Irgendwas mit Liebe wird kommen. Berge von Büchern, CDs und Filmen werden sich damit beschäftigen. Und drauflos schwindeln, dass sich die Balken biegen. In 99 Prozent der Fälle werden sie einem wieder nur den üblichen Höllentanz der Hormone als miese Story verkaufen. Aufgebrezelt zu einem melancholischen Aufguss, wo es nur um eins geht. Was mir übrigens bei Sebastian Lehmann jüngst so auffiel: Wo die Hormone schuld sind, braucht man für nichts mehr eine logische Erklärung.
Und tatsächlich ist ja sein Roman „Parallel Leben“ eine herrliche Persiflage auf die ganzen hochgejubelten Großromane der deutschen Nachkriegsliteratur, in denen die unter Nöten leidenden Bannerträger der Schwermut mit Bergen schwülstiger Kopfgeburten versuchten zu verstecken, dass sie eigentlich nur darüber schrieben, wie hormongetriebene Lehrersöhnchen all ihren Verstand ausschalteten, wenn es um die Jagd nach der Dorfschönheit ging.
Mit Liebe hatte und hat das alles nichts zu tun. Solche Romane werden ja immer noch in Serien hergestellt und mit Preisen überschüttet, weil ebenso triebentfremdete Unglücksgestalten in allerlei Jurys glauben, diese Romane übers chaotische (Spät-)Pubertieren hätten etwas mit Tiefgang oder Erzählkunst zu tun.
Dass bei den Menschen da irgendetwas schrecklich durcheinander geht, das wusste ja schon Spejbl, als er auf die Fragen von Hurvinek zum Thema „Was ist Liebe?“ immer verdrehtere Antworten gab. Die wahrscheinlich den Antworten vieler Väter geähnelt haben. Stellen Kinder heute überhaupt noch solche Fragen?
Oder Erwachsene?
Wenn sie sich noch trauen und nicht Angst haben müssen, dabei in der Sex-und-Kitsch-Ecke des deutschen Pop zu landen.
Die Deutschen sind zwar eifrig denkende Leute. Aber wenn’s ernst wird, verlieren sie sich in Geschwafel. Liebe als philosophische Rettungsrutsche. Nur nicht wirklich drüber nachdenken und den ganz hormonell bedingten Sex (mit all seinen chemischen Vermischungen) hochmeisterlich verquirlen mit einem christlich angehauchten Marienkult.
Jede Frau eine Marie.
Nur die richtige Frau – die verschwindet dahinter.
Und wenn das schöne Bildchen Kratzer bekommt, geht der ordentliche Deutsche herum und denkt übers Umtauschen nach.
Weil: Mit Liebe hat diese Art Vergesellschaftung ja nicht viel zu tun.
Liebe ist eher das, was in Ivana Sajkos „Liebesroman“ passiert.
Etwas Fatales. Denn sie liebt ihn wirklich. Und er sie wohl auch.
Aber sie tun sich nicht gut.
Oder mit den Worten des Verlages: Der Roman „führt uns in einen Krieg zwischen Küche und Schlafzimmer: Er, ein arbeitsloser Humanist, versucht die Welt zu verändern und einen Liebesroman zu schreiben. Sie, eine passable Schauspielerin, hat den sicheren Job im Theater gekündigt und kümmert sich um das gemeinsame Kind. Er ist berauscht, sie ist besorgt. Beide kreisen sie umeinander und dem Abgrund entgegen.”
Nu ja. Das mit dem Kreisen hab ich so nicht empfunden. Bin ja auch nur ein Mann. Und sehe deshalb wohl mehr seine Hilflosigkeit, die Sache zu retten. Denn (und das bekommt Ivana Sajko gut hin, das ist höllisch sauber beobachtet) in ihm wuchert die ganze Zeit der unbändige Wunsch, sie beide da rauszuholen, aus dieser finanziellen Misere. Was ihm nicht gelingen will. Und das lähmt ihn. Macht ihn fast handlungsunfähig. Kroatien ist – zumindest für studierte Humanisten – augenscheinlich ein trost- und jobloses Pflaster. Nicht mal als Brötchenschreiber bei der Zeitung kann er reüssieren. Denn er wird den Weltverbesserer in sich nicht los.
Das kennen Menschen wirklich, wenn sie wirklich mal „fallen in love“ sind, dann sind sie nämlich nicht den Hormonen verfallen, diesem Ausredenquark für unaufmerksame Allesrammler, sondern dem Menschen. Diesem ganz besonderen Menschen: seiner Stimme, seiner Art, sich zu geben, seinen Träumen, seiner Widerborstigkeit.
Wohl wissend, dass das verhängnisvoll sein kann, wenn dieser Mensch oder Mann nicht zur Welt passt. Und der hier ist nicht mal Tagträumer. Denn dieser Weltverbesserer hängt zwar oft genug besoffen im Sessel – aber er ist auch niedergedrückt von der Ohnmacht, die beschissene Lage nicht ändern zu können. Hin- und hergerissen zwischen seinem Wunsch, die Dinge draußen in der verramschten Welt besser machen zu wollen, und eigentlich auch diese, seine kleine Familie irgendwie zu retten.
Was er am Ende auch ganz unkonventionell tut.
Quasi als Stinkefinger für diese ganzen Scrooges und Hausordnungsverfasser, die das Leben ihrer Mitmenschen bis zum letzten Cent durchregulieren und ausquetschen wollen.
Oh ja, man wird auch wütend mit Sajkos Buch. Weil man die ganze Zeit merkt, dass die beiden – selbst als er die Tür hinter sich zuknallt – sich eigentlich die ganze Zeit anschauen und erkennen wollen. Richtig erkennen: als Mensch, als waches, aufmerksames Wesen.
Davor erschrecken die meisten. Das vermeiden auch die meisten, auch wenn sie mit Reis und Blumen und Pfarrer geheiratet haben. Nur ja nicht ernsthaft werden und in der Maria mehr sehen als die treudoofe Mutter der eigenen Kinder.
Das Buch ist nur ein Beispiel dafür, dass es geht. Dass man dem manchmal auch nicht entkommen kann, weil man ganz genau weiß, dass man sich damit die eigene Seele aus der Brust reißt, wenn man diese Nähe verspielt. Diesen Menschen verliert.
Wer so etwas erlebt hat, weiß, dass man sich dann tatsächlich nach der verlorenen Hälfte sehnt. Wie in der griechischen Fabel. Im Anderen spiegelt sich das, was einem wirklich wichtig ist. Das Gegenüber ist nicht nur romantische Projektionsfläche, sondern ein zuhörender Mensch. Oder noch schlimmer: Einer, der alles erspürt, der einen so gut kennt, dass man nicht mal Gefühle verstecken kann. Womit Männer ja ganz schwer umgehen können.
Was dann solche hilflosen Situationen ergibt, wie sie der Held in Sajkos Roman erlebt. Was beklemmend ist. Man versteht ihn ja und ist die ganze Zeit dabei, ihm von der Seitenlinie zuzurufen: Steh auf und kämpfe! Lasse dir das nicht gefallen!
Und das Schöne: Juliane Bergmann von NDR Kultur hat es ganz ähnlich empfunden: „Wir identifizieren uns und erkennen: So oder so ähnlich entgleiten uns allen manchmal die Dinge – Kommunikation, Ideale, Liebe. Wunderbar ist die schlichte, knackige Sprache des Buches, die laut hasst – und leise versöhnt (…) Dieser zwischenmenschliche Zauber, der abhandengekommen ist, oder zumindest vergessen wurde, vor allem aber: vergiftet vom Übel ‚da draußen‘. Kraftvoll und intensiv feiert Ivana Sajko diesen traurigen Umstand. Das ist unbedingt lesenswert.“
Na ja, die Autorin feiert den Umstand nicht wirklich. Eigentlich zeichnet sie ihn als unaushaltbar, weil das, wenn keiner die Sache in die Hand nimmt, in einem Fiasko endet. Auch weil Liebe eigentlich nicht vorgesehen ist in unserer heutigen Buchhalter- und Inkasso-Welt: Fürs Menschsein wird man jeden Tag kräftig zur Kasse gebeten. Da bleibt wenig Raum für die Gefühle, die man mit anderen Menschen teilen kann.
Vielleicht gewinnen deshalb auch die Rabiaten und Rücksichtslosen die Wahlen, die Narzissten und Kraftmeier. Da muss man sich auf nichts einlassen, weil man alles verachtet.
Toll.
Und was macht der Verlag Voland & Quist?
Er bringt die Autorin gleich zum Jahresanfang nach Leipzig.
Am Dienstag, 16. Januar, sind die kroatische Schriftstellerin Ivana Sajko und Clemens Meyer zu Gast im Literaturhaus Leipzig. Zusammen mit der Übersetzerin Alida Bremer stellt Ivana Sajko dort ihren „Liebesroman“ vor.
Der Termin:
Dienstag, 16. Januar, 19:30 Uhr im Literaturhaus Leipzig, Literaturcafé (Gerichtsweg 28). Eintritt: 4 Euro, ermäßigt 3 Euro.
Autorin, Übersetzerin und Moderator:
Ivana Sajko (geboren 1975 in Zagreb, Kroatien) ist Autorin, Regisseurin, Performerin, Mitbegründerin der Theatergruppe „BAD co.“ und Redaktionsmitglied des Kunstmagazins Frakcija. Für ihr literarisches Werk wurde sie unter anderem mit dem “Ordre des Arts et des Lettres” ausgezeichnet. Auf Deutsch erschienen zuletzt 2012 „Trilogie des Ungehorsams“ und 2015 „Auf dem Weg zum Wahnsinn (und zur Revolution)“.
Alida Bremer ist freie Autorin und Übersetzerin aus dem Kroatischen, Serbischen und Bosnischen. Für ihre Verdienste um die kroatische Kultur wurde sie mit dem Staatsorden der Republik Kroatien ausgezeichnet.
Clemens Meyer wurde 2006 mit seinem Debütroman „Als wir träumten“ bekannt. Für seinen Erzählungsband „Die Nacht, die Lichter“ erhielt er 2008 den Preis der Leipziger Buchmesse.
Ivana Sajkos Liebesroman, der wirklich von Liebe erzählt am Rande des Abgrunds
Ivana Sajkos Liebesroman, der wirklich von Liebe erzählt am Rande des Abgrunds
Keine Kommentare bisher