie waren Neun“ von Gwen Strauss, das im Sax-Verlag erscheint. Es ist das Buch einer jungen Frau aus der Resistance, die von den Nazis ins Konzentrationslager gesperrt wurde und unter anderem bei der HASAG in Leipzig Zwangsarbeit leisten musste. Mit acht anderen Frauen gelang ihr auf dem am Kriegsende angeordneten „Todesmarsch“ die Flucht.
So endet das Buch nicht mit dem Kriegsende, sondern mit der schweren Ankunft nach dem Krieg. Und das Besondere ist, so Verlegerin Birgit Röhling: „Übersetzt haben das Buch 14 Jugendliche aus Wurzen.“ Sie wollten es unbedingt schnellstmöglich in die deutsche Sprache bringen.

Geschichte erzählt aber auch die Mini-Reihe aus dem Buchverlag für die Frau, denn die wird in diesem Jahr 40 Jahre alt, umfasst inzwischen 410 Titel. Und dabei wurde sie damals aus der Taufe gehoben, so Verlegerin Susann Jaensch, weil auch der Verlag für die Frau unter Papierknappheit litt und eine Möglichkeit suchte, trotz fehlender Papierkontingente Bücher produzieren zu können. Die Serie ist ein Erfolg bis heute und bekommt mit den Biografien von Georg Friedrich Händel und Hildegard Knef zwei neue, geschichtsträchtige Titel.
Und eigentlich ist auch das Hörbuch, für das die Leipziger Buchfunk GmbH gerade den Deutschen Hörspielpreis bekommen hat, ein Stück Geschichte: das von Frederic Böhle erzählte „Opera re:told: Die Hochzeit des Figaro“. Hier geht es zwar wirklich um Mozarts berühmte Oper.
Aber sie wird diesmal nicht eingesungen, sondern auf wirklich mitreißende Weise erzählt, wie Johannes Ackner verrät, der sich am Tag nach der Preisverleihung noch immer innigst freuen konnte, dass der Preis für „Das besondere Hörbuch“ nach Leipzig ging. Die nächste, frisch nacherzählte Oper sei schon in Vorbereitung, verriet er noch.
Aber man merkte schon: Diese Verlegerinnen und Verleger aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben nicht aufgegeben und sind mit Corona auch nicht in Depression verfallen, sondern legen auch diesmal einen Berg neuer Bücher vor, die regelrecht neugierig machen auf die Leipziger Buchmesse.
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