"O Captain, my Captain! Our fearful trip is done," lautet die erste Zeile eines Gedichts von Walt Withman. Mediale Berühmtheit gewann das Zitat durch den 1989 erschienenen Film "Der Club der toten Dichter" von Regisseur Peter Weir. Dort entdecken die jungen Schüler eines Internats durch ihren Englischlehrer die nicht ganz unproblematische Liebe zur Poesie.
Und genau diese Liebe zu der Poesie toter Dichter stand auch im Fokus der zehnten Ausgabe der Stallgespräche unter der Führung des Leipziger Autors Clemens Meyer. Das Format entstand unter dem ehemaligen Intendanten Sebastian Hartmann und glänzte mit Abenden die unter den Motti wie “Liebe, Porno, Trauer”, “Alle Glück der Erde liegt im Fleisch der Pferde” oder lediglich “Leidenschaft Briefmarke” standen. Jedes mal debattierte Meyer mit seinen Gästen in anspruchsvoller Manier über die jeweiligen Belange des Abends. Enrico Meyer mimte dabei den orphischen Kommentator, der in bester Sidekick-Manier für die musikalische Unterhaltung sorgte und mit der ein oder anderen Zwischenfrage die Diskussion aufzuwerten wusste.
Und so konnte man sich auch diesmal auf Heiterkeit mit Tiefgang freuen.
In der Galerie Laden für Nichts (Baumwollspinnerei) feierten Meyer und Meyer am vergangenen Donnerstag das gedichtete Wort verblichener Poeten. Ohne große Vorankündigung gehörte die Veranstaltung nach Angaben des Autors zum am besten gehüteten Geheimnis der Buchmesse. Trotzdem war der Raum gut gefüllt.
In diesem Club der toten Dichter – so das Motto des Abends – umgeben von den Bildern von Kathrin Thiele, las Meyer zu Beginn verschiedene Gedichte, die den Tod zum Gegenstand haben. Ob Heines böser Thanatos oder T. S. Eliots Verfluchung des grausamen Aprils, alle ausgewählten Poeme kreisen um die Themen Verlust, Ende und Vernichtung.
Noch größere Wirkung erreichte der Vortrag durch die erhobene Stellung des Vortragenden. Meyer saß auf einer Bühne, deren Fundamente aus Zeitungen und Bücher gefügt waren. Das in von unten anstrahlende Licht warf hoch aufstrebende farbige Schatten auf die Wand hinter ihm. Einer Predigt gleich hallten die Worte durch den pseudokathedralen Raum der Galerie und zeigten, dass Dichter eben doch nur physisch sterben. Das getane Werk überwindet den Tod in und durch den jeweiligen Rezipienten.
Als Gesprächsgast war die Fotografin Wiebke Loeper eingeladen. Der Grund dafür war die Veröffentlichung eines Buches des 2004 verstorbenen Fotografen und Schriftsteller Michael Schade, das im Spector Books Verlag erschienen ist. Loeper war Schade freundschaftlich verbunden. Und so wusste sie einige Anekdoten des an der HGB studierten Fotografen, der erst später zu schreiben begann, zu erzählen. Zum Beispiel durften Hotelzimmer in Ägypten für Schade nie mehr als drei Mark kosten. Wer mehr von Schade lesen will, dem sei das Buch “Irreguläre Tage” wärmstens empfohlen.
Nach dem Talk gab es dann noch eine Livekonferenz via Handy mit dem 1975 in London verstorbenen Dichter Rolf Dieter Brinkmann, der in Weißwasser gerade mit seinem Reh spazieren ging. Der Linksverkehr in England habe ihm die Worte genommen und auf die Frage nach seiner Ästhetik antwortete die Stimme am anderen Ende: “Haltet Euch wach, schlafen könnt ihr später!” Die immer wieder schwindende Verbindung zum Toten minderte das Amüsement keinen bisschen.
Als abschließende Totenfeier spielten Clemens Meyer und Uwe-Karsten Günther (Geschäftsführer der Galerie) auf Trompete und Gitarre den Rolf Dieter Brinkmann-Blues. Das abschließende Wort hatte dann aber Enrico Meyer: “Nur wer untertaucht, kann wieder auftauchen.”
Das gilt auch für die Stallgespräche. Wann sie wieder auftauchen werden, bleibt abzuwarten. Dass dem so sein wird, ist jedoch gewiss.
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