Mal abgesehen von den ideologischen Baustellen, die es im Hinblick auf die Kultur in Leipzig gibt (wir denken nur an diverse Clubs und Livespielstätten, die in den letzten Jahren der Gentrifizierung zum Opfer gefallen sind), fällt der Blick auch auf zwei ganz reale Projekte, die sich derzeit im (Um-)bau befinden. Da ist zum einen das Gleisdreieck in der Arno-Nitzsche-Straße, das einmal zu einem kulturellen Leuchtturmprojekt über städtische Grenzen hinaus werden soll.
Zum anderen geht es um die Messehalle 7, vielmehr um den Kopfbau Nord, in welchem momentan alles für die Wiedereröffnung der Distillery vorbereitet wird. Träger beider Projekte ist die Leipziger Club- und Kulturstiftung, die sich im Sommer 2019 gegründet hat in Reaktion auf die bevorstehende Verdrängung der „Tille“ und des TV Clubs. In beiden Fällen standen Entwicklungspläne für neue Wohnquartiere dem Weiterbetrieb im Weg.
Doppeltes Tempo auf der Alten Messe
Nachdem im Januar dieses Jahres ein letztes Mal die Lichter angingen in Ostdeutschlands ältestem Technoclub, wird nun auf Hochtouren im neuen Standort auf dem Alten Messegelände gewerkelt. „Wir stecken mitten in den Bauarbeiten für die neue ‚Tille‘, das nimmt sozusagen 150 Prozent und all unsere Kraft ein“, beschreibt Club-Chef Steffen Kache die aktuelle Lage. „Ein Projekt in dieser Größenordnung habe ich bisher noch nicht mitgemacht.“
Im Prinzip muss die komplette Club-Struktur neu geschaffen werden. „Wir haben nur die Hülle“, schmunzelt Kache. Die „Hülle“, das sind insgesamt 4.150 Quadratmeter Fläche, von welchen 1100 Quadratmeter als Außenfläche für die Distillery abfallen. Vom alten Standort, der nach dem letzten Tanz komplett ausgebaut wurde, hat das Team einige Teile mitgenommen.
Die kommen auch in der Messehalle 7 wieder zum Einsatz. Trotzdem: In den letzten Monaten floss viel Arbeit und Zeit in das Projekt. Es brauchte eine Be- und Entlüftungsanlage, Brandschutzwände, Stromleitungen, Schallschutzvorrichtungen.
„Gerade, was den Brand- und Schallschutz betrifft, sind die Auflagen natürlich hoch. Aber ohne das alles herzurichten, können wir keine Betriebserlaubnis erhalten. Für eine Übergangslösung ist das ein großes Investment.“ Immerhin zehn Jahre wurden dem Club als Interimszeit fest zugesprochen. Denn der eigentliche Plan für das Alte Messegelände sieht die Ansiedlung von Institutionen der Life Science vor. Das aber ist eine andere Baustelle.
Kultur gibt’s nicht umsonst
Finanziert wird der Umbau zum Club vor allem aus Eigen- und Fremdmitteln. Zur Belüftungsanlage hat der Freistaat Sachsen Mittel beigesteuert, die noch aus den Corona-Hilfen stammten. Weitere 50.985 Euro kamen aus einer Crowdfunding-Kampagne, welche von 657 Personen unterstützt wurde.
„Natürlich verschulden wir uns damit erheblich. Aber wir haben Lust auf das Projekt. So viele fragen: ‚Wann geht es endlich weiter mit der Distillery?‘ Das spornt uns an. Und in der Location kann etwas Tolles entstehen! Deshalb ist ganz klar: Wir ziehen das jetzt durch“, stellt Kache klar.
„Wir hoffen, dass wir Ende September oder Anfang Oktober eröffnen können – zumindest einen Teil. Der Rest, da geht es vor allem um das Obergeschoss, soll gegen Ende des Jahres, spätestens zu Beginn des neuen Jahres, fertig sein. Vielleicht gibt es aber auch einen ‚Baustellen-Rave‘, da stecken wir noch in den Überlegungen.“
Abgesehen von der „Tille“ werden Proberäume und Studios in die Messehalle 7 einziehen, genauso wie Büroflächen und Gemeinschaftsräume, die vor allem von Betrieben der Kreativ- und Musikwirtschaft genutzt werden sollen. Geplant ist der Auf- und Ausbau einer Community aus Kreativ-, Medien- und Musikschaffenden, die sich im besten Fall gegenseitig unterstützt und Synergien schafft. Mit dem Einzug auf das Alte Messegelände kann das „Music Hub“, welches vor allem für das Projekt Gleisdreieck in der Arno-Nitzsche vorgesehen war, seine ersten Schritte machen.
Was wird aus Leipzigs kulturellem Leuchtturmprojekt?
Apropos Gleisdreieck – wie weit sind die Arbeiten auf dem ehemaligen Bahngelände in Marienbrunn? 2019 hatte die Stiftung ihre Pläne zur Entstehung eines neuen Kulturzentrums auf der einen Hektar umfassenden Fläche bekannt gegeben. Einige Monate vorher hatte die Polizei das bis dato besetzte Gebäude, damals „Black Triangle“ genannt, geräumt.
Inzwischen hat sich zwar einiges getan auf der Großbaustelle, doch noch viel mehr Arbeit liegt vor den Betreiber*innen. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie sorgte für erhebliche Verzögerungen, ebenso wie noch immer andauernde Interessenskonflikte zwischen der Stiftung und Anwohnenden.
„Das eigentliche große Thema ist der Beschluss des Bebauungsplans“, so Kache. „Bevor das nicht passiert ist, können wir mit den Planungen nicht voranschreiten. Momentan läuft dazu der nächste Schritt der Öffentlichkeitsbeteiligung.“
Noch bis zum 30. Juni liegt der B-Plan öffentlich im Stadtplanungsamt (Ausstellungsbereich vor den Zimmern 496 bis 499) aus. Interessierte Bürgerinnen und Bürger können die Unterlagen außerdem online einsehen und sind dazu eingeladen, ihre Stellungnahmen zu den Planungen abzugeben. Der Beschluss des Bebauungsplans werde laut Stadtplanungsamt inzwischen für 2026 angepeilt.
„Dann können wir bauen. Zu Beginn werden die Clubs nicht einziehen, es geht erst einmal darum, die Flächen für Proberäume, Studios, Ateliers etc. fertigzustellen. Glücklicherweise haben beide Clubs, die ‚Tille‘ und der TV Club, momentan keinen akuten Druck, im Gleisdreieck einzuziehen.“ Vielleicht besänftigt das auch Anwohnende, die befürchten, mit der Eröffnung es Gleisdreiecks nachts kein Auge mehr zumachen zu können.
Kommt Zeit, kommt Rat
Momentan geht es auf der Baustelle vor allem darum, die Dächer, die in den letzten Jahren schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden, abzusichern und vor weiterem Verfall zu schützen. Dafür hat die Stiftung eine Förderung in Höhe von 540.000 Euro erhalten. „Wir wollen in diesem Jahr damit starten, aber die Arbeiten werden sich wohl in das nächste Jahr mit hineinziehen.“
Dafür, dass es 2020 noch hieß, das Projekt – oder zumindest die Umsiedlung der „Tille“ und des TV-Clubs – müssten bis Ende 2022 realisiert sein, ist inzwischen eher Geduld angesagt. „Wir machen keine Prognosen mehr. Allein die Beschlussfassung des Bebauungsplans verschiebt sich immer weiter nach hinten.“ Der ursprüngliche Plan sah den Beschluss für Ende dieses Jahres vor. Mal abgesehen davon, dass dann die wirkliche Arbeit noch bevorsteht. „Ich denke, vor 2030 wird das Gleisdreieck nicht ‚in Betrieb‘ gehen.“ Vielleicht wären Outdoor-Veranstaltungen schon vorher umsetzbar. „Generell ist es aber eher ein Blick in die Glaskugel.“
„Die Baustelle vor der Baustelle: Messehalle 7 & Projekt Gleisdreieck“ erschien erstmals im am 28.06.2024 fertiggestellten ePaper LZ 126 der LEIPZIGER ZEITUNG.
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