Biegt man links in die Gęsia-Straße ein
Grüßt freundlich ein großes braunes Tor
Dahinter prangt ein Haus aus Backstein
Aus dem Dach lugt ein Schornstein kess hervor
Und öffnet man das dunkle Eisen
Murmeln Kieselsteine „Guten Tag!“
Eins der Scharniere quietscht ganz leise
Weil es Besucher ihrer Wege fragt
Der Schotterweg gesäumt von Halmen
Getupft vom feuchten Morgentau
Der Dunst des Tages lädt zum Verweilen
Ein in die warmen Wände von jenem Haus

Rundherum, da gähnt ein alter Hof
Der sich in der Morgensonne reckt
Noch ist’s still, man vernimmt bloß
Entferntes Klimpern von Besteck
So zwitschern Vögel hier und dort
Ein paar Bälle schlafen in den Ecken
Zwei rollen zur Straße fort
Wo sie müde Menschen entdecken
Von der Eingangstür, da blättert Farbe
Dennoch sieht sie zufrieden aus
Kam nur allmählich in die Jahre
Und schaut nun etwas faltig aus

Das kühle Metall eines Türknaufs
Schmiegt sich vorsichtig in die Hand
Das Öffnen knarzt behaglich laut
Und hinter der Tür steht ein kleiner Mann
Ja, hereinspaziert, schön, dass du wieder da bist!“
Wie man so früh schon so wach sein kann
Und dass das Frühstück jetzt bereit ist
Und dann schaltet er das Flurlicht an
Kleine Kinderfüße tappeln weiter
Die schon so früh spazieren waren
Tänzelnd auf den Gängen heiter
Die sie in die Küche tragen

Dort herrscht großes Durcheinander
Zwischen Butter, Brot, Käse, Wurst
Man reicht zuvor die Hände einander
Und nach dem Hunger, kommt der Durst
Man isst und trinkt, man kaut und schmatzt
Der Mann steht seufzend im Rahmen der Tür
Man kichert und krümelt, pupst und lacht
Ein buntes Treiben zwischen Tisch und Geschirr
So, ihr Lieben, nun esst aber auf
Der Reiseleiter holt uns gleich ab
Geht in die Waschräume, putzt euch heraus
Und nehmt mit, was ihr gern bei euch habt!“

„Wo gehen wir denn hin?“, fragt ein kleiner Bub
Mit seiner Geige in seiner Hand
Mir gefällt es hier doch wirklich gut!
Solange ich nur bei dir sein kann.“
Wir fahren auf’s Land, ab in die Natur.“
Sagt der Mann und rückt seine Brille zurecht
Und es sind ja auch ein paar Tage nur
Hier in der Stadt ist die Luft so schlecht.“
Ist’s denn weit?“ will ein anderer wissen
Ein wenig schon, aber nicht zu sehr
Und du hast ja auch gerade gut gegessen
Doch schaffst’ du’s nicht, trag ich dich gern.“

„Wie viele sind es denn nun genau?“
Fragt der Reiseleiter am braunen Tor
Hundertzwanzig, ich und diese Frau.“
Sagt der Mann und geht einen Schritt dann vor
„Nein, nein, Herr K., Sie bleiben hier!
Denn Sie gehören nicht zu denen!“
Herr K., damit niemand sonst ihn hört
Senkt seine Stimme unter Tränen
„Ich bitte Sie drum und flehe Sie an,
Diese Kinder sind mein ganzes Leben
Und ich will doch nur als alter Mann
Mein eigenes für sie geben!“

Der andere rümpft seine Nase
„Dann es gibt keinen Weg zurück!“
„Das ist meine Antwort auf Ihre Frage“
Antwortet Herr K. mit eisernem Blick
Und sieht ein letztes Mal auf das Haus
„Also dann, marschieren wir ab!“
Er atmet Wehmut ein und wieder aus
Als die Gruppe sich auf den Weg begab
Moment!“, ruft der Mann in Uniform
Der Junge mit Geige führt den Zug an!“
Und er holt den kleinen Buben nach vorn
Der gerade Jarzębski zu spielen begann

Gesang, Gelächter, Tanz, und Spiel
Waren auf ihrem Weg ihr Geleit
und bis zu ihrem letzten Ziel
Ließ der Mann sie keine Minute allein
Er hätte gekonnt, aber er blieb
Und ging bis nach Treblinka mit
Hatten sie doch niemanden außer ihn
Und weil das Gas sie alle dort erstickt
Und er nichts tun konnte, um das abzuwenden
Blieb er bei seinen Kindern bis zum Schluss
In der Kammer des Schreckens zwischen tödlichen Wänden
Aus freien Stücken und nicht weil er muss

Janusz Korczak, eigentlich Henryk Goldszmit, geboren 22. Juli 1878 oder 1879, war ein bedeutender Kinderarzt und Pädagoge. Bekannt wurde er vor allem dadurch, dass er ein jüdisches Waisenhaus gründete und leitete. Am 5. August 1942 wurden im Rahmen der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ die etwa 120 Kinder des Waisenhauses von der SS zur Deportation in das deutsche Vernichtungslager Treblinka abgeholt.

Obwohl Janusz Korczak und seine Mitarbeiterin Stefania Wilczyńska wussten, dass dies den sicheren Tod bedeutete, bestanden sie darauf mitzufahren. Dieser Text soll an seine Loyalität und Zivilcourage erinnern. Auch noch heute gibt 4000 gewalttätige Übergriffe auf Menschen aufgrund ihrer Religion. In Deutschland. Jährlich. Die Tendenz ist steigend.

Janusz Korczaks Fußstapfen sind zu groß
Für dich und mich allein
Doch gemeinsam passen wir rein
Denn die Antwort auf Hass kann
Kann doch immer nur der Frieden sein

***

Die Gewinner*innen des bundesweiten Schreibwettbewerbs „Die Freiheit, die ich meine – Gewissensfreiheit“ wurden am 21. März auf einer Festveranstaltung am Leipziger Standort der Stiftung Forum Recht geehrt. Die LZ sponserte dafür den Schülergewinn. Zudem konnte bis drei Tage vor der Preisverleihung aus den Shortlist-Beiträgen online über den Publikumsliebling abgestimmt werden.

Fast 1.000 Leser*innen haben an dieser Abstimmung teilgenommen. Aus den über 860 Einsendungen verschiedenster literarischer Gattungen schafften es 40 Werke letztendlich auf die Shortlist.

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