Während in Frankfurt am Main wieder versucht wird, eine einigermaßen corona-konforme Buchmesse über die Bühne zu bringen, laufen sich in Leipzig die Teilnehmer/-innen des Literarischen Herbstes warm, der vom 25. bis 31. Oktober wieder so ein kleines Gefühl von Lesefest in die Stadt bringt. Und vor allem in Lokale, in die man sonst eher nicht kommt. Und wo man vor allem etwas entdecken kann.

Denn der Literarische Herbst zielt nicht auf die eh schon Berühmten und Bekannten, betont Nils Kahlefendt, einer der Organisatoren des Literarischen Herbstes. Die wird man eher bei „Leipzig liest“ im Frühjahr wiedersehen, wenn dieses große Lesefest dann vielleicht wieder stattfinden darf.Im Literarischen Herbst geht es eher um jene kleinen und großen Neu-Entdeckungen, die Literatur so aufregend machen. Teilweise in Formate gegossen, die das Entdecken geradezu schon zur Form gemacht haben – so wie am 26. Oktober im Ost-Passage-Theater die Veranstaltung „Beste erste Bücher“, bei der gleich sechs junge Autor/-innen mit ihren Romandebüts zu Gast sind.

Und dass auch die älteren Autor/-innen für Entdeckungen gut sind und selber Entdeckungen machen, kann man am 30. Oktober in der Deutschen Nationalbibliothek erleben, wenn sich Anne-Dore Krohn mit Karl-Heinz Ott über dessen neuestes Hölderlin-Buch unterhält. Neu mit dem kleinen Corona-Lächeln dabei, denn natürlich hat er es schon für das Hölderlin-Jahr 2020 veröffentlicht. Ein Jahr, das auch alle Hölderlin-Feiern regelrecht ersäuft hat. Dabei wird Hölderlin nie unaktuell.

Schon gar nicht, wenn sich ein Kenner wie Ott des Themas mit heutigem Blickwinkel annimmt. Und heutig heißt: mit Blick auf die wieder einmal grassierende Mythensehnsucht, die in Deutschland meistens dann um sich greift, wenn gerade die schönen Geister wieder mal merken, dass es die wohlige Einheit mit der lebenden Welt nicht (mehr) gibt. Was die Rückwärtsschauenden so gern mit einer Sehnsucht nach Heimat und Verwurzelung verbinden. Aber genau dafür steht Hölderlin nicht, der auch deshalb bis heute wirkt, weil er wie kein anderer zuvor die Zerrissenheit und das Uneins-Sein mit der Welt in große Dichtung gebracht hat.

Wenn Autor/-innen Autor/-innen einladen

Zu Entdeckungen aber lädt auch das Gespräch ein, in das am 27. Oktober im Literaturhaus Katrin Schumacher mit Helga Schubert eintreten will, im Grunde der Grande Dame der ostdeutschen Literatur, die noch im hohen Alter den Bachmann-Preis 2020 für ihre Erzählung „Vom Aufstehen“ gewonnen hat. Und so heißt auch die Veranstaltung, die sich ganz bestimmt auch mit dem beschäftigen wird, was beim Erzählen von Geschichten eigentlich passiert.

Thema ist da sowieso beim mittlerweile zum Kleinod-Klassiker des Herbstes gewordenen Lyrikhotel. Das zeichnet sich dadurch aus, dass hiesige Autor/-innen sich an drei gemütliche Orte Kolleg/-innen einladen, mit denen sie sich schon immer fruchtbar über die Welt, das Leben und das Literaturmachen unterhalten wollten.

Einige dieser Hotel-Gespräche aus dem vergangenen Jahr kann man ja seit September auch im Podcast anhören.

Um freilich 2021 dabei zu sein, sollte man sich seinen Platz vielleicht doch rechtzeitig sichern, wenn Jan Kuhlbrodt aus Leipzig am 29. Oktober Steffen Popp aus Berlin ins Lyrikhotel in die Möbelkooperative Süd einlädt. Oder wenn Jörg Schieke (Leipzig) am 30. Oktober seine Berliner Kollegin Juliane Liebert in die Alte Post Lindenau einlädt. Etwas anders wird das Lyrikhotel am 28. Oktober in der Möbelkooperative Süd, wo es zweisprachig wird, weil, unverhofft ein Autor im Zentrum der Veranstaltung steht, der gar nicht mehr dabei sein kann: Ivan Blatny.

2016 hat Francis Nenik seine Entdeckung des tschechischen Dichters in eine Erzählung gebracht und veröffentlicht.

Diesmal steht einer der mittlerweile auch von hochkarätigen Dichtern ins Deutsche übersetzen Gedichtbände Blatnys im Mittelpunkt: „Hilfsschule Bixley“. Und natürlich geht es dabei auch ums Übersetzen oder besser: das dichterische Übersetzen. Für alle, die wissen wollen, wie Poesie aus anderen Sprachen ins Deutsche herüberkommt, eine ganz bestimmt spannende Veranstaltung.

Der Krimi als Gesellschaftsanalyse

Und natürlich versteckt der Literarische Herbst auch nicht sein leises gesellschaftliches Anliegen. Das steckt zwar in jedem guten Buch, aber in den vergangenen Jahrzehnten hat sich gerade der Kriminalroman zum eigentlichen Seziermesser gesellschaftlicher Abgründe und Schieflagen entwickelt. Vorbild eigentlich immer die großen sozialkritischen Romane von Per Wahlöö und Maj Sjöwall, die auch schon in den 1980er Jahren deutsche Autor/-innen dazu animierten, die sozialen Realitäten unserer Gesellschaft in atmosphärischen Kriminalromanen zu beschreiben.

Und auch wenn der Veranstaltungstitel „Babylon City“ an eine abendfüllende TV-Inszenierung der 1920er Jahre erinnert, geht es am 29. Oktober in der LVZ-Kuppel mit Pieke Biermann um ihre längst selbst schon klassischen Berlin-Krimis aus den Jahren 1987 bis 1997, die durch realistische Beschreibung der Polizeiarbeit und authentische Milieuzeichnungen bis heute bestechen. Ihr zur Seite steht mit Johannes Groschupf der Autor von jüngeren Berlin-Titeln, die beim Publikum Begeisterung auslösten – wie „Berlin Heat“.

Alle Veranstaltungen aus dem Literarischen Herbst findet man auf der Websitre literarischer-herbst.com.

Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga

Und eine kann man leider nicht besuchen. Das bedauert auch Kahlefendt, der die aktuelle Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels nur zu gern wieder auch in einer Präsenz-Veranstaltung im Literarischen Herbst begrüßt hätte.

Aber das ist aufgrund der Corona-Bedingungen nicht möglich. Weshalb man Tsitsi Dangarembga nur im Livestream erleben kann.

Dazu lädt auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ein:

Die Veranstaltung mit der diesjährigen Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga findet am 25. Oktober 2021, 19 Uhr, als geschlossene Veranstaltung in der Leipziger Handelsbörse statt.

Die simbabwische Autorin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga erhält am 24. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und wird am darauffolgenden Tag, am 25. Oktober, um 19 Uhr im Festsaal der Alten Handelsbörse am Nachmarkt in Leipzig sein. Die Veranstaltung ist in diesem Jahr nicht öffentlich, wird aber per Livestream auf dem YouTube-Kanal des Börsenvereins übertragen.

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels verleiht den mit 25.000 Euro dotierten Friedenspreis seit 1950 an eine Persönlichkeit, die „in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat.“

Die Schriftstellerin und Filmemacherin Dangarembga verbindet in ihrem künstlerischen Werk ein einzigartiges Erzählen mit einem universellen Blick und ist deshalb nicht nur eine der wichtigsten Künstlerinnen ihres Landes, sondern auch eine weithin hörbare Stimme Afrikas in der Gegenwartsliteratur. Begleitet wird ihr künstlerisches Schaffen von dem jahrelangen Engagement, die Kultur in ihrem Land zu fördern und diese insbesondere für Frauen zu öffnen.

Stephan Detjen, Chefkorrespondent des Deutschlandfunks, spricht mit Tsitsi Dangarembga über ihr Leben und ihre Bücher. Die Schauspielerin Verena Noll liest aus den Romanen der Schriftstellerin „Aufbrechen“ und „Überleben“.

Nachtrag Mittwoch, 20. Oktober:

Lesung zu Friedrich Nietzsche in der DDR

Im Rahmen des literarischen Herbstes liest Matthias Steinbach aus seinem Buch “Also sprach Sarah Tustra – Nietzsches sozialistische Irrfahrten”, moderiert von Henner Kotte. Dazu lädt der Mitteldeutsche Verlag am Donnerstag, 28.Oktober, um 18.30 Uhr in die Stadtbibliothek Leipzig (Wilhelm-Leuschner-Platz 10-11, 04107 Leipzig) ein.

Der Eintritt ist frei. Um die Einhaltung der Hygienemaßnahmen zu gewährleisten, bittet der Verlag, sich vorher für die Veranstaltung anzumelden unter Tel. (0345) 233220 oder E-Mail: goldschmidt@mitteldeutscherverlag.de

Matthias Steinbach: Also sprach Sarah Tustra. Foto: Ralf Julke
Matthias Steinbach: Also sprach Sarah Tustra. Foto: Ralf Julke

Mit der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg ging auch eine geteilte Rezeption Friedrich Nietzsches einher. In Ost und West hatte man auf je eigene Weise Probleme mit dem unbequemen Denker, der durch die nationalsozialistische Werkexegese zusätzlich gelitten hatte. Matthias Steinbach hat dem DDR-Verhältnis zu Nietzsche nachgespürt und entwirft so einerseits ein auch autobiografisch untersetztes zeithistorisches Panorama, andererseits gelingt ihm ein spannender Blick auf den Umgang mit Philosophie und ihren Protagonisten überhaupt.

Matthias Steinbach ist seit 2007 Professor für Geschichte und Geschichtsdidaktik an der Technischen Universität Braunschweig und hat seine Forschungsschwerpunkte auf deutsche Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, insbesondere Universitäts- und Bildungsgeschichte, Militärgeschichte, politische Ideengeschichte und Geschichtsvermittlung. Mit “Also sprach Sarah Tustra – Nietzsches sozialistische Irrfahrten” erlangte er von der Presse viel Aufmerksamkeit und positive Kritiken.

 

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