Novalis verstand es einst, dem Romantischen, dem Gemeinen, einen hohen Sinn zu geben. Dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten zu geben, dem Endlichen einen unendlichen Schein; das Triviale sollte wieder erhaben werden.

Dem folgt im Grund auch Walter Benjamin, wenn er bedauerte, dass das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit seine Aura verliert. Im Grunde sind wir seit der Romantik auf der Suche nach einem neuen Sinn, der die Risse der Moderne heilt. Diese Suche nach einem neuen heilenden Sinn verstärkt im Grunde die Globalisierung, die nicht nur Menschen, sondern ganze Kulturen auseinanderreißt.

Gegen die Entzauberung der Welt durch die Aufklärung setzte die Romantik die Wiederverzauberung der Welt durch eine ästhetische Revolution. Gegen den Geist der Rationalisierung sollte eine Mythologie der Vernunft gesetzt werden.

Die Vernunft meint hier nicht den Verstand, der wesentlich in den Kategorien der Kausalität denkt, sondern Vernunft wird romantisch verstanden im Sinne von Vernehmen, im Sinne von Hören auf das Sein.

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Die kausal geordnete Welt sollte entordnet werden. Das Leben sollte wieder in seiner geheimnisvollen Unverfügbarkeit, in seiner chaotischen Unberechenbarkeit verstanden werden. Das Unsagbare sollte zur Sprache kommen.

Durch Dichtung, Musik und Malerei sollte eine neue Art Religion nach dem Tode Gottes entstehen. Darin besteht die unabgegoltene Aktualität der Romantik. Die Romantik war Suche nach dem, was größer ist als wir und das uns erhebt aus „der niedrigen Häuser dumpfen Gemächer“ (Faust I).

In das romantische Wissen wird die Erfahrung unserer fünf Sinne einbezogen. Als Wissen gilt nun auch das Ahnen, Intuition, Fantasie, Einbildung, Einfühlung, Empathie und Sympathie. Es ist daher nur konsequent, dass die Romantik philosophieren als symphilosophieren versteht.

Damit wird das Verständnis von Intellektualität für andere Wissensformen, die normalerweise von der Wissenschaft als irrational betrachtet werden, geöffnet. Aber es ging nicht nur um die Thematisierung entwerteter Wissensformen, sondern damit verbunden ist die Thematisierung untergegangener Lebensformen.

In diesem Kontext sollte die Kultur neu erfunden werden. Die Liebe wurde neu erfunden. Das Leben sollte zum Kunstwerk werden. Hinter der Politik der Freundschaft steckte der Traum einer nicht entfremdeten Gemeinschaftlichkeit. Die Freude am Anderen und mit dem Anderen schien die Erlösung zu sein. In der Freundschaft sollte ein neues Schönes erzeugt werden.

Aber damit nicht genug: Gott war schon längst tot, also musste er neu erfunden werden. Weil wir offensichtlich in einer sich selbst aufklärenden, sich destruierenden Moderne nicht ohne Gott leben können. Die rasende Moderne zerstört die Träume von einem anderen Leben und gleichzeitig vermarktet sie diese. Die Romantikindustrie blüht wie nie zuvor. Die romantische Suche nach Liebe und Glück entgeht nicht der Entzauberung durch die Moderne.

Die rasende Moderne scheint anscheinend jeden tradierten Sinn zu zerstören. Der Mensch will Sinn. Die Frühromantik erlebt die Brüche und die Zerstörung von Kulturen nicht als Verlust allein, sondern als Prinzip der Evolution und versucht über ihre ästhetischen Prinzipien dieses Modell von Leben selbst zu gestalten.

Daraus leiten sich im Gegensatz zum klassischen maßvollen Gestalten neue Gestaltungsprinzipien ab, die sich in den verschiedenen Künsten, der Literatur, der bildenden Kunst, der Musik und der Philosophie um die Jahrhundertwende (19. Jh.) wiederfinden. Das Leben wird nunmehr wesentlich als Fragment begriffen und nicht mehr als vollendbare Totalität.

Die Romantik sucht eine neue Bindung im Zeitalter der Treulosigkeit. Hölderlin thematisiert das klassisch, wenn er nicht nur schreibt:

„Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht“, aber sofort bemerkt: „Vieles aber ist zu behalten. Und not die Treue.“

Für die Romantik ist Herkunft Zukunft. Sie stellt sich damit gegen eine alle Traditionen vernichtende Moderne.

Fünf Thesen zum Wesen der künstlerphilosophischen Romantik, zur romantischen Liebe

1. Die Romantik ist eine Reaktion auf die Entzauberung der Welt durch die Moderne.

2. Die Romantik will die Welt wieder verzaubern.

3. Die Romantik ist Bestandteil der Moderne.

4. Die Frühromantik ist eine dem Leben zugewandte Notbremse der Moderne.

5. Die Romantik ist gescheitert. Das, was einst gegen die instrumentelle Vernunft gerichtet war, ist Bestandteil der instrumentellen Vernunft geworden.

www.empraxis.net

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