Fast bis zum Schluss schrieb Matthias Biskupek sein Online-Tagebuch. Am 3. /4. März wollte er noch etwas über Mund- und Nasenschutz schreiben: „Es ist ja dringend, Mund- und Nasenschutz zu tragen. Vielleicht ist das auch bei Tagebuchtexten so zu praktizieren. Morgen werde ich einen weiteren Vers niederschreiben. ...“ Doch diesen Vers hat einer der beliebtesten und nachdenklichsten Satiriker des Ostens nicht mehr geschrieben. Am Sonntag, 1. April, ist er im Alter von 70 Jahren gestorben.
Das Tagebuch wird bleiben. Ich hoffe es zumindest. Denn auch wenn er mit dem Krebs zu kämpfen hatte, der ihn am Ende im Alter von 70 Jahren besiegte, hat er seinen skeptischen Blick auf die Welt nicht verloren. Und während die Nachrufschreiber alle an seinen „Quotensachsen“ erinnern, das wohl berühmteste seiner Bücher, erinnerte er am 28. Februar selber lieber an sein 1986 erschienenes Buch „Der Bauchnabel und andere schöne Mittelpunkte einer Reise zu zweit“, in dem es – unter anderem – auch um eine vertrackte Nachtlagersuche in Berlin ging. „Alles lange vorbei. Ein Problem, das längst vorbei ist. Wir haben ganz andere.“Vielleicht nimmt sich ja die Edition digital auch seines Tagebuchs noch an. Es hätte das verdient.
Denn seine Bücher werden – wie die Arbeiten so vieler großartiger ostdeutscher Schriftsteller – in der Edition als elektronische Bücher erscheinen.
Nur wenige Monate zuvor hatte Biskupek mit der Edition digital die Herausgabe einer Reihe von E-Books vertraglich vereinbart und sich bei dem Verlag ausdrücklich dafür bedankt, dass sich dieser um die weitere Verfügbarkeit seiner Bücher kümmere. In seinem Schriftstellerleben hatte Biskupek mehr als 30 Titel sowie unzählige Pressetexte veröffentlicht.
Noch in diesem Jahr sollen zunächst 12 Bücher erscheinen, kündigt die Edition digital an, angefangen mit seinem Erstling von 1981 „Meldestelle für Bedenken. Geschichten, Satiren und Grotesken“ (1981) bis zu all jenen Titeln, die ihn ebenso als echten Eulenspiegel ausweisen, so satirisch wie weise, wie es die meisten Satiriker nicht sind. Denn zu seinem Gestus gehörte immer auch das Sich-selbst-Mitmeinen. Wirklich gute Satire kommt nicht von oben herab. Sie kommt aus dem Herzen und sieht im karikierten Gegenüber immer sich selbst.
Wer mag, kann genau das alles noch einmal nachlesen – in „Wir Beuteldeutschen. Satiren, Glossen & Feuilletons“ (1991) genauso wie in „Der Quotensachse. Vom unaufhaltsamen Aufstieg eines Staatsbürgers sächsischer Nationalität. Roman“. (1996), in „Schloss Zockendorf. Eine Mordsgeschichte“ (1998) genauso wie im 2015 im Mitteldeutschen Verlag erschienenen „Der Rentnerlehrling“ von 2015. Denn als Biskupek damals das übliche Ruhestandsalter erreichte, fühlte er sich weder so alt, dass es passen konnte, noch hatte er das Gefühl, dass er überhaupt schon wusste, wie man sich als landläufiger Renter eigentlich zu fühlen hatte.
Vom Maschinenbauer zum Satiriker
Die Bio im Eildurchlauf: Matthias Biskupek war am 22. Oktober 1950 in Chemnitz geboren worden und wuchs mit zwei Brüdern und einer Schwester in der sächsischen Kleinstadt Mittweida auf. Sein Vater war Lehrer, seine Mutter war Angestellte. Nach Schulbesuch und Abitur mit gleichzeitiger Lehre als Maschinenbauer studierte Biskupek an der Technischen Hochschule Magdeburg technische Kybernetik und Prozessmesstechnik.
Von 1973 bis 1976 war er als Systemanalytiker und zeitweise auch als Maschinenfahrer im Chemiefaserkombinat Schwarza bei Rudolstadt tätig. Nachdem er bereits während seiner Schul- und Studienzeit verschiedene literarische Zirkel besucht und mehrfach am Schweriner Poetenseminar teilgenommen hatte, in den achtziger Jahren auch als Seminarleiter, arbeitete er seit 1976 am Theater Rudolstadt, zunächst als Regieassistent, später als Dramaturg, zeitweilig auch als Bühnentechniker, Programmheftzeichner, Inspizient und Kleindarsteller.
In den Jahren 1981/82 absolvierte er einen Sonderkurs am Leipziger Literaturinstitut. Seit 1983 lebte er freischaffend in Rudolstadt. 1993 war er Kreisschreiber in Neunkirchen/Saar. 1997 bekam er ein Aufenthaltsstipendium für das Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf, 2000 das Casa-Baldi-Stipendium der Deutschen Akademie Rom in Olevano Romano. 2016 wurde Biskupek mit dem Walter-Bauer-Preis ausgezeichnet.
Zu seinen vielfältigen literarischen Arbeiten gehörten Romane, Geschichten, Kabaretttexte, Feuilletons und Features für den Rundfunk sowie in den 1980er Jahren auch Treatments für die DEFA, die jedoch nie zu Filmen wurden. Von 1985 bis zu dessen Auflösung war er Mitglied des Schriftstellerverbandes der DDR, 1990 der letzte Vorsitzende des Bezirksverbandes Gera, 1992/93 VS-Vorsitzender in Thüringen.
Was fehlt? Eine Menge.
Öffentliche Biografien haben alle ihre Tücken. Was Matthias Biskupek nur zu gut wusste.
Zu seinem „Rentnerlehrling“ schrieben wir damals: „In DDR-Zeiten sorgte er mit durchaus ungewöhnlichen Satire-Bänden für heftig erfreute Leserschaften. Und die Bändchen gehören heute alle noch in die Staunemann-Kategorie, weil man nach all dem Gezerre in den deutscheinheitlichen Medien das vage Gefühl hat, dass es so etwas in der DDR gar nicht gegeben haben kann. Hat es aber. Die ,Meldestelle für Bedenken‘ genauso wie ,Veröffentlichtes Ärgernis‘.“
Am 6. Februar schrieb er noch selbst unter dem Stichwort „Erinnerungspolizei“: „Im Radio höre ich heute Morgen den Begriff ,Erinnerungspolizei‘. Ein solches Wort ist derzeit wichtig. Wer heute seine Erinnerungen von vor vierzig Jahren hervorkramt, sollte wissen: Was war wahr? Was wahr war!? So formulierte es Karl Valentin. Nach 1945 gab es ganz verschiedene polizeiliche Erinnerungen. In Westdeutschland bzw. der BRD. Die begann dort erst nach 1968 so richtig zu schäumen. Die Erinnerungspolizei der DDR hingegen war schon am 9. November nachmittags – na gut, vielleicht auch am 15. November vormittags – richtig auf Zack und wusste genau: Was war wahr? Was wahr war!“
Zum Glück stehen seine Bücher alle im Regal. Ich kann nachschauen, wenn ich das dumme Gefühl habe, dass mal wieder jemand unsere Erinnerungen korrigieren will. Denn wie es war, wissen die am besten, die dabei gewesen sind. Und die es dann auch aufgeschrieben haben – mit diesem schelmischen Blick, den nur die echten Eulenspiegel haben. Und er war einer der besten unter diesen.
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