Es ist Herbst. Zeit für gute Bücher, für kuschelige Lesungen. Für junge Lesungen, Erinnerung an berühmte Autoren, ein bisschen Streit … Ja, gibt’s auch. Obwohl es eigentlich um Literatur gehen sollte. Geht es auch. Denn die schönen Formate, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden, sind alle wieder dabei. Und zum ersten Mal kann der Literarische Herbst auch seinen Traum verwirklichen, ein echtes Angebot für Kinder und Jugendliche dabei zu haben: „Junger Herbst!“.

Denn in den vergangenen Jahren fand der Literarische Herbst meist in den Herbstferien statt – die Kinder und Jugendlichen, die man hätte erreichen wollen, waren gar nicht da. Diesmal sind die Ferien vorbei und mit dem Theater der Jungen Welt wurde ein professioneller Partner gefunden, in dessen Räumen die Veranstaltungen für Kinder, Jugendliche, Familien stattfinden können.

Den Samstag, 28. Oktober, kann man sich dafür vormerken. Dann geht es früh um 10 Uhr los im TdJW am Lindenauer Markt.

Das Selbstverständnis des Festivals für diesen besonderen Tag formuliert das Programm sehr deutlich: „Ein Festival ohne Programm für Kinder und Familien? Undenkbar! Das zu wissen, hätte es nicht mal den Schock der aktuellen IGLU-Studie gebraucht: 25 Prozent aller Viertklässler erreichen nicht das Mindestniveau beim Textverständnis, kurz gesagt: Sie können nicht richtig lesen.

Und nun? Wir sind überzeugt: Der direkte Kontakt mit Autor:innen und Illustrator:innen bietet Kindern und Jugendlichen einen außergewöhnlichen Zugang zur Literatur – egal, ob als Ergänzung zum Unterricht oder als überraschender Übertritt ins Land der Phantasie bei einer Festival-Lesung.“

Porträt Johannes Herwig. Foto: opere.in.chiaro.scuro 7
Johannes Herwig. Foto: opere.in.chiaro.scuro 7

Aber Kinder haben ja noch viel mehr Probleme. Um 10 Uhr geht es gleich los mit einem Buch, das L-IZ-Leser/-innen schon kennen: Frauke Angel stellt „Vorsicht, frisch geschieden! Ein Survival-Buch für Trennungskinder“ vor.

Um 11 Uhr lesen Johannes Herwig aus „Halber Löwe“ und David Blum aus „Kollektorgang“. Da geht es um die schöne, bittere Jugendzeit gleich nach der Deutschen Einheit. Ein Thema, das immer mehr von Autoren aufgegriffen wird: Jung gewesen zu sein in wirklich heftigen Umbruchzeiten.

Johanna Benz lädt um 16 Uhr zum Illustrations-Workshop. Und um 17 Uhr zeigt das TdJW das Stück „Der Katze ist es ganz egal“ nach dem Kinderbuch von Franz Orghandl, das L-IZ-Leser/-innen natürlich auch schon kennen.

Und Johannes Herwig, den unserer Leserschaft auch bekannt sein könnte, kommt um 19 Uhr wieder auf die Bühne. Zusammen mit der Musikerin Katharina Kollmann, der Historikerin Anna Lux und dem Moderator Cornelius Pollmer spricht er dann über das, was eigentlich Literatur und Musik der „Nachwendezeit“ heute so spannend macht.

Oder im Text dex Programms: „Wie erinnern wir eigentlich 1989? Welche Bilder haben wir im Kopf? Was beeinflusst unsere Vorstellungen von der Wende- und Nachwendezeit und vom Osten als Erfahrungsraum? Und wie hat sich diese Zeit in literarische Texte und Popsongs eingeschrieben?“

Denn um Bilder geht es immer beim Lesen. Kluge Kinder wissen das.

Alles canceln, was uns nicht passt?

Und Besucher/-innen des Literarischen Herbstes auch. Und die meisten werden sich von dem Shitstorm gegen Alice Schwarzer auch nicht abhalten lassen, die Lesung von Alice Schwarzer am 25. Oktober, 19 Uhr in der Stadtbibliothek zu besuchen. Da liest sie aus ihrer Biografie „Mein Leben“. Und vielleicht wird es kontrovers, schräg, schwierig.

Aber in was für Zeiten leben wir eigentlich, dass einfach alles gecancelt werden muss, was uns nicht passt? Was ist das für eine Kultur? Haben wir so überhaupt nichts aus unserer deutschen Verbots- und Zensurgeschichte gelernt?

Anja Kösler und Nils Kahlefendt haben am 5. Oktober ein Statement dazu veröffentlicht, warum sie Alice Schwarzer nicht einfach ausgeladen haben. Man kann es hier lesen.

Bücher können anregen zum weiteren Denken, sie öffnen Horizonte. Wäre darin alles schöne, heile Welt – kein Mensch würde mehr Bücher lesen. Sie wären stinklangweilig. Und sie wären verlogen. Sie würden negieren, dass Menschen weder perfekt noch gut noch heil sind.

Und davon erzählen natürlich auch die vielen Lesungen mit über 50 eingeladenen Gästen zu diesem Literarischen Herbst, der am Montag, dem 23. Oktober, um 18 Uhr genau mit einem solchen Buch zu genau diesem Thema in der Universitätsbibliothek startet: Susan Neimans „Links ist nicht woke“.

Porträt Susan Neiman. Foto: James Starrt
Susan Neiman. Foto: James Starrt

Und woke ist nicht links, könnte man hinzufügen. Es ist ein elitäres und akademisches Projekt, das die eigentlichen und wirklich großen Probleme unserer Gesellschaft überblendet. Ausblendet.

Junge Literatur, großes Gedenken

Und auch am Dienstag, dem 24. Oktober, treffen L-IZ-Leser/-innen gute Bekannte. Da werden ab 20 Uhr im Ost-Passage-Theater wieder die „besten ersten Bücher“ vorgestellt, also junge Autor/-innen, deren erste Bücher schon für eine gewisse Furore gesorgt haben: Beliban zu Stolberg und Dana Vowinckel und die beiden in der L-IZ schon vorgestellten Charlotte Gneuß mit „Gittersee“ und Lion Christ mit „Sauhund“.

Und weil die Organisatoren des Literarischen Herbstes gemein sind, findet genau parallel im Deutschen Literaturinstitut der „Buchsalon“ statt, wo die Journalistin und Schriftstellerin Marlen Hobrack, der Journalist und Dichter Jörg Schieke und der Dichter Patrick Wilden über „Zwischen den Zeiten leuchtet der Schnee“ von Wiete Lenk, über „Iron Woman“ von Rebecca Maria Salentin sowie über den Gedichtband „innen bröckelt die unerhörte schicht“ von Mĕrana Cušcyna sprechen. Der Leipziger Schriftsteller Jan Kuhlbrodt ist zu Gast mit seinem Roman „Krüppelpassion“.

Und es geht noch eine Spur schärfer, denn ebenso um 20 Uhr dürften alle Leute, die sich wirklich für russische Geschichte interessieren, vor der naTo Schlange stehen, wo Sebastian Wolter mit dem polnischen Journalisten Witold Szabłowski dessen neues Buch „Die Köche des Kreml“ vorstellt. Das L-IZ-Leser/-innen natürlich auch schon kennen. Es ist frisch aufgetafelt.

Wer sich bisher nur auf Alice Schwarzer fokussiert hat, sollte zumindest registrieren, dass am 26. Oktober auch der mongolische Autor Galsan Tschinag in Leipzig weilt, der inzwischen auch über seine „Leipziger Lehrjahre“ geschrieben hat. Am selben Abend kommt Daniel Kehlmann ins Haus des Buches.

Aufnahme von Wolfgang Hilbig 1983. Foto: Oltmanns
Wolfgang Hilbig 1983. Foto: Oltmanns

Und parallel gibt es auch noch einen Abend für Wolfgang Herrndorf, einem der beiden Berühmten und Verstorbenen, denen sich Veranstaltungen im Literarischen Herbst widmen. Der andere ist Wolfgang Hilbig, der am 27. Oktober im Reclam-Museum gewürdigt wird. Womit auch so beiläufig daran erinnert wird, was für beeindruckende Autorinnen und Autoren der Osten hatte – trotz alledem.

Und bevor ich hier das ganze Programm aufblättere, das wirklich Literaturbegeisterte durchaus zerreißen dürfte beim Entscheidungsprozess, wohin sie pilgern, seien noch die längst klassischen Lyrikhotels erwähnt, die dieses Jahr in der naTo, in der Möbelkooperative Süd und in der Alten Post Lindenau stattfinden.

Die komplette Übersicht über alles, was beim Literarischen Herbst zu erleben und zu erlesen ist, findet man hier.

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Es gibt 2 Kommentare

Ganz genau, lieber Autor, “es ist ein elitäres und akademisches Projekt, das die eigentlichen und wirklich großen Probleme unserer Gesellschaft überblendet. Ausblendet.” Die Frage steht, wie man die sog. Wokeness wieder loswird. Die ist trickreich unter die Menschheit gebracht worden. Aber, um Susan Neimans Haltung zu zitieren, Hoffnung darf nicht schwinden, nie.

“Aber in was für Zeiten leben wir eigentlich, dass einfach alles gecancelt werden muss, was uns nicht passt? Was ist das für eine Kultur? Haben wir so überhaupt nichts aus unserer deutschen Verbots- und Zensurgeschichte gelernt?” Nein haben wir nicht, oder hat man etwa noch russische / russischstämmige Literaten zu Gast? Bei der Gelegenheit noch schöne Grüße vom großen Kochlöffel (Edition Schmatz & Mjam) an Hagen von Julke.

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