Er heißt Bernd Weinkauf, der Whistleblower, der mit fremder Leute Akten anrückt und ausplaudert, was er weiß. Aus Gästebüchern von Auerbachs Keller. Aber die Täter sind verstorben, Taten verjährt, nur Handschriften erhalten. Detektiv Weinkauf kam zur Ansicht: „Offensichtlich ist in Auerbachs Keller nicht unter null Promille geschrieben worden.“
Bernd Weinkauf hat quergelesen, ausgewählt, kommentiert, Personenbezüge hergestellt, verfolgt, wer evtl. wohin unterwegs war.
Königlicher Junggesellenabschied
„Carol I, der erste König von Rumänien war auf der Durchreise, um seine russische Prinzessin in Neuwied abzuholen, hier ist er eingekehrt und hat sozusagen den Junggesellenabschied gefeiert“, folgert Bernd Weinkauf kriminalistisch. Er scheute sich nicht, das internationale Personal von Auerbachs Keller und ihre Verbindungen zu Freunden und Verwandten in die Heimat zu bemühen, das Archiv der Alma Mater Lipsiensis und drei Bismarck-Museen zu bemühen „aber die sind vernetzt, ich stieß an allen drei Adressen auf dieselbe junge Frau.“ Es war dann doch ein anderer Bismarck als der, der mal Kanzler war… „Es sind viele kleine Geschichten geworden“, jubelt der heutige Gastwirt und Buchherausgeber Bernhard Rothenberger.
Kneipenlyrik war nicht gewünscht, zitierte der Autor die Inhaberin Christine Rothenberger, kam aber nicht umhin, doch einige Epsioden echten und unfreiwilligen Humors abzubilden:
„Welch unschätzbares Glück
Sich in Räumen zu befinden
In welchen jedwedes Stück
Vom grossen Goethe thut künden!“
So jubelt Max Fabian aus Berlin am 6. März 1885. Guck an, das ist beinahe 130 Jahre her …
„Wer etwas auf sich hielt im Reiche, war hier“
„Ich habe mehrere Napoleons gefunden, auch mehrere Shakespeares“, erinnert sich Bernd Weinkauf. Wer nur mal durchblättert findet bestimmt Bekannte, wie beispielsweise Dr. med. Heinrich Hoffmann, der sich auch Reimerich Kinderlieb nannte und den „Struwwelpeter“ dichtete. So viele Seiten, 360 an der Zahl, viel mehr Namen, 800 nämlich aus 40 Ländern. Bernd Weinkauf: „Von manchen hätten wir uns ja Eintragungen gewünscht, aber wir haben sie nicht gefunden. Ich behaupte: Wer etwas auf sich hielt im Reiche, war hier!“
Postkarten, Getränke- und Speisekarten sowie Zeichnungen erzählen eigene Geschichten: Wenn Faust und Mephisto vom Kellner bereits das Angebot in einer Mappe gereicht bekommen, heißt das, dass die Offerten nicht mehr nur auf Tafeln geschrieben wurden. Ausgewählt wurden Eintragungen aus rund 50 Bänden. Wer will, der kann nachsehen, ob bis 1912 Verwandte da waren. Denn da, zur Schließung von Auerbachs Keller am 31. März 1912 endet Bernd Weinkaufs Arbeitsetappe. Es soll weitergehen, ein paar Jahrzehnte würde er aber, sagt er, gern „anderen, jüngeren Historikern überlassen“. Ausgerechnet am 1. April 1912 wurde Auerbachs Hof abgebrochen, aber schon am 22. Februar 1913 wiedereröffnet! Ein für heutige Zeiten unvorstellbares Tempo von Planung, Ausschreibung, Abbruch und Aufbau …
Alte Weintrinker für morgen
Zurück zu den Akten und Personen: „Wir haben einen sicheren Datenträger gefunden, wir denken an die nächsten 200 Jahre – wir haben Papier genommen!“, bekundet der Schriftsteller Bernd Weinkauf und Auerbachs-Keller-Inhaber Bernhard Rothenberger ruft: „Wir wollen das hier vorhandene Wissen weitergeben, in einer Aufarbeitung, dass es wissenschaftlich belastbar ist. Man hätte das zwei, drei Generationen früher schon beginnen sollen.“ Aber da hatten die Leute andere Probleme.
Gastro-Tester
Gästebücher bringen – wohl oder übel – auch Testergebnisse: „Faust und Goethe werden immer wieder mal gelobt“, hat Bernd Weinkauf gelesen, „aber eine lobt auch mal den Kellner, sogar namentlich. Kritisiert wurde mal, dass es zu einer bestimmten Zeit kein Essen mehr gab. Ein fränkischer Weinhändler bemängelte, dass es keinen Frankenwein im Keller gab!“
Gästebücher im Tresorfach
Rund 50 Bücher gibt es seit 1851, wohlverwahrt bei den Eigentümern der Mädler-Passage. „Da ran zu kommen, ist immer, wie wenn man ans Tresorfach einer Bank will. Wir dürfen an die Bücher, aber nur unter Aufsicht. Man könnte ja was mopsen. Wollen wir aber gar nicht.“ Christine und Bernhard Rothenberger hatten neben dem Pachtvertrag noch einen Extra-Vertrag zu unterschreiben. „Das waren gut zehn Seiten nur über die Bücher. Wir sind jetzt die Besitzer, aber nicht die Eigentümer. Mit Ablauf der Pacht fällt der Vertrag zurück. Und das ist auch gut so.“
800 Euro für ein leeres Buch
Soweit die Nostalgie, denn mit dem Vertrag wurde es für Rothenbergers erst mal teuer: „Jeder Pächter hat ein eigenes Gästebuch zu stellen, in dem Format wie immer. Das es aber gar nicht mehr gibt. Das muss in Handwerksarbeit angefertigt werden und es ist schon ein komisches Gefühl, wenn man 800 Euro für ein Buch bezahlt, in dem gar nichts drin steht.“
Wichtige muss man bitten
Rothenbergers machen kein Geheimnis daraus, dass es Gästebücher in zwei Klassen gibt. Eins für alle, die sich verewigen wollen. In diesem Buch findet sich die Signatur Bill Clintons natürlich nicht. Denn beim anderen Buch entscheiden die Besitzer, wer hinein soll. Es gilt, es sollen Leute sein, von denen man auch noch nach 200 Jahren Kenntnis haben dürfte.“ Chef Rothenberger plappert auch aus, dass manche – zum Beispiel Politiker – danach drängen, sich ins Buch eintragen zu dürfen. „Aber die wirklich Wichtigen muss man erst bitten!“
Dass der Historiker des historischen Weinlagers, späteren Ausschanks und Restaurants samt Bier und Speisen namens Auerbachs Keller seit 1996 tatsächlich und echt den Namen Bernd Weinkauf trägt, wird in 200 Jahren vielleicht auch belächelt. Ab wann in Auerbachs Keller auch gespeist wurde, sucht der Historiker noch in Chroniken. Nahrhaftes gab es ja auch auf den Brot- und Fleischbänken gegenüber am Naschmarkt. Jahrhundertelang gab es im Keller nur Wein. Das erste Bier, das verkauft wurde, war englisches Flaschenbier!
Gasthaus bildet
Ob man nun heutzutage wichtig ist oder nicht, Sütterlin-Schrift von Be- oder Angetrunkenen zu lesen vermag, mit Bernd Weinkaufs Nachschlagewerk kann jeder behaupten „…ich habe im Gästebuch von Auerbachs Keller gelesen, dass …“
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