„Den Leipziger Literarischen Herbst gibt es, mit Unterbrechungen, seit 1991. Wir wollen diese Tradition aufgreifen, Literatur machen in einer rasant wachsenden, weltoffenen Stadt“, melden sich auf literarischer-herbst.com Jörn Dege, Nils Kahlefendt, Anja Kösler und Claudius Nießen zu Wort. Die Adresse im Web ist neu, das Organisatorenteam ist es auch. Die Herausforderung ist die alte.
Denn wie zaubert man in Leipzig ein Literaturfestival aus dem Boden, wenn das Budget seit Jahren festgezurrt ist und eigentlich nur eine Frage zulässt: Verzichtet man auf hochkarätige Zugpferde? Oder macht man alles für Nasse?
Eine Situation, vor der in Leipzig vor allem die Literatur steht. Sie ist schon gleich 1990 aus dem Fokus gerutscht. Zumindest, was die Förderung aus dem Haushalt von Stadt und Freistaat betrifft. Sämtliche Literarischen Herbste seit 1991 wurden also mehr oder weniger von Menschen organisiert, die sich jede Menge unbezahlte Zeit ans Bein banden, um in der einstigen Buchstadt Leipzig ein Literaturfestival aus dem Boden zu stampfen, das noch irgendwie bestehen kann gegen deutlich besser finanzierte Herbstkonkurrenz – man denke nur an das Dok-Film-Festival, die euro-scene oder die Lachmesse. Zeitlich eingezwängt war es also auch noch. Und dazu kommt natürlich: Man ringt ja im Grunde stets um dasselbe kulturbegeisterte Publikum, das spannendes Theater genauso liebt wie aufregende Autorinnen und Autoren.
Die gab es zum Literarischen Herbst immer. Natürlich nicht so geballt wie beim Lesefest „Leipzig liest“ rund um die Leipziger Buchmesse, zu dem die teilnehmenden Verlage schon aus Marketinggründen alle ihre namhaften Premierenautorinnen und -autoren mitbringen und noch die kleinste Kneipe mit spannenden Buchvorstellungen bespielen.
Seit es „Leipzig liest“ gibt, muss sich der Literarische Herbst auch noch als gleichwertiger Gegenpol im Herbst behaupten, was kaum zu erreichen war. An irgendeiner Ecke fehlte dann immer das Geld. Und sei es fürs Werbebudget. An den finanziellen Grenzen hat sich auch 2019 nichts geändert. Auch wenn Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke 2018 einen Fehdehandschuh in den Ring warf. Sie äußerte zumindest ein Unbehagen an dem, was der Literarische Herbst aus ihrer Sicht im Leipziger Festival-Reigen geworden war. Andere Festivals hatten zugelegt, gerade jene zur „Musikstadt“ gehörenden, die auch von überregionaler Touristikwerbung profitieren. Da wirkte das Literaturfest doch etwas glanzlos, wie von der Zeit überholt.
Der Hebel, mit dem die Kulturbürgermeisterin die Sache wieder mit mehr Glanz erfüllen wollte: Sie ließ die Organisation des Literarischen Herbstes ausschreiben. Fünf interessierte Teams reichten ihre Konzepte ein, wie mit dem wenigen vorhandenen Geld doch ein aufregendes Festival zu organisieren wäre. Das Rennen machten die vier oben Genannten, die ihren Ansatz, den Herbst mit Literatur in einem kompakteren Format zu bespielen, so beschreiben: „Sich neu erfinden und sich gleichzeitig treu bleiben: Geht das? Wir haben am bisherigen Bandwurmnamen geschraubt und ein neues, frisches Gestaltungskonzept entwickelt. Sie werden uns im Netz, auf Facebook, Instagram und Twitter begegnen. Und vielleicht um die Ecke, in Ihrem Stadtviertel. Ein Motto wird es künftig nicht mehr geben, ,Literarischer Herbst‘ ist Ansage genug.“
Und was soll drinstecken in der Packung, die die vier jetzt für die Woche vom 21. bis 27. Oktober organisiert haben? „Gute Geschichten: Eines der ältesten Suchtmittel, nicht verschreibungspflichtig. Die Liebe macht weiter, die Landtagswahlen machen weiter, die Solidarität macht weiter, die Klimakatastrophe macht weiter. Das Papier macht weiter, das Schreiben macht weiter, die Bücher machen weiter.“
Und es kommen namhafte Autoren, die auch schon deutschlandweit für Furore gesorgt haben, so wie der Philosoph, Börne-Preisträger und Hölderlin-Kenner Rüdiger Safranski, der am 26. Oktober in der Deutschen Nationalbibliothek seine Hölderlin-Biografie vorstellt, oder David Wagner, dessen Buch „Der vergessliche Riese“ die Demenz seines Vaters eindrucksvoll thematisiert. Aber neben bekannten Autoren wie Rafik Schami, Thomas Kunst und Ulrike Draesner stehen auch einige Veranstaltungen auf dem Programm, die das Büchermachen selbst zum Thema machen.
So wie am 22. Oktober im Ost-Passage-Theater die Veranstaltung „Beste erste Bücher“ oder in der Galerie für Zeitgenössische Kunst die Reihe „Essay Listening“ am 26. Oktober.
Und ein Leckerbissen wird auch das neue Angebot „Lyrikhotel“ sein, das ursprünglich ein bisschen so werden sollte wie die Leipziger Wohnungskonzerte im Rahmen der Notenspur. Aber das wollten die emsigen Organisatoren den einladenden Dichtern nicht zumuten. Denn Wohnungen sind sensible Räume. Nicht jeder möchte da das Wohnzimmer mit lauter Unbekannten vollsitzen haben, selbst wenn es lauter echte Lyrikfreunde sind. Die Veranstaltungsorte werden trotzdem sehr intim sein, verspricht Nils Kahlefendt. Und das angedachte Prinzip – ein Leipziger Autor lädt einen spannenden Gast ein – bleibe auch erhalten. Zu „Lyrikhotels“ werden diesmal die Möbelkooperative Süd (ein wirklich begrenzter Raum, Platzreservierungen sind angeraten) mit Carl-Christian Elze und Ulrike Draesner, das Hostel Blauer Stern am Lindenauer Markt mit Martina Hefter und John Sauter sowie die Alte Post in Lindenau (auch Reservierungsempfehlung) mit Anja Kampmann und Daniela Danz, Thomas Kunst und Ulrich Koch.
Das Programm konzentriert sich diesmal wirklich auf eine Woche.
Und pünktlich trudelte auch das Buch zu einer ganz bestimmt lebhaften Buchpremiere während des Literarischen Herbstes ein: Am 23. Oktober stellt die in Leipzig lebende Svetlana Lavochkina zusammen mit ihrer Übersetzerin Diana Feuerbach im „Telegraph“ ihr Buch „Puschkins Erben“ vor, das im englischen Original „Zap“ hieß und 2015 auf der Shortlist vom Tibor Jones Pageturner Preis stand.
Das Literaturfest bietet eine Menge Möglichkeiten, eben auch die Leipziger Autorenszene (oder zumindest einen kleinen Teil davon) selbst kennenzulernen. „Es soll trotzdem kein regionales Literaturfest werden“, sagt Kahlefendt.
Der Veranstaltungstipp für Hölderlin-Freunde:
„Komm! ins Offene, Freund“ mit Rüdiger Safranski am Samstag, 26. Oktober, 19:00 Uhr in der Deutschen Nationalbibliothek.
„Gottfried Benn hatte einst gespottet: ,Einen neuen Gedanken haben, / den man nicht in einen Hölderlinvers einwickeln kann, / wie es die Professoren tun.‘ Das ist lange vorbei. Doch wer ist dieser Friedrich Hölderlin, der von den Spannungen seiner Zeit zerrissen wurde und die zweite Hälfte seines Lebens im Tübinger Turm verbrachte? Erreicht er uns noch, und erreichen wir ihn? Rüdiger Safranski, der Meisterbiograph der deutschen Geistesgeschichte, widmet dem großen Unbekannten unter unseren Klassikern eine mitreißende Biografie.
Rüdiger Safranski, geboren 1945, wurde durch seine in viele Sprachen übersetzten Biografien über Heidegger, Nietzsche, Schiller und Goethe bekannt. Seine philosophischen Essays handeln von der Wahrheit, vom Bösen, von der Romantik, der Globalisierung und von der Zeit. Zuletzt wurde er mit dem Ludwig-Börne-Preis (2017) und dem Deutschen Nationalpreis (2018) ausgezeichnet.
Den Abend moderiert Ijoma Mangold. Mangold, geboren 1971 in Heidelberg, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in München und Bologna. Nach Stationen bei der Berliner Zeitung und der Süddeutschen Zeitung wechselte er 2009 zur Wochenzeitung Die Zeit, deren Literaturchef er bis 2018 war. Inzwischen ist er Kulturpolitischer Korrespondent der Zeitung. Zuletzt erschien von Mangold Das Deutsche Krokodil. Meine Geschichte (Rowohlt 2017).“
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