Gottfried Wilhelm Leibniz ist ein problematischer Bursche. Ein kluges Kerlchen, keine Frage. Ein Universalgenie, auch das. „Digitalpionier“, irgendwie schon. Aber wie ist das eigentlich mit der „besten aller möglichen Welten?“ Für Regine Möbius und Stefen Birnbaum ist sie eine Steilvorlage für den 20. Leipziger Literarischen Herbst. Der findet vom 25. Oktober bis zum 1. November statt. Motto: „Beste aller möglichen Welten“.

Natürlich reizt das. Aufregen kann man sich über so eine These. Einer hat sich ja bekanntlich aufgeregt – so richtig und richtig nachhaltig: Voltaire, der 49 Jahre nach dem Erscheinen der „Theodizee“, in der Leibniz seine Idee vom bestmöglichen Zustand der Welt entwickelt hat, seinen „Candide oder der Optimismus“ veröffentlichte. Unter Pseudonym, weil er eigentlich einen ganz anderen Burschen kritisierte, einen bissigen König in Preußen. Aber seinen Leibniz hatte Voltaire auch gefressen. Sein Candide war schon bitter ernst gemeint. Und er ist modern bis heute. Er könnte einen russischen Namen tragen, einen afghanischen oder syrischen, es wäre genau die verfitzte Weltsituation, in der allerlei Mächtige und Übergeschnappte im Namen Gottes das Leben in eine Hölle verwandeln und die Welt verwüsten.

Auch den ewig optimistischen Pangloß wird es in dieser Form überall geben, der aus den schlimmsten Katastrophen mit verbranntem Fell herauskommt und dennoch nur sieht, dass die Sache eben doch gut ausgegangen ist. Dass er diese spezielle Naivität der Gutgläubigen nicht gemeint hat, hat Voltaire ja 1766 noch einmal deutlich gemacht, als er noch einmal die „Theodizee“ von Leibniz auseinandernahm. Denn am meisten störte ihn der Grundfehler in Leibniz’ Versuch, die Fehlerhaftigkeit in Gottes Welt zu erklären. In sich logisch ist die Leibnizsche Vorgehensweise. Da war er ganz Mathematiker (und eben nicht Philosoph): Aber er hat zwei Grundannahmen gesetzt, die Voltaire nicht akzeptieren konnte.

Und damit widersprach er auch der Leibnizschen These, dass Aufklärung ohne Religion nicht denkbar sei. Für Leibniz bringt erst Religion den Rahmen für eine gesellschaftliche Moral zustande. „Der wahre Zweck von Religion soll sein, die Grundsätze der Sittlichkeit tief in die Seele einzudrücken“, schreibt er.

Eine Position, die später Kant gründlich auseinandernehmen würde, anerkanntermaßen der deutsche Aufklärungsphilosoph per se, der in der Religion keinen Grund für irgendeine bewusste Moralität sah. Zu der kommt der Mensch erst, wenn er sich zur eigenen (geistigen) Freiheit durchringt und sich bewusst für ein moralisches Leben entscheidet. Was ungefähr auch Voltaires Position ist, der im „Candide“ ja ausführlich schildert, wie auch die aufgeklärten Fürsten die Religion missbrauchen, um ihre Zwecke zu ereichen. Und Friedrich Zwo galt ja nun einmal als der aufgeklärteste Fürst seiner Zeit.

Aber Leibniz steckte noch mit einem Fuß im alten Denken fest – das übrigens bis heute lebt und sich als neue Religiosität immer dort anbiedert, wo es eigentlich um Aufklärung geht, um Wissen und Klarheit.

Man kann sich also trefflich streiten über diesen Leibniz, der 1710 in seiner „Theodizee“ dann den Satz formulierte: „Gott hätte die Welt nicht erschaffen, wenn sie nicht unter allen möglichen die beste wäre.“ Oder etwas länger: „Unsere Welt ist die beste aller möglichen Welten, sie besitzt den maximalen Reichtum von Momenten und in diesem Sinne die größtmögliche Mannigfaltigkeit.“

Was übrigens wieder ein konsequent mathematisches Argument ist und kein philosophisches: das der größtmöglichen Komplexität.

Aber bei so einem Satz springen moderne Wissenschaftler im Kreis: Woher nahm Leibniz den wissenschaftlichen Beleg dafür, dass ein Gott die Welt erschaffen hat? Und die zweite kritische Sache: Woher nahm er die Annahme, dass dieser Gott zur Auswahl der richtigen zu schaffenden Welt einen „zureichenden Grund“ brauchte?

Wer sich mit Leibniz’ Gottesidee beschäftigt, wird einen Gott finden, der von vornherein in seinen Wahlmöglichkeiten beschränkt ist. Und der auch die Summe aller möglichen Welten schon vorfindet und nun nur noch eine Wahl hat: die richtige auszuwählen und zu schaffen. Das arme Schwein. Und als zureichenden Grund definiert Leibniz, es müsse zwingend die beste aller möglichen Welten sein. Und woran hat es Gott erkannt? Woran erkennt man die bestmögliche Welt, wenn es andere zum Vergleich nicht gibt?

Trotzdem hat Leibniz in den kommenden Jahren auf Philosophen, Mathematiker, Literaten gewirkt. Einige Fragen, die er so aufgeworfen hat, sind zwar längst beantwortet und teilweise ad acta gelegt, schwelen aber trotzdem noch vor sich hin. Wie der Widerspruch zwischen Determinismus und Freiheit, den Leibniz glaubte, aus der Welt hinausphilosophiert zu haben. Während Kant dann feststellte, dass der Fortschritt genau darunter litt und Leute miteinander diskutierten, die nicht mal zwischen Fremdbestimmung und selbsterrungener Freiheit unterscheiden konnten.

Das ist bis heute so. Und es ist Thema großer gesellschaftlicher Debatten – die aber zumeist weitab der platten politischen Debatten geführt werden. Das beste Beispiel ist der Satz von Angela Merkel: „Wir schaffen das.“

Den die Schmalspurdenker sich medial angeeignet haben und glauben, wenn sie nur laut genug schreien „Wir schaffen das nicht!“, hätten sie schon eine gesellschaftliche Debatte angestoßen. Tatsächlich hat die gern unterschätzte Bundeskanzlerin mit diesem Satz ein ganzes Feld der Freiheit eröffnet, so seltsam das klingt – von der Gewissheit, dass ein Land wie Deutschland alle Ressourcen hat, so viele Flüchtlinge aufzunehmen, andererseits aber auch genug mentale Freiheit, sich der Sache zu stellen.

Genug Futter für eine echte gesellschaftliche Debatte über Ressourcen, Freiheiten und Determination. Denn beherrscht wird die Diskussion von Leuten, die mit aller Geistesschwachheit an Determination und Fehlen von Wahlalternativen glauben (auch wenn sie das Wort Alternative groß in den Parteinamen schreiben, was umso seltsamer wirkt, wenn der Raum der Freiheit mental derart eingeengt wird).

Und so taucht Leibniz, dessen Todestag sich am 14. November zum 300. Mal jährt, nun doch noch etwas präsenter im Leipziger Leibniz-Jahr auf. Bis jetzt haben vor allem die Wissenschaftler das Jubiläum unter sich gewürdigt. Leipzig selbst hat es fast vergeigt, weil frühzeitig ein paar gebildete Leute fehlten, die mit dem 1746 in Leipzig geborenen Wunderkind tatsächlich etwas anfangen konnten.

Das holen jetzt die Schriftsteller auf ihre Weise nach, auch wenn der Literarische Herbst mit seinen 39 Veranstaltungen weit über den Rahmen Leibniz hinausgeht. Aber irgendwie passt auf den Mann, der sich so intensiv mit der Logik in der Welt beschäftigte, thematisch eine Menge.

Zum Beispiel die Frage: „Wie viel Utopie braucht die Literatur?“, über die am 26. Oktober in der Universitätsbibliothek zwei Philosophen, zwei Schriftsteller und ein Moderator diskutieren.

Oder die große Frage nach der Begegnung der Kulturen, die im Schumann-Haus von Wenchau Li aufbereitet wird, wenn er zu „Leibniz und China“ vorträgt.

Oder wie wäre es mit Frankreich, das traditionell im „Literarischen Herbst“ vertreten ist? Jean-Paul Mortin stellt am 27. Oktober im Institut francais sein Buch „Leibniz oder die beste der möglichen Welten“ vor. Eher ein Jugendbuch. Aber darin geht Mongin auf eine Frage ein, die Leibniz versucht hat, ganz mathematisch zu lösen: Warum gibt es das Böse? – Wer kurz darüber nachdenkt, merkt, dass die Menschen ihre Welt immer im Dual-System betrachtet haben. Und dass das Gute ohne das Böse nicht denkbar ist. Was ja bei Leibniz ganz verrückt wird: Denn erst die Existenz des Bösen gibt uns Freiheit zu wählen – und uns bewusst für das Gute zu entscheiden. So gesehen musste Gott in der besten möglichen Welt auch unbedingt das Böse einbauen, sonst hätte sie keinen Fortschritt und keine Freiheit kennengelernt.

Was direkt zu Mathias Enard überleitet, der am 28. Oktober im Haus des Buches aus „Kompass“ liest, einem Buch, das französische Kritiker schon als regelrechten Gegenentwurf zu Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ gesehen haben. Denn „Kompass“ beschwört die jahrhundertealte gegenseitige Befruchtung der Kulturen. Erst durch das Aufeinandertreffen von Orient und Okzident wurden in beiden Kulturen die Energien des kulturellen und wissenschaftlichen Fortschritts entfesselt. Das werden die Mauerbauer nie verstehen.

Und selbst die Idee von der „prästabilisierten Harmonie“ wird im Kanon der Veranstaltungen aufgegriffen: am 27. Oktober im Café Wagner. „Weltharmonie“  hat der GEDOK e.V. diese abendliche Auseinandersetzung mit der heutigen Suche nach Harmonie in der Welt betitelt.

Jüngst hatten wir hier schon einen echten Leipziger Leibniz gezeigt. Am 28. Oktober gibt es wieder einen, dann schlüpft Kurt Mondaugen mal in die Rolle von Gottfried Wilhelm Leibniz und Ulrich Johannes Schneider, Leiter der Uni-Bibliothek, schlüpft in die von Leibniz’ Zeitgenossen Christian Thomasius – und dann diskutieren die beiden über das Wesen der Welt.

Die Organisatoren des „Literarischen Herbstes“ haben die Sache mit Leibniz also sehr ernst genommen und ein anspruchsvolles Programm draus gemacht, das all jene Leipziger hinterm Ofen hervorlocken sollte, die in einer von Plattitüden gefluteten Zeit wieder mal richtige Anregung für ihre grauen Zellen haben möchten. Es gibt sie noch.

Das Programmheft zum „Literarischen Hebst“ soll am 26. September vorliegen, kündigt Steffen Birnbaum an. Auflage 8.000. Im Internet kann man sich jetzt schon informieren.

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