In ihrem Roman-Debüt „Wölfe vor der Stadt“ zeichnet Ulrike Serowy eine von Leipzig geprägte Stadtlandschaft, in der sich ihre Figuren auf der Suche nach dem Sinn umtaumeln. Im Interview erzählt die in Köln lebende Autorin über ihre Beziehung zur Stadt und das gespaltene Verhältnis des modernen Menschen zur Natur.
Landschaften, die ausfasern. Risse an den Rändern geben Raum frei, in den die Natur eindringt, den die Natur sich zurückerobert. In den Leben und den Lebensräumen der Protagonisten, die Ulrike Serowy in ihrem literarischen Schaffen zumeist an der Welt leiden lässt, tut sie das mit heftiger Sprengkraft.
So auch in „Wölfe vor der Stadt“, dem ersten Roman der in Köln lebenden Autorin – erschienen im Februar in der Edition Outbird.
In Bezug auf Serowys Novelle „Skogtatt“ schrieb das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bereits im Jahr 2013 treffend: „Das Herz ihrer Sprache pumpt warmes salziges Blut ins Erzählte, dann gefriert es in Minimalismus und kühlster Beschreibung, dann aber kehrt es wieder als entgrenzter, verwandelter, nie gehörter Takt.“ Für das Roman-Debüt dürfen diese Worte neun Jahre später ebenso gelten.
Traumwandlerisch taumeln die Künstlerin Helena und der wie aus der Zeit gefallene Johannes durch eine geradezu dystopische, nebeldurchflossene Stadt-Szenerie – auf der Suche nach Sinn, nach Wärme, nach einem Leben mit Substanz.
Es entspinnt sich eine Liebesgeschichte, die es hinter kaltgrauen Häuserfassaden menscheln lässt. Serowy erzählt sie in sprödem, zugleich sinnlich-poetischem Ton, der selbst in den wenigen Momenten scheinbarer Leichtigkeit klarmacht: über allem Glück dräut Unheil.
Denn der Mensch kommt dem Tier in sich nicht aus. Wie die Autorin selbst erzählt, ist der urbane Schauplatz in „Wölfe vor der Stadt“ stark von Leipzig inspiriert. Auch über diesen Aspekt ihres Werks haben wir uns mit der Künstlerin, die am 21. Mai in der Kunstgalerie „Raum 16“ aus ihrem Roman lesen wird, unterhalten.
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Frau Serowy, welche Aspekte Leipzigs haben Sie in Ihrem Roman „Wölfe vor der Stadt“ verarbeitet?
Leipzig atmet für mich etwas ganz Besonderes – eine kaum zu beschreibende Mischung aus Neuem und Altem, aus sehr gegenwärtigen Impulsen und gleichzeitig einer starken Präsenz der Vergangenheit, die – das ist zumindest meine Wahrnehmung – wie ein feiner Schleier über der Stadt liegt und ihr eine besondere Atmosphäre verleiht. Die hat das Buch wirklich stark inspiriert. Und um noch etwas konkreter zu werden: Besonders die langen Ausfallstraßen, die vor ein paar Jahren zum Teil noch sehr verlassen schienen, finden sich auch in der Stadt in meinem Buch wieder.
Das Buch ist zum Teil in Leipzig entstanden. Was hat Sie in die Stadt geführt?
Zum einen die Literatur, zum anderen die Musik. Ich bin schon immer sehr gerne zur Buchmesse gefahren, erst als Besucherin, das alleine ist ja schon eine Reise wert. Als dann mein erstes Buch rauskam und auf der Messe präsentiert wurde, war das natürlich doppelt spannend.
Dann gab und gibt es in Leipzig immer wieder Konzerte und Festivals, die den Weg lohnen, zum Beispiel das „Doom over Leipzig“; und hier schloss sich einmal mehr der Kreis zur Musik, denn ich durfte das Festival 2017 mit einer Lesung in der Galerie „(((unterholz)))“ quasi eröffnen. Besonders schön war wiederum, dass ich meine erste „offizielle“ Lesung als Autorin in meinem Verlag, der Edition Outbird, ebenfalls in Leipzig hatte, als wir vergangenes Jahr das fünfjährige Verlagsjubiläum mit einem Literarischen Salon in Noels Ballroom gefeiert haben.
Oft haftet Orten ein bestimmtes Gefühl an. Die Stadtlandschaft, die Sie in „Wölfe vor der Stadt“ zeichnen, wirkt ganz schön trist. Wenn Leipzig ein Gefühl wäre, dann wäre es…
…trist in jedem Fall nicht. Eher geheimnisvoll, melancholisch und kreativ.
Sie selbst leben in Köln, kennen das urbane Leben also gut. Ein zentrales Element Ihrer Literatur ist jedoch die Natur, die sich ihren Raum zurückerobert – oder auch: der Mensch, der mit der Natur verschmilzt. In „Wölfe vor der Stadt“ ringt Ihre Figur Johannes mit dem Naturhaften, dem Animalischen durch die ihm auferlegte Bürde, ein Werwolf zu sein. Ihre Werke zeichnen den Menschen in der modernen Welt also als ein zerrissenes Wesen, das eine verzehrende Leere in sich trägt. Spricht da ein Zwiespalt, den Sie selbst in sich feststellen, aus Ihren Büchern – oder steckt eine andere Motivation dahinter?
Natur und unser Verhältnis zu ihr ist eines meiner Themen, gleichzeitig spielen Städte aber auch eine große Rolle, zum Beispiel in meiner Novelle „Black Banners“ [von der Kölner Black-Metal-Band Beltez auf dem Album „A grey Chill and a Whisper“ vertont – Anm. d. Red.] und eben auch in den Wölfen. Tatsächlich geht es in meinen Texten oft um diese Zerrissenheit, und, wie Sie es sehr treffend formuliert haben, eine innere Leere, die viele Menschen spüren. Ich glaube, wir haben als Spezies schwer daran zu tragen, dass wir zwar Teil der Natur sind, aber doch von ihr abgetrennt.
Wir sind abgetrennt durch unseren Verstand, der uns so vieles ermöglicht und gleichzeitig durch unsere Dummheit in Bezug auf die einfachsten Dinge – jedes Tier weiß, wie es ein Nest baut, wo es sein Futter herbekommt, wie es seine Jungen aufzieht. Wir stehen vor diesen Aufgaben und haben keinen Instinkt, auf den wir uns verlassen können; wir können uns nur auf unseren Verstand und unsere Kultur verlassen.
Hand aufs Herz: Wie oft schaffen Sie es als Stadtmensch selbst hinaus in die Natur?
Nicht so oft, wie ich gerne würde, das sicher. Aber ich gehe sehr gerne in den Königsforst, unseren großen Wald hier im rechtsrheinischen Köln, wo es auch ein Wildgehege mit ganz entzückenden Wildschweinen gibt. Außerdem fahre ich oft zum Rheinufer.
Es gibt hier viele schöne Wiesen, Buchten und Sandstrände, und ich bin dort sehr gerne am Wasser, am Rhein. T.S. Eliot hat den Mississippi einmal als „a strong brown god“ bezeichnet. Ein ähnliches Gefühl habe ich am Rhein, wobei der eher silber-blau ist.
In einem anderen Interview haben Sie erwähnt, Ihre erste Lesung habe in einem Leipziger Wächterhaus stattgefunden. Dabei handelt es sich um ein leerstehendes Haus, das der Eigentümer zum Beispiel Kreativen zur Verfügung stellt, damit sie es für ihre Zwecke nutzen können. Im Gegenzug haben diese ein Auge auf die Immobilie und halten sie so in Schuss für eine künftige Nutzung. Ein Konzept, das auch der fiktiven Stadt Ihres Romans guttun würde. Wie kam es zu dieser Lesung und wie haben Sie den Abend erlebt?
Die Lesung hat mein damaliger Verlag organisiert. Der Verleger, Markus Hablizel, war damals auch immer auf der Buchmesse und in Leipzig recht gut vernetzt. Der Abend war sehr besonders. Zum einen war es für mich eine absolute Premiere – meine erste Lesung vor Publikum – und ich war entsprechend aufgeregt. Dann lag ein besonderer Zauber über dem Ganzen, dieses Gefühl, das es nur in wilden, halb improvisierten Situationen gibt.
Alles hatte einen rauen Charme und man hatte das Gefühl, sich an den Rändern der normalen Welt zu befinden, in jenem Zwischenraum, in dem besondere Dinge entstehen. Ich glaube, damit war eigentlich schon die erste Inspiration für die Wölfe gegeben.
Ihre Figur Helena ist eine Künstlerin, die mit feinen Antennen den Schwingungen der Großstadt nachspürt, auf ihren nächtlichen Spaziergängen regelrecht mit ihr verschmilzt. Das reale Leipzig gilt als Künstlermetropole. Manch einer sagt sogar, es löse Berlin in dieser Funktion ab. Sie als Künstlerin, die selbst nicht in Leipzig wohnt, die Stadt aber sehr schätzt: Sagen Sie mal, woran könnte das aus Ihrer Sicht liegen?
Ich glaube, dass Leipzig eine große Spannung in sich trägt. Es gibt die eher beschaulichen, eher touristischen Teile, dann die weniger erschlossenen, auch wenn diese natürlich immer mehr zurückgedrängt werden. Es gab Platz, den keiner mehr brauchte und den Künstler für sich neu erschließen konnten; gleichzeitig ist Leipzig nicht so groß, dass man davon verschluckt wird. Es gibt die Geschichte der Stadt, die sich auch im kollektiven Bewusstsein der Deutschen insgesamt eingegraben hat – und dieser Spannungsreichtum, diese Uneindeutigkeit ist vielleicht ein Grund dafür.
Sie sind verwurzelt in der Metal-Szene, lassen sich auch in Ihrem Schreiben von dunkler, harscher, melancholischer Musik beeinflussen. Leipzig hat in dieser Hinsicht viel zu bieten – und das weit über das Wave-Gotik-Treffen hinaus. Wo treibt es Sie als Szenegängerin in der Stadt hin?
Wenn ich in Leipzig auf Konzerte gehe, dann meistens im UT Connewitz, einer einmalig schönen Location.
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Buch & Lesung: „Wölfe vor der Stadt“ ist im Februar in der Edition Outbird erschienen und hat 186 Seiten. Das broschierte Buch ist zum Neupreis von 15 Euro im Buchhandel erhältlich. ISBN: 978-3-948887-23-0
Am Samstag, 21. Mai, veranstaltet der Verlag Edition Outbird einen „Literarischen Salon“ in Leipzig. Als Künstler werden, neben Ulrike Serowy, auftreten: Christian Mahlow, Dominique M. Täger und Tine Täger aka „Lauscher“, M. Kruppe und Marcel S. Kirschbaum mit seinem berührend melancholischen Kurzfilm zum Bukarest-Aufenthalt von Michael Schweßinger, „Vom östlichen Rande“.
Moderieren wird die Veranstaltung von M. Kruppe, auch wird es einen Büchertisch und eine Auswahl internationaler Whiskys geben. Veranstaltungsort ist die Kunstgalerie „Raum 16“, die zum „Sinnträger Tattoostudio“ gehört. Sie ist zu finden auf der Rückseite des „Werk 2“ (hinter der Frauenkultur). Los geht es um 19 Uhr.
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