Musikstipendien gibt es in Leipzig. Die Musikstadt wird gefeiert und beworben. Die Buchstadt taucht meist nur noch als schรถne Erinnerung auf. Dass in der Stadt aber immer noch hochkarรคtige Literatur gemacht wird, ist jenseits des Feuilletons kaum mehr wahrnehmbar. Hรถchste Zeit, dass die Stadt nach dem Vorbild anderer Stรคdte endlich einen eigenen Literaturpreis auflegt, beantragte die Grรผnen-Fraktion. Jetzt gibt es das Okay aus dem Kulturdezernat.
Dass Leipzig als alte Verlagsstadt ein hartes Pflaster fรผr Autoren ist, weiร man seit Lessing, der als Student in Leipzig war, dann aber anderswo einen Brotherrn suchen musste, weil in Leipzig kein Auskommen zu finden war. Und das blieb fรผr viele begabte Autoren und Autorinnen bis heute so. Dass der Dichter Andreas Reimann gerade den Lessing-Preis bekommen hat, ist sogar ein echter Lichtblick. Es wird also noch wahrgenommen, was hier an hochkarรคtigem Lesestoff entsteht.
Aber wo andere Stรคdte stolz sind auf ihre Stadtschreiber โ Dresden zum Beispiel โ hat die alte Buchstadt so etwas nicht einmal in Ansรคtzen. Das soll sich รคndern.
โDer Oberbรผrgermeister wird beauftragt, bis zum 2. Quartal 2023 ein Fรถrderinstrument (Preis oder Stipendium) zu konzipieren, welches die literarische Strahlkraft der Stadt Leipzig unterstรผtzt. Die konzeptionelle Arbeit erfolgt in Kooperation mit der Wolfgang Hilbig Gesellschaft sowie anderen Akteuren der Leipziger Literaturlandschaft und setzt damit die geleistete Vorarbeit fortโ, schlรคgt jetzt das Kulturdezernat vor. โDie namentliche Gestaltung soll eine Ehrung des Schriftstellers Wolfgang Hilbig verdeutlichen.โ
Die Vorlage aus dem Kulturdezernat.
Wolfgang Hilbig (1941-2007) war einer jener talentierten Autoren, die wie Andreas Reimann nicht nur in Leipzig lebten und schrieben, sondern auch die Gnadenlosigkeit einer Staatsmacht erlebten, die gern drakonisch zuschlug, wenn jemand nicht schrieb wie erwรผnscht.
Er war auch Teilnehmer jener legendรคren Stauseelesung, die fรผr ihre Teilnehmer so einschneidende Folgen hatte.
Ein Preis mit so einem Namen hรคtte also in der aufmรผpfigen Stadt Leipzig ein doppeltes Gewicht.
Aber wer soll es organisieren?
โZiel ist die Etablierung eines Fรถrderinstruments, um damit die literarische Strahlkraft der Stadt Leipzig zu erhรถhen. Mit dem Format soll Wolfgang Hilbig geehrt werden. Er ist einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren des ausgehenden 20. Jahrhunderts, der in verschiedenen Lebensphasen in Leipzig gelebt und gearbeitet hat. Das Kulturamt befindet sich hierzu seit 2021 mit der Wolfgang Hilbig Gesellschaft e.V. und anderen Akteuren der Leipziger Literaturlandschaft in einem engen Austausch. Die Initiative ging hierbei von der Wolfgang Hilbig Gesellschaft e.V. ausโ, so das Kulturdezernat.
โDie Wolfgang-Hilbig-Gesellschaft e. V. (WHG) hat der Stadt Leipzig 2016 den Vorschlag unterbreitet, mit der Etablierung eines Preises an die literarische Leistung des Schriftstellers Wolfgang Hilbig zu erinnern.โ
Und dann?
Dann mahlten die Mรผhlen.
โDer Vorschlag wurde 2018 mit einem Konzept fรผr einen Literaturpreis untersetzt und innerhalb der Stadtverwaltung eingehend geprรผft und mit dem Verein mehrfach besprochen. Im Ergebnis legte der Verein 2020 ein Konzept vor, dass die Etablierung eines Wolfgang-Hilbig-Stipendiums als Stadtschreiber/Stadtschreiberin in Leipzig vorsahโ, heiรt es weiter.
โDie WHG ging in ihrem Konzept davon aus, dass die Stadt Leipzig die gesamte Verantwortung fรผr alle in diesem Zusammenhang entstehenden organisatorischen Aufgaben รผbernimmt. Alternativ wurde im Kulturamt (KA) erwogen, dass sich aus dem Kreis der Leipziger Literaturszene eine Arbeitsgruppe bildet oder ein Verein sich bereit erklรคrt, fรผr die Organisation (Ausschreibung, Auswahl, Veranstaltung zur Preisvergabe, Betreuung der Stipendiaten wรคhrend des Aufenthalts in Leipzig und Vorbereitung und Durchfรผhrung der รถffentlichen Veranstaltungen) zu sorgen.โ
Und wieder ging Zeit ins Land: โAm 17.06.2021 fand im Haus des Buches ein Workshop mit einem breiten Kreis von Personen der Leipziger Literaturszene zur mรถglichen Implementierung eines Stipendiums zu Ehren von Wolfgang Hilbig statt.โ
Ohne Ergebnis. Denn dann trat das groรe Wundern in der Verwaltung ein: โBislang gibt es noch keinen Trรคger, der die Umsetzung des Fรถrderformats verantworten kann. Eine rein ehrenamtliche Struktur wird fรผr die Durchfรผhrung eines Stipendiums und der gewรผnschten รผberregionalen Ausstrahlung insbesondere hinsichtlich der รffentlichkeitsarbeit seitens des Kulturamts nicht angestrebt.โ
Denn wer die Leipziger Literaturszene nicht wirklich ausreichend fรถrdert, wird auch keinen Literaturverein finden, der so eine Aufgabe so nebenbei stemmen kann.
Blieb also wieder nur die Wolfgang-Hilbig-Gesellschaft.
โDie WHG hat sich intensiv um eine Kofinanzierung durch Drittmittelgeber bemรผht. Damit wurde ein Wechsel des Fรถrderformats von einem Literaturstipendium hin zu einem Literaturpreis angestrebtโ, war also das nรคchste Ergebnis. Und alles zielt jetzt auf die Einrichtung einer Stadtschreiberstelle.
Also doch eine Stadtschreiberstelle
โEin Literaturstipendium, das von einer Kommune vergeben wird, heiรt in der i. d. R. Stadtschreiberstipendiumโ, schreibt das Kulturdezernat. โEin solches oder ein รคhnliches stipendienfinanziertes Format existiert bisher in Leipzig nicht.โ
Mittel dafรผr stehen รผbrigens auch noch nicht bereit: โFรผr die Realisierung des Fรถrderinstruments ist ein Konzept erforderlich, das im 2. Quartal 2023 vorgelegt werden soll. Die weitere Umsetzung ist von der Bereitstellung der notwendigen Mittel abhรคngig.โ
Die Stadt verweist zwar auf die von anderen Institutionen verliehenen Preise wie den Erich-Loest-Preis, den Leipziger Buchpreis zur Europรคischen Verstรคndigung und den Preis der Leipziger Buchmesse. Alle ordentlich dotiert, aber auรerhalb der Entscheidungsbefugnis der Stadt.
Und sie strahlen dementsprechend auch so gut wie gar nicht auf die Stadt zurรผck. Denn Ziel soll sein: โLeipzig sollte mit dem Preis oder dem Stipendium eine รผberregionale Wirkung anstreben und keine geographischen oder biographischen Einschrรคnkungen bei den Ausschreibungsbedingungen setzenโ, schreibt das Kulturdezernat.
Und betont: โVoraussetzung fรผr die Vergabe ist ein Konzept inkl. eines Zeit- und Finanzplanes. Daneben sollte ein Statut zur Arbeit der Jury und zur Vergabepraxis des Stipendiums etc. erstellt werden. โ Diese Vorplanungen werden voraussichtlich in der ersten Jahreshรคlfte 2023 abgeschlossen.โ
Das muss dann noch vom Stadtrat beschlossen werden.
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