„Ist nicht jeder Dichter heimatlos?“ Diese Frage stellte der Leipziger Dichter Andreas Reimann im gut besuchten Grassi-Saal der Stadtbibliothek Leipzig am Dienstag, 4. Dezember, in einer Veranstaltung zum Leben und Schaffen der „Dichterin des Exils“ Helga M. Novak (1935-2013). Eigentlich ging es um die Premiere für einen Tagungsband, den die Andreas-Reimann-Gesellschaft nicht ganz grundlos in Leipzig vorstellte.

Aufmerksam die weltliterarisch bedeutsamen Leistungen betrachtend, in Freundschaft verbunden, erzählte Andreas Reimann von gemeinsamen Unternehmungen mit der Dichterin, die auch Begegnungen mit Wolf Biermann und Beziehungen zu Robert Havemann beinhalteten. Er sprach vom einander verlieren und dem Versprechen eines Wiedersehens nach einem halben Jahrhundert. Als Weggefährten und Zeitgenossinnen gaben Auskunft die Publizistin Rita Jorek, Markkleeberg, und Prof. Marion Brandt, Germanistin und Herausgeberin des Tagungsbandes „Unterwegs und zurückgesehnt“, der Beiträge der 2017 in Gdansk stattgefundenen Konferenz zu Leben und Werk enthält.

Eingeladen zur Veranstaltung hatte die Andreas-Reimann-Gesellschaft, die ihren Fokus auf das OEuvre ihres Protagonisten Andreas Reimann, aber auch auf die reichhaltigen Werke, die Geschichte und auch damit verbundene Biografien der unter Diktaturerfahrung arbeitenden KĂĽnstler und Literaten der untergegangenen DDR richtet (und die auch hier fĂĽr eine bluesmusikalische Umrahmung durch den Gitarristen Martin Hoepfner sorgte).

In den einzelnen gelesenen Beiträgen wie auch im nachfolgenden Gespräch konnte man eine sehr anschauliche Vorstellung bekommen von den Bedingungen, die im System damals herrschten: die Zerrissenheit des Lebens Helga M. Novaks, nachdem sie bereits Ende der 50er Jahre in einer Art Schauprozess vom Journalistik-Studium ausgeschlossen wurde und daraufhin weite Reisen quer über den Kontinent, bis hin nach Island, auf sich nahm.

Im Selbstverlag publizierte sie dort Gedichte, kam wieder, versuchte noch einmal hier Fuß zu fassen, zu studieren. Nach dem 11. Plenum des ZK wurde sie 1966, 10 Jahre vor Biermann, aus der DDR ausgebürgert, blieb heimatlos. Sie konnte weder in der alten BRD, noch später im wiedervereinigten Deutschland ein Zuhause finden und lebte in Polen, in einer Gegend, die sie an die Landschaft ihrer Kindheit in der Nähe von Berlin erinnerte.

Im wiedervereinigten Deutschland bekam sie keine Staatsbürgerschaft und keine Krankenversicherung. Als sie schon sehr krank war, begleitete Rita Jorek sie, in einer „Freundschaft bis zum Tode“. Während des Studiums in Leipzig hatten beide eine Wohnung geteilt, und auch später fand die Dichterin in Markleeberg bei Rita Jorek zeitweise Unterkunft.

Im autobiografisch geprägten Band „Im Schwanenhals“, der 2013 kurz vor ihrem Tod erschienen ist, sorgte Rita Jorek für die Fertigstellung. Zusammen mit den schon früher erschienenen  Bänden „Die Eisheiligen“ und „Vogel federlos“ wird mehr als ein halbes Jahrhundert lebendig erzählt.

Während Helga M. Novak hier oft nur einem Kreis tatsächlich Literaturbegeisterter ein Begriff ist, gibt es Übersetzungen ihrer Werke in verschiedene Sprachen und Forscherinnen einiger Nationen beschäftigen sich mit ihrem Nachlass, der dem deutschen Literaturarchiv Marbach übergeben wurde.

Die Gedichte und Gedichtzyklen, u. a. „Sylvatica“ und „Grünheide, Grünheide“,  die mit einer für heutige Verhältnisse fast schon außergewöhnlich erscheinenden Sprachgewalt Emotionen zu erzeugen vermögen, vermitteln einen langen Nachklang. Andreas Reimann sagte dazu, dass aufgrund der im Netz gebräuchlichen 140-Zeichen-Texte literarisches Empfinden kaum gedeihen könne.

Alle Wörter sind im künstlerischen Sinne ohne Einschränkung zu nutzen. Er verwies darauf, dass aus dem Kreis der ehemaligen Studenten des Literaturinstitutes jenes Jahrgangs nur wenige in den Kreis derer gehören, die dem Beruf des Schriftstellers treu geblieben sind.

Selbstzensur und Anpassung an den Zeitgeist hatten sie sich nicht zu ergeben, auch in schlimmsten Zeiten der Diktatur verweigerten sie einer solchen Forderung sich, denn: „der Beruf des Poeten ist nicht erlernbar“.

Die Kurzbiografie von Gelga M. Novak:

Helga M. Novak (1935-2013), die große heimatlose deutsche Dichterin, schon 1966 aus der DDR ausgebürgert, hat zweimal versucht, in Leipzig zu studieren: bis 1957 Journalismus und Philosophie und 1965 bis Januar 1966 am Institut für Literatur. In beiden Fällen wurde sie aus politischen Gründen relegiert. Sie lebte nach längeren Aufenthalten in Island, Frankreich, Italien und den USA seit 1987 zwanzig Jahre lang im Wald bei Legbad (Polen).

Im Mai 2017 veranstaltete die Universität Gdansk unter Leitung von Prof. Marion Brandt die erste internationale Tagung zum Werk Helga M. Novaks. Die Beiträge der Tagung sind unter dem Titel „Unterwegs und zurückgesehnt“ als Publikation der Reihe Studia Germanica Gedanensia erschienen. Frau Prof. Marion Brandt (Universität Gdansk), Rita Jorek – Herausgeberin und enge Vertraute der Dichterin – und Andreas Reimann – 1965 Mitstudent der Dichterin am Institut für Literatur – werden den Sammelband mit ihren Beiträge präsentieren.

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