In der Ausstellung „Body und Soul“, die sich auf Tizians „Amore Sacro e Amore Profano“ bezieht, spiegelt die Darstellungsweise des Körpers und der Seele tief verwurzelte antike Vorstellungen wider. Bis zum 17. Oktober ist die Ausstellung im Sächsischen Wartesaal des Hauptbahnhofs Leipzig zu sehen. Im Gespräch erzählt der aus Barcelona stammende Künstler Andreu Ginestet, worum es in der Ausstellung geht.

Der bekleidete Körper symbolisiert die irdische, vergängliche und oft sündige Existenz, während die nackte Figur die reine, ewige und göttliche Seele verkörpert. Diese duale Gegenüberstellung von Körper und Seele ist in der Kunst der Renaissance, inspiriert durch antike Ideale, besonders ausgeprägt.

Sie sind in verschiedenen künstlerischen Sparten zu Hause: Skulptur, Prosa, Foto, Malerei und Zeichnung. Die klaren Sparten lösen sich bei ihnen auf, treten in Dialog miteinander. Nichts scheint dabei unmöglich. Was treibt Sie an und wie werden Sie inspiriert?

Meine Intuition und der iterative Charakter meines Schaffensprozesses sind ein wesentlicher Teil meiner Arbeit. Oft wird mir erst im Verlauf des Tuns klar, wohin mich meine innere Reise leitet. So wie bei meinem Buch „Pax“, in dem ich parallel zum Text eine 13 Meter lange Zeichnung erstellt habe, die deutlicher macht, was der Text ausdrücken soll.

Jeder Abschnitt der Zeichnung im Buch ist direkt mit dem Text verbunden und vertieft den Gedanken, der dort geschrieben steht. Aber ich habe die Zeichnung mehrfach überarbeitet, immer wieder neu durchdacht. Wenn ich sie heute noch einmal zeichnen würde, sähe sie sicherlich wieder anders aus. Doch mein Antrieb bleibt immer derselbe: die Liebe zum Leben.

Diese Liebe zum Leben wurzelt in meiner Nahtoderfahrung im Jahr 1986, nach einem Schädelbruch. Vielleicht liebe ich das Leben gerade deswegen so sehr, weil ich den Tod innigst erfahren habe. Diese körperliche Erfahrung hat mir vor allem den Schmerz anderer nähergebracht. Weil ich diesen Schmerz so intensiv spüre, schaffe ich mit meiner Kunst eine Welt gegen Schmerz und Trauma, für das Verstehen der Anderen.

Das zentrale Thema der Ausstellung ist der innere Frieden, im Sinne einer Bedingung für den äußeren Frieden. Kann Kunst (und die Betrachtung dieser) den Menschen helfen, zum inneren Frieden zu kommen? Und wenn ja – wie?

Ich glaube fest daran, dass Kunst inneren Frieden erzeugen kann, wenn sie im Alltag präsent ist. Ausstellungen im öffentlichen Raum bedeuten mir besonders viel, weil meine Bilder dort eine paradoxe Intimität schaffen. Menschen kehren ihr Inneres nach außen, während sie die Kunst betrachten, im öffentlichen Raum, wo sie sich eigentlich eher verschließen würden.

In der Betrachtung meiner Werke deuten die Menschen intuitiv die Szenen, die sie nicht rational erklären oder aussprechen können. Sie werden in die Welt, die sie sehen, hineingezogen und öffnen sich vollständig, oft bis zu dem Punkt, an dem sie erneut wie Kinder werden. Ich sehe oft, wie Menschen in meinen Ausstellungen glücklich lachen, und genau das ist mein Ziel: geteiltes Glück, das sich durch die Teilung verdoppelt.

Wie kommen Sie – ganz persönlich – zu ihrem inneren Frieden?

Wenn ich male, Skulpturen erschaffe oder Texte verfasse, finde ich eine Ruhe, die mich tief erfüllt. Es ist dieses kreative Schaffen, das mir erlaubt, in eine Welt einzutauchen, in der ich ganz bei mir selbst bin. Während ich an meinen Werken arbeite, oft bis spät in die Nacht, verliere ich mich in den Details, in der Suche nach der perfekten Wirkung. Ich stelle mir vor, wie Menschen auf meine Kunst reagieren, wie sie Freude oder Erstaunen empfinden, und allein dieser Gedanke gibt mir Frieden.

Und manchmal bete ich. Es gibt Situationen, die so eine extreme Angst schüren, dass ich mit dem Universum kommunizieren muss. Dann bete ich. Doch am stärksten spüre ich den Frieden, wenn ich kreativ tätig bin. In der Kunst finde ich nicht nur Ausdruck, sondern auch Ruhe, Klarheit und eine Art inneres Gleichgewicht.

Skulptur von Andreu Ginestet in der Ausstellung „Body & Soul“. Foto: Susanne Tenzler-Heusler
Eine Skulptur von Andreu Ginestet in der Ausstellung „Body & Soul“. Foto: Susanne Tenzler-Heusler

Sie arbeiten auch immer wieder als Friedensdiplomat, haben viel gesehen und erlebt. Im Moment scheinen wir bei verschiedenen Konflikten sehr weit entfernt zu sein vom Frieden. Sind sie dennoch ein Friedensoptimist?

Ja, ich bin ein Optimist, vor allem, wenn es um den Frieden geht. Nicht naiv, sondern ein realistischer Optimist. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was Friedensdiplomaten erreichen können. Aber ich gebe auch zu, dass es eine äußerst erschöpfende Aufgabe ist, gerade für jene, die zwischen den Fronten verhandeln. Es gab Zeiten, da musste ich eine Pause einlegen, um wieder Kraft zu schöpfen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir als Team arbeiten, als Gemeinschaft, die sich gegenseitig stützt.

Was uns jetzt gerade fehlt, ist der Auftrag, die Unterstützung der Bevölkerung. Ohne Rückhalt in der Gesellschaft sind unsere Bemühungen kaum legitim. Antonio Gramsci sagte einmal: „Ich hasse die Gleichgültigen.“ Und ich verstehe ihn gut. Diese Gleichgültigkeit ist gefährlich. Menschen müssen verstehen, dass ihre Untätigkeit genauso folgenreich ist wie ihr aktives Handeln.

Wir sehen, dass immer mehr Menschen ihr Geld in Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall anlegen, ohne zu begreifen, dass sie damit ihren eigenen Untergang mitfinanzieren. Ich kann das nicht schönreden oder entschuldigen. Jeder Mensch hat die Macht, andere Entscheidungen zu treffen, und es liegt in ihrer bewussten Wahl, ob sie den Frieden fördern oder nicht.

Trotz dieser Herausforderungen bleibe ich optimistisch, weil ich an die Kraft der Menschen glaube. Ich weiß, dass sie vieles ändern können, wenn sie sich dazu entschließen. Ein Beispiel ist die Revolution in Costa Rica im Jahr 1948. Ein katalanischer Bauernsohn führte einen Putsch an, setzte die Junta ab, enteignete die Eliten und schaffte die Armee ab. Das Land schrieb eine grüne Verfassung und nationalisierte seine Währung.

Viele sehen Costa Rica als unbedeutendes Beispiel, aber das ist nichts als Feigheit. Es zeigt, was möglich ist, wenn Menschen die Verantwortung für ihr eigenes Schicksal übernehmen.

Ich bin bereit, die Rolle dieses katalanischen Bauernsohns zu übernehmen, aber ich finde nur wenige, die bereit sind, ihren Teil dazu beizutragen. Dennoch werde ich meinen Einsatz für den Frieden fortsetzen, selbst wenn ich eines Tages mit einem Lächeln auf den Lippen sterben muss. Denn letztlich liegt der Schlüssel zum Frieden in den Händen der Menschen, und ich werde nie aufhören, daran zu glauben.

Ihre Arbeiten werden in Leipzig auf wirklich ungewöhnliche Weise ausgestellt: in einem historischen Wartesaal im Leipziger Hauptbahnhof. Welche Herausforderungen gab es bei der Umsetzung der Ausstellung? Und wie kam es überhaupt zu dieser Ausstellung?

Zu der Ausstellung wurde ich von Thomas Oehme, dem Manager der ECE, eingeladen. Bei der Eröffnung erklärte uns Thomas Oehme, warum ihm meine Kunst gerade jetzt so wichtig ist.

In dem gleichen Saal, in dem meine Bilder ausgestellt werden, ereignete sich vor 111 Jahren etwas historisch Bedeutsames: Im Oktober 1913 fand dort ein Treffen der Siegermächte im Krieg gegen Napoleon statt, anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Völkerschlachtdenkmals. Dieses Treffen war das letzte große Zusammenkommen vor dem Ersten Weltkrieg, und es wurden damals die Weichen für den Krieg, der im Juli 1914 begann, gestellt.

Andreu Ginestet. Foto: Susanne Tenzler Heusler
Andreu Ginestet. Foto: Susanne Tenzler Heusler

Die Ausstellung zu realisieren, war mit vielen Herausforderungen verbunden. Die Größe der Werke und das Verhältnis von Werk zu Fläche spielten eine zentrale Rolle. Zudem war die begrenzte Höhe der Ausstellungswände ein Problem – meine drei Meter hohen Bilder konnten nicht ausgestellt werden. Auch die Lichtverhältnisse mussten sorgfältig bedacht werden, um sicherzustellen, dass alle Kunstwerke ausreichend beleuchtet werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt waren die Versicherungskosten. Da ich keine Originalgemälde mitbringen durfte, war ich gezwungen, digitale Abwandlungen meiner Werke zu produzieren. Das bedeutete einen enormen Arbeitsaufwand und hohe Investitionen.

Allein die Planungszeit erstreckte sich über drei Monate, und dennoch wusste ich, dass ich die endgültige Auswahl der Werke erst vor Ort treffen würde. Die Produktion der neuen Kunstwerke, der Transportkisten und die Rahmen, insbesondere für das zehn Meter lange Bild, dauerte weitere drei Monate.

Auch der Transport der Werke und die Auswahl vor Ort waren aufwendig. Ich hatte beispielsweise 60 Bronzen mitgebracht, doch nur neun wurden ausgewählt. Der gesamte Aufbau der Ausstellung nahm vier volle Tage in Anspruch. Es war eine logistische Herausforderung, die Ausstellung vollständig selbst zu organisieren und aufzubauen, aber das Ergebnis war die Mühe wert.

Ungewöhnlich ist sicher nicht nur der Ausstellungsraum, sondern auch die Art und Weise der Besucher:innen. Viele Betrachter/-innen sind auf der Reise, oft in Gedanken hier und dort, in einer Art Zwischenwelt. Sie sind bewusst sehr häufig in der Ausstellung anzutreffen. Was sind ihre Beobachtungen: Wie reagieren die Menschen auf Ihre Werke? Wie kommen Sie ins Gespräch? Können sie sich auf die Kunst einlassen?

Manche Besucher/-innen kommen nur kurz vorbei, werfen einen flüchtigen Blick auf die Werke und gehen schnell wieder. Mein Werk spricht nicht jeden an, und das ist in Ordnung. Doch es gibt ebenso viele Menschen, die lange verweilen, die Bilder aufmerksam und im Detail betrachten. Besonders auffällig finde ich, dass oft Familienväter mit ihren Kindern kommen. Die Kinder schauen oft erstaunt und mit Neugier auf die Werke, während die Eltern den Blicken ihrer Kinder folgen, fast als würden sie durch deren Augen sehen.

Allerdings löst meine Kunst auch kontroverse Reaktionen aus. Manche Menschen fühlen sich von so viel Mitgefühl überfordert. Dann sehen Sie Dinge in den Bildern, die sie nicht sehen wollen. In einer Zeit, in der viele Menschen stark von sozialen Medien geprägt sind, ist es fast unvermeidlich, dass sich einige mit den dargestellten Frauen vergleichen.

Sie sehen meine Frauenbilder und projizieren eigene Unsicherheiten darauf. Dabei sind die Frauen in meinen Bildern völlig normale Menschen. Ihre Schönheit kommt nicht aus einer idealisierten Darstellung, sondern aus dem liebevollen Umgang mit der Realität. Meine Werke sind schön, weil sie mit Liebe und Hingabe geschaffen wurden, und nicht, weil sie eine perfekte äußere Schönheit darstellen.

Ich glaube, meine Kunst stellt die Bildwelt, die viele aus sozialen Medien gewohnt sind, infrage. Das kann bei manchen Menschen Unbehagen auslösen. Sie sehen meine Werke vielleicht als etwas Fremdes an, etwas, das sie nicht sofort verstehen oder in ihre eigene Welt einordnen können.

Ich arbeite bewusst mit den Stilmitteln der Renaissance und kombiniere diese mit modernster Technik. Das weckt bei einigen Menschen sicherlich Gefühle, die sie vielleicht nicht einordnen können. Aber das ist für mich in Ordnung. Kunst soll schließlich auch herausfordern und neue Perspektiven eröffnen.

Wovon träumen Sie bzw. was wünschen Sie sich – sowohl als Künstler, als auch als Friedensdiplomat?

Meine Liste an Wünschen ist endlos. Aber ich will mal präziser werden, auch wenn ich diese Liste niemals vollständig abschließen werde.

An erster Stelle wünsche ich mir, dass Gier, Gewalt und Trauma nie wieder die dominanten Kräfte in unserer Welt sind. Ich träume davon, dass wir neue Grundregeln und Konventionen schaffen, die es den Menschen ermöglichen, sich von diesen destruktiven Kräften zu befreien. Ich wünsche mir einen Tag, an dem alle Waffen weltweit verboten werden, alle Armeen abgeschafft sind und jedes Verteidigungsministerium in ein Friedensministerium umgewandelt wird.

Diese Vision habe ich in meinem Film „Pareto For Peace“ ausführlich beschrieben – eine 3,5-stündige Liste von Wünschen, wie wir als Menschheit Frieden erreichen können. Der Film erklärt eine Strategie, nicht die konkrete Taktik, denn diese muss jeder für sich selbst finden. Ich wünsche mir, dass Menschen diesen Film sehen und darüber nachdenken, wie sie ihren eigenen Beitrag zum Frieden leisten können.

Estrategia de transición de un mundo violento a un mundo de paz y cooperación

Als Künstler träume ich davon, dass es nie Krieg gegeben hätte und dass nie ein Kunstwerk zerstört wurde. Wenn wir keine Zerstörung durch Kriege erlebt hätten, wie viele Millionen Kunstwerke würden heute noch existieren? Wie viele Gebäude, Behausungen und Orte wären voller Kunst? Diese Vorstellung ist für mich als Künstler von großer Bedeutung.

Wenn Kinder in einer Welt aufwachsen könnten, in der sie Kunstwerke von der Prähistorie bis heute umgeben, wie sehr würde das ihre Verbindung zur Menschheit vertiefen? Wie reich wären ihre sensorischen Erfahrungen und ihr Selbstwertgefühl? Ich wünsche mir, dass mit dem Frieden eine neue Ära beginnt, in der Kinder in einem Umfeld leben, das von Vertrauen, Freude und Kunst geprägt ist. Und in dieser Welt dürfte nie wieder Kunst zerstört werden – Kunst sollte der Bevölkerung gehören.

Schließlich hoffe ich, dass meine Bilder in vielen Familien einen Platz finden, selbst wenn es nur ein einziges Bild ist. Ein Bild reicht, um eine positive Wirkung zu entfalten, um ein Zuhause mit Kunst zu bereichern und etwas von meinem Wunsch nach Frieden in die Welt zu tragen.

Ich weigere mich, den Zustand der Welt als gegeben hinzunehmen, nur weil 80 % der Menschen krank sind. Wie Gabriele Wulfers von der Caritas Essen einmal sagte: „Ich möchte lieber als naiv gelten, als ein blutsüchtiger Mörder zu sein.“ Und William Booth brachte es mit einem Satz auf den Punkt: „Waffen gegen den Krieg zu nutzen, ist wie Schnaps gegen Alkoholismus.“

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Der Künstler Andreu Ginestet wurde bei einem Besuch in Dortmund 1964 geboren, wuchs in Barcelona auf, lebt vorwiegend in Spanien und Deutschland. Als Künstler bedient er weltweit private und institutionelle Auftraggeber und Sammler. Sein umfassendes Werk bildet eine einheitliche Kosmologie, von der monumentalen Plastik bis zu den Objekten für private Sammlungen. Seine Tätigkeit umfasst verschiedene Disziplinen wie Bildhauerei, Malerei, Zeichnung, Fotografie und Prosa.

Ausstellung Body& Soul. Andreu Ginestet. Sächsischer Wartesaal, Hauptbahnhof Leipzig (neben Starbucks, Gleisebene) vom 23. August bis 17. Oktober 2024. Weitere Informationen zur Ausstellung. 
Öffnungszeiten: täglich 10:00 bis 19:00 Uhr (auch sonn- und feiertags).

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