Da kommt etwas zu auf Leipzig, und zwar mächtig gewaltig. Die Leipzig-Premiere für Sir John Eliot Gardiners Buch „Bach. Musik für die Himmelsburg“. Ein mächtig gewaltiges Buch, nicht nur vom Umfang her. Deshalb gibt es die Buchbesprechung auch erst in den nächsten Tagen auf der L-IZ. Aber wer bei der Buchpräsentation mit dem Autor dabei sein will, sollte sich rechtzeitig Karten sichern.
Mit dem berühmten Dirigenten und bedeutenden Bach-Interpreten Sir John Eliot Gardiner hat sich ein Mann hingesetzt und sein ganz persönliches Bach-Buch geschrieben, der den mächtig gewaltigen Thomaskantor wahrscheinlich kennt wie niemand anders. Das soll keine Kritik sein an den Leipziger Bachforschern um Peter Wollny, auf deren Arbeitsergebnisse Gardiner gern zurückgegriffen hat. Tatsächlich bewundert er sie sogar, weil sie mit ihrer beharrlichen Detektivarbeit Dinge aus dem Leben des Kantors ans Tageslicht bringen, die die Bewertung Bachs und seines Leipziger Wirkens sichtlich verändern. Tatsächlich wird Bach gerade durch das Augenmerk auf die Alltagsbedingungen und die wirklichen Arbeitsbedingungen des Komponisten menschlicher, irdischer und komplexer.
Was der allgemeinen Notlage nicht abhilft, dass gerade das private Leben Bachs und sein gesellschaftlicher Alltag in Leipzig miserabel dokumentiert sind. Ein Grund könnte sein eigenes Verhalten sein, seine Unlust, Briefe zu schreiben oder gar solche Dinge wie Tagebücher oder aus was Forscher am Ende so ein Schicksal rekonstruieren können.
Oft genug bleiben nur die trockenen Akten, die aber – man kennt das ja aus dem ganzen Rest der amtlichen Leipziger Stadtgeschichte – fast nur über den Streit und den Ärger zwischen Bach und Stadtvätern berichten, um den Knatsch um seine Lehrerrolle in der Thomasschule, die schleichende Entwertung des Thomanerchores oder seine Renitenz. Und gleichzeitig schuf er in Leipzig ein Werk, das bis heute Forscher, Musiker und Liebhaber begeistert. Ein Werk, das nicht nur von einem Ausnahmekomponisten und einem großen Gläubigen erzählt, sondern auch Geheimnisse verrät.
Und da sind wir wieder bei Gardiner, der sich in die Musik Bachs als Praktiker wohl so tief eingearbeitet hat wie sonst keiner. Auch nicht die jüngeren Thomaskantoren. Denn Gardiner hat sich auch intensiv mit der nichtkirchlichen Musik Bachs beschäftigt, mit den mutmaßlichen Lücken in der Überlieferung und mit der Art, wie Bach seine Emotionen als Musiker und Mensch in die Partituren eingebaut hat. Vieles lässt sich zwar aufgrund der Entstehungszeit der Musikstücke nur vermuten. Aber Gardiner hat wohl Recht damit, wenn er Bach einerseits zutraut, all das, was er den Leipziger Engstirnigen nicht ins Gesicht sagen konnte, in eindeutige musikalische Passagen verwandelt zu haben. Und wohl auch damit, dass jeder, der damals der Kirchenmusik lauschte (wenn er überhaupt lauschen konnte), Bachs vertonte Kommentare zum Ärger mit der Obrigkeit (oder auch mal einem gefühllos eitlen Publikum) verstehen konnte. Und wohl auch verstand. Was den dauernden Krieg zwischen den Stadtherren und dem unangepassten Thomaskantor natürlich nicht entschärfte.
Veröffentlicht hat Gardiner sein Bach-Buch natürlich erst auf Englisch. Der Hanser-Verlag hat es jetzt ins Deutsche übersetzen lassen. Zum englischen Original sagte Simon Rattle: „Als ich dieses Buch las, wollte ich aufspringen und all die Musik hören, über die er schreibt – ob bekannt oder unbekannt. Eine wundervolle Schatztruhe!“
Was natürlich – siehe oben – an Gardiner liegt. Wer so einfühlsam die 300 Jahre alten Kompositionen entziffert, der steckt mit seiner Leidenschaft natürlich auch die Musikerkollegen an.
John Eliot Gardiner, geboren 1943 in Dorset, England (wo er noch heute einen Öko-Bauernhof betreibt), studierte Geschichte und Musik. 1964 gründete er mit anderen Studenten den Monteverdi Choir und legte damit den Grundstein für seine musikalische Weltkarriere. Mit dem ebenfalls von ihm initiierten Monteverdi Orchestra, den English Baroque Soloists und dem Orchestre Révolutionnaire et Romantique setzte er neue Maßstäbe insbesondere für die Interpretation der Werke Claudio Monteverdis und Johann Sebastian Bachs.
Mit Johann Sebastian Bach ist der weltberühmte Dirigent John Eliot Gardiner seit seiner Kindheit verbunden: In der Wohnung seiner Eltern hing ein Bild des Thomaskantors, dessen strenger Blick ihm auf dem Weg ins Kinderzimmer jedes Mal Furcht einflößte. Doch schon bald verwandelte sich die Angst in Bewunderung und Begeisterung, und mittlerweile prägt John Eliot Gardiner wie kein anderer die Art und Weise, in der Bach aufgeführt wird: auf Instrumenten, wie sie auch in der Barockzeit verwendet wurden, transparent, tänzerisch und höchst lebendig.
Nun liegt die Summe seiner Beschäftigung mit Bach in diesem Buch vor: ein Porträt, das dessen Biographie vor einem großen Panorama der damaligen Zeit präsentiert. Und was Gardiner natürlich auch erzählt, weil es die meisten Bach-Biografen einfach vergessen: Bachs Musik kommt aus einer Welt großer Ängste und großer Hoffnungen – Erfahrungen, die auch einem heutigen Hörer nicht fremd sind.
Die Leipziger Buch-Präsentation findet am Freitag, 4. November, im Festsaal des Alten Rathauses statt.
Beginn ist 20:00 Uhr. Mitwirkende sind Prof. Dr. Peter Wollny (Bach-Archiv Leipzig) und Sänger des Thomanerchors unter der Leitung von Thomaskantor Gotthold Schwarz. Die Veranstaltung findet in deutscher Sprache statt. Veranstalter sind das Bach-Archiv Leipzig, die Leipziger Buchmesse/Leipzig liest und der Carl Hanser Verlag.
Eintritt: 7,- / 5,- Euro. Karten: www.eventim.de
In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei
https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/10/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
Es gibt 2 Kommentare
Hallo Sabine,
schön das Du, nach kurzer Atempause, wieder aktiv dabei bist.
Deine fundierten Kenntnisse und beleghaften Aussagen sind unverzichtbar geworden.
Danke 😉
Mächtig gewaltig klingt süß.^^