Houston? Da hat fast jeder den berühmten Spielfilm mit Tom Hanks, Kevin Bacon, Ed Harris, Gary Sinise und Bill Paxton von 1995 vor Augen, in dem das Drama um „Apollo 13“ nachzuerleben war. Mitsamt dem zentralen Funkspruch an die Heimatbasis: „Houston, we’ve had a problem!“. Zwei Jahre vorher hat die Zwei-Millionen-Stadt in Texas eine Städtepartnerschaft mit Leipzig abgeschlossen. Grund genug, Houston auch zum Literarischen Herbst 2018 einzuladen.

Der findet dieses Jahr parallel zur Houston-Week statt, mit der Leipzig sowieso die 25-jährige Städtepartnerschaft feiert. Erwachsen ist die damals nicht aus den tollen Raumfahrtbeziehungen, sondern aus dem Engagement der evangelischen Partnerkirchen heraus. Denn Städtepartnerschaften werden eher selten von Stadtverwaltungen initiiert, dafür umso häufiger von engagierten Gemeinden oder Vereinen. Denn die erfüllen die Partnerschaft dann auch mit Leben, sorgen dafür, dass die Kontakte nicht abreißen und regelmäßig auch Bürgerreisen zustande kommen.

So wie Anfang 2018, als auch die Übersetzerin Franka Reinhart im letzten Moment noch in eine Reisedelegation der Stadt Leipzig nach Houston rutschte und nicht nur in einem straffen Besuchsprogramm die faszinierendste Stadt von Texas kennenlernte, sondern auch Kontakt zur literarischen Szene in Houston fand und die ersten Namen für eine Einladung zum Literarischen Herbst bekam.

Es ist nicht das erste Mal, dass Leipzig auch Autoren aus Partnerstädten zum Literarischen Herbst einlädt, betonte am Donnerstag, 27. September, Gabriele Goldfuß, Leiterin des Referates Internationale Zusammenarbeit der Stadt Leipzig. Das habe man auch schon mit der Städtepartnerschaft zu Lyon und mit chinesischen Partnern gemacht. Nur können die meisten Leipziger – auch die lesefreudigen – in der Regel kein Chinesisch. Manche vielleicht ein bisschen Französisch oder Englisch.

Die wenigsten lesen die Autoren der Partnerstädte im Original. Deswegen passiert zum 22. Leipziger Literarischen Herbst, der vom 23. bis 31. Oktober stattfindet, auch etwas, was es so bislang nicht gab: Die Übersetzerinnen und Übersetzer bekommen eine zentrale Rolle. Auch im Programmheft werden sie jetzt systematisch erwähnt. Denn die Vielleser wissen es ja: Gäbe es diese hochprofessionellen Fährleute der Sprache nicht, würden wir kaum ein Buch in seiner sprachlichen Schönheit so nachvollziehen können wie im Original.

Und Leipzig hat eine reiche und starke Übersetzerszene. Mit Franka Reinhart sitzen die Übersetzer jetzt auch direkt im Organisationskomitee des Literarischen Herbstes, dem dieser Wunsch, jetzt endlich auch ein paar Autoren aus Houston nach Leipzig einzuladen, fast das Budget gesprengt hätte. Denn die Unterstützung der Stadt ist logischerweise beschränkt.

Leipzig kann nicht ersetzen, was sich das Land Sachsen bei der Literaturförderung schon seit Jahren erspart. Deswegen war es dann, so Steffen Birnbaum, der Projektleiter des Literarischen Herbstes, ein Glücksfall, auch die Bell Flavors & Fragances GmbH als Sponsor zu gewinnen, die es ermöglichte, im 50.000-Euro-Budget des Festivals auch die Reise- und Unterkunftskosten für die Gäste aus Houston abzubilden.

Die Firma wird hier extra genannt, weil sie an ihrem Standort in Miltitz auch eine eigene Veranstaltung anbietet – eine Literarische Begegnung mit Duft und Geschmack. Immerhin hat sie ja hier vor 25 Jahren die berühmteste Leipziger Duftbude übernommen – mitsamt der berühmten Bibliothek der Firma Schimmel. Und in dieser Bibliothek findet am 25. Oktober die Duft-Lesung statt. „Und allein die Bibliothek selbst ist etwas, was man einmal gesehen haben muss“, sagt Gabriele Goldfuß. Da aber nur 30 Gäste hineinpassen, muss man sich rechtzeitig anmelden unter info@toniolo.ch.

Der Schweizer Künstler Beat Toniolo hat nicht nur die sechs teilnehmenden Autorinnen und Autoren dazu animiert, sich mit dem Thema Duft zu beschäftigen, er hat auch die Lesung organisiert. Und wenn es mehr als 30 Anmeldungen werden, so Goldfuß, ist bestimmt auch noch eine zweite Lesung an diesem ungewöhnlichen Ort möglich.

19 Veranstalter beteiligen sich diesmal am Literarischen Herbst

Die Veranstaltung mit Leipzigs derzeit bekanntestem Autor, Clemens Meyer, am 25. Oktober im UT Connewitz droht schon ziemlich schnell ausverkauft zu sein. Denn Clemens Meyer stellt an diesem Abend zwei seiner Übersetzerinnen im Gespräch. Das muss sich ein Autor erst mal trauen. Roberta Gado hat sein „Als wir träumten“ ins Italienische übersetzt, Katy Derbyshire sein „Die Nacht, die Lichter“ ins Englische. Davon träumen ja Autoren: In große Sprachen ganz groß übersetzt zu werden.

Logisch, dass die Übersetzerinnen und Übersetzer bei diesem LLH fast die Hauptrolle spielen.

So auch am 24. Oktober im Club International, wo der Houstoner Jurist Michael Pullara sein Buch „The Spy who was left behind“ vorstellt. Die Moderation übernimmt Robert Moore, jener Mann, der von Houstoner Seite aus die Partnerschaft mit Leipzig auf die Beine gebracht hat.

Einen Autoren hätten die Organisatoren nur zu gern in Leipzig gesehen: Patrick Flanery, dessen kafkaesker Roman „Ich bin niemand“ seit 2017 für Furore sorgt. Aber man kommt diesem Buch auch nahe, wenn man die Übersetzerin zum Gespräch bittet, die hier auf höchstem Seil akrobatische Arbeit geleistet hat – Reinhild Bögnke. Mit ihr unterhält sich am 25. Oktober Ralf Pannowitsch in der Deutschen Nationalbibliothek.

Und auch noch nicht übersetzt ist (die Bachfreunde scharren ja schon mit den Füßen) Jeffrey S. Sposatos „Musik in Leipzig nach Bach“. Das Buch stellt der Autor selbst (der dazu natürlich in Leipzigs Archiven geforscht hat) am 26. Oktober im Mendelssohn-Haus vor.

 

Bleibt noch die Frage: Wen hat denn nun Franka Reinhart aus Houston eingeladen? Kennen wir die? Wahrscheinlich noch nicht. Jeffrey S. Sposato lernen wir – wie erzählt – im Mendelssohn-Haus kennen.

Spannend wird die Begegnung mit Deborah D.E.E.P. Mouton. Sie ist wohl die derzeit bekannteste Spoken Word Künstlerin aus Houston. Und da liegt natürlich nahe, dass sie in Leipzig mit der hiesigen Poetry-Slam-Szene in Kontakt kommt, in diesem Fall mit dem Slam-Poeten Malte Rosskopf, der die Begegnung mit Deborah Mouton am 27. Oktober in der Festivallounge Luigi’s der Katharinenstraße moderiert.

Ja, diesmal gibt es ein richtiges Festivalbüro, betont Franka Reinhart. Man müsse einfach mal feststellen, dass der Literarische Herbst nun einmal ein richtiges Festival sei. Und dazu gehöre nun einmal auch ein innerstädtischer Treffpunkt, wo sich alle Beteiligten und Interessierten jederzeit zwanglos treffen können. Und das sei die obere Etage im Luigi’s in der Katharinenstraße 12. Die sei wie dafür gemacht.

Wer kommt noch?

Rich Levy und Kevin Prufer. Beide sind Lyriker, was die Übersetzerin Franka Reinhart natürlich besonders reizte. Denn Lyrik ist das, was eben nicht das normale täglich Brot der Übersetzer ist. Selten genug bieten sich Möglichkeiten, Lyrik für deutsche Verlage zu übersetzen. Beide stellen ihre Gedichte am 28. Oktober im Luigi’s vor.

Wer davon noch nicht satt wird, der sollte sich die „Lange Nacht der Literaturübersetzung“ am 29. Oktober im Kupfersaal nicht entgehen lasen. Und natürlich kommen auch heimische Autoren zu Wort – einige auch mit eindrucksvollen Reminiszenzen an jüngst verstorbene Kollegen des Wortes. Und es kommen auch aus anderen Ländern spannende Gäste, so wie am 28. Oktober im Baileo Tanzpassion Leipzig die in Leipzig lebende Ukrainerin Svetlana Lavochkina, die von Diana Feuerbach vorgestellt wird. Und am 24. Oktober gastiert auch das tschechische Residenz-Programm „Ahoj“ im Literarischen Herbst. Dann liest die Brnoer Schriftstellerin Katerina Tucková in der Stadtbibliothek.

Insgesamt nehmen über 100 mit Schrift, Wort und Musik begabte Menschen teil am 22. LLH. Darunter sind zehn Autorinnen und Autoren aus den USA. Quasi als Beruhigung und Freude zugleich: Da drüben gibt es noch richtige Menschen, denen das Leben genauso nahe geht wie uns. Und nach den Worten von Gabriele Goldfuß ist Houston Leipzig auf gewisse Art sehr ähnlich als weltoffene und lebendige Stadt. Es ist sozusagen in Texas das, was Leipzig in Sachsen ist.

Die neue Leipziger Zeitung Nr. 59 ist da: Zwischen Überalterung und verschärftem Polizeigesetz: Der Ostdeutsche, das völlig unbegreifliche Wesen

Zwischen Überalterung und verschärftem Polizeigesetz: Der Ostdeutsche, das völlig unbegreifliche Wesen

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