Ich habe etwas länger hin- und herüberlegt, in welcher Art ich diesen Text angehen möchte. Aus Gründen, die mir nicht ganz deutlich sind, fiel es mir schwer, einen Einstieg zu finden. Zu entscheiden, auf welche Art die Geschichte erzählt werden sollte.
Grundsätzlich halte ich viel davon, Berichterstattungen über Geschehenes möglichst nüchtern zu halten, sodass Lesende sich ihre eigene Meinung bilden können. In diesem Fall aber möchte ich es persönlicher gestalten, zumindest mir selbst und denjenigen, die diese Zeilen lesen werden, ein wenig Leichtigkeit schenken.
Immerhin bin ich minimal verkatert – gestern Abend war nicht nur die Eröffnung des Fotografie-Festivals f/stop, sondern auch noch FÄNCY-Party im Conne Island. Passend dazu begann der Einstieg in meinen „Kulturabend“ mit dem vom Livekommbinat organisierten Wahlpodium im Teergarten des Instituts für Zukunft (IfZ) zum Thema Nacht- und Clubkultur in Leipzig. Von eben diesem möchte ich berichten.
In Erinnerung an den Abend kommt mir noch ein Gedanke. Vielleicht war ein Grund dafür, dass mich das Podium etwas ratlos zurückließ: Es war – natürlich einzig und allein meinem persönlichen Empfinden nach – einfach nicht so spannend. Das lag weder an den Moderator*innen Kristin Marosi und Jörg Kosinski, die ihren Job hervorragend machten, noch an den Podiumsgästen, die allesamt zu jeder Frage eine passende Antwort liefern konnten, einander ausreden ließen und sich in der Materie auszukennen schienen.
Das lag auch nicht an der Thematik, schließlich interessiert es mich sehr, wie sich Leipzigs Clublandschaft in den nächsten Jahren entwickeln kann oder wird. Vielleicht war ich mit etwas überzogenen Erwartungen an den Abend herangegangen – Streit, hitzige Diskussionen auf dem Podium, gemeine Fragen des Publikums, neue Erkenntnisse …
Stattdessen vielmals parteiübergreifende Einigkeit. Vielleicht auch mal schön. Wobei – für Unterhaltung sorgten auf jeden Fall Michael Weickert von der CDU, der es sich während der Gesprächsrunde nicht nehmen ließ, Schnupftabak durchs Näschen zu ziehen. Ebenso Thomas „Kuno“ Kumbernuß (Die PARTEI), der für jede*n seiner Diskussionspartner*innen einen kleinen Diss parat hatte. Wie amüsant man Witze auf Kosten anderer findet, ist natürlich jede*m selbst überlassen.
Wie wichtig ist die Nachtkultur?
Aber von Anfang an: Der Ort der Veranstaltung stand natürlich schon seit Wochen fest, hätte vor dem Hintergrund der Bekanntgabe des nahenden Club-Endes symbolisch aber kaum passender sein können. Das IfZ ist einer von zahlreichen Clubs, die in den letzten Jahren von Leipzigs Bildfläche verschwanden bzw. verschwinden werden – wir erinnern uns an das So&So, das 4Rooms, die Distillery … Letzteres stimmt natürlich nicht ganz, schließlich hat die Tille „nur“ ihren Standort verloren, besteht als Club aber weiter und wird, wenn alles gut läuft, bald interimsmäßig in der Messehalle 7 ihren Platz finden.
Das Problem dabei: Die Alte Messe ist eigentlich vorgesehen dafür, in den nächsten Jahren ein Standort von Institutionen der Life Science zu werden. Das ist vom Stadtrat beschlossene Sache. Für die Tille bedeuten diese Pläne, dass sie in spätestens zehn Jahren wohl erneut weiterziehen muss. Diese Situation sei für einen Club nicht zumutbar, da sind sich die Podiumsgäste einig.
„Ein Club ist kein Verschiebebahnhof“, macht Jürgen Kasek (Bündnis90/Die Grünen) deutlich, Michael Neuhaus von der Linken pflichtet ihm bei: „Clubs leben auch davon, dass sie eine Marke sind, die bildet sich vor allem über Stetigkeit.“ Neuhaus und Kollege Kasek sind sich ohnehin in allen wesentlichen Punkten einig.
Der Grundtenor der beiden: Clubs sind Kultur und im Stadtrat möchte man alle Hebel in Bewegung setzen, um Leipzigs Clubs und Livespielstätten zu erhalten und zu unterstützen. Unterstützt werden sie in diesem Anliegen auch von Christina März von der SPD, die darauf hinweist, dass die bisher bestehende rot-rot-grüne Stadtratsmehrheit in den letzten Jahren gut zusammengearbeitet hat für die Stärkung der Leipziger Nachtkultur. „Clubs sind Teil der Identität sowie des Pluralismus‘ dieser Stadt“, bekräftigt die einzige Frau auf dem Podium, die derzeit neben ihrer Arbeit ein Zweitstudium absolviert. Welches Fach? Kulturwissenschaften.
Neben dem Feierspaß messen die Stadträt*innen bzw. diejenigen, die es noch werden wollen, den Stätten des Nachtlebens eine weitere wichtige Funktion zu: „Viele Clubs sind mehr als ein reines Vergnügungsviertel. An diesen Orten werden politische Positionen vertreten, das kann man gar nicht genug honorieren“, erklärt Thomas Kumbernuß. Neuhaus spricht gar davon, in Clubs politisiert worden zu sein. Als Orte des Austauschs und der Demokratieförderung müsse man ihnen viel mehr Bedeutung zusprechen.
Ginge es nach ihm, könne man noch eine gute Finanzschippe obendrauf legen, um diese zu unterstützen. Im Zuge dessen werfen die Podiumsgäste die Frage der institutionellen Förderung in den Raum. Ist es an der Zeit, umzuverteilen? Peter Jess von der FDP meint sich zu erinnern, dass 90 Prozent der städtischen Kulturförderung an Oper, Gewandhaus und Co. gehen.
Da schaue ich lieber noch einmal nach. Die Stadtverwaltung schlüsselt es auf ihrer Homepage für das Jahr 2023 wie folgt auf: „Im Jahr 2023 standen mehr als 11 Millionen Euro für die Förderung gemeinnütziger sowie kulturell-künstlerischer Einrichtungen und Projekte in freier Trägerschaft zur Verfügung. Davon flossen rund 8,5 Millionen Euro in die institutionelle Förderung.“ Ein Fakt, den Kumbernuß zur Frage aufschwingt: „Wollen wir ‚tote‘ Musik von verstorbenen Künstlern fördern oder wollen wir dafür sorgen, dass die Menschen, die heute aufwachsen, ihre Lebenswirklichkeit widerspiegeln können?“
Verwaltung im Schneckentempo?
Aber – da herrscht Einigkeit – die alleinige Verantwortung liegt nicht nur bei der Kommune. Man wünscht sich mehr Unterstützung von der Bundes- und Landesregierung – finanziell und auch bei der Bürokratie. „Es braucht Unterstützung vom Bund, z.B. wenn es um Veränderungen in der Baunutzungsverordnung geht“, bekräftigt Christina März.
Auch in der Leipziger Stadtverwaltung gebe es erhebliche Probleme, wirft Jürgen Kasek ein. „Es dauert bei den Ämtern zu lang, es gibt zu wenig Unterstützung. Bekräftigungen reichen nicht aus, ich möchte konkrete Handlungen sehen. Auf Bundesebene ist die Anerkennung von Clubs als Kulturstätten zwar beschlossen, aber noch lange nicht umgesetzt.“
Was allerdings eh nichts daran ändert, dass anscheinend – so zumindest die Ansicht der Diskutierenden – in Leipzigs Verwaltung nicht ausreichend untereinander kommuniziert wird. Da weiß das eine Dezernat nicht, was das andere macht und, so Weickert, „das Bau-Dezernat hat ein generelles Führungs-Problem.“ Man müsse sich auch fragen, mimt der CDUler den Spielverderber, wo an anderer Stelle Geld eingespart wird, wenn mehr in die Clubkultur fließen soll.
„Irgendwann ist das Geld zu Ende, an der Einnahmeschraube können wir nur begrenzt drehen. Es gibt nun einmal Interessenkonflikte – meist zwischen Wohnraum, der geschaffen werden soll und den Spielstätten. Wir müssen uns in der Politik entscheiden, was wir wollen.“
Man dürfe ebenso nicht vergessen: Auch die Verwaltung habe höhere Betriebskosten, weshalb an manchen Stellen die Moneten vielleicht nicht mehr ganz so locker sitzen. Persönliche Anmerkung: Das Wort „Moneten“ stammt von mir, nicht von Herrn Weickert.
„All die liebgewonnenen Stätten der letzten Jahrzehnte sind in einer Zeit entstanden, als hier noch der wilde Osten war. Vielleicht brauchen wir in erster Linie weniger Bekenntnisse, sondern ein stückweit die Kultur des Ermöglichens.“ Da stimmt sogar Jürgen Kasek zu. Für ihn liege das Problem zum Teil auch dabei, dass die Stadt sich nicht entscheiden könne. „Die Stadt Leipzig möchte Buchstadt sein – sie möchte Sportstadt sein, sie möchte Kulturstadt sein.“ Ist das eventuell ein wenig zu viel Wollen?
Wenn schon nicht entscheidungsfreudig, dann immerhin langsam – so sehen es die Kommunalpolitiker*innen. Mitunter dauere es Jahre, bis in die Umsetzung komme, moniert Michael Neuhaus. „Wenn ich sehe, wie lange es manchmal dauert, bis eine Ausschreibung herausgeht, wird mir übel. Wir beschließen im Stadtrat manche Sachverhalte zum Teil doppelt und dreifach. Man erhält den Eindruck, dass das durchaus gewollt ist. Wenn wir im Rat diskutieren, sind wir beschäftigt.
Wichtig ist aber, dass gehandelt wird.“ Zum Beispiel mit einem geeigneten Nutzungskonzept für den Kohlrabizirkus, den die Stadt 2021 gekauft hat. Das ist Zukunftsmusik für den neugewählten Stadtrat. Klar ist: Hier soll weiterhin Eishockey gespielt werden. Auch Kulturansiedlung ist gewünscht. Das IfZ muss trotzdem gehen.
Zukunftsmusik
Was kann die Stadt denn tun, um das „Clubsterben“ künftig zu verhindern? „Wichtig ist kommunales Eigentum. Wenn Clubs in Gebäuden angesiedelt sind, die der Stadt gehören, können wir die Miete regulieren“, wirft Neuhaus in den Ring. Kasek pflichtet ihm bei: „Wenn der Stadt die Clubkultur so wichtig ist, muss sie diese finanziell stärker fördern, beispielsweise über günstige Mieten.“ Der Grünen-Stadtrat fordert außerdem die konsequente Umsetzung des Leipziger Kulturkatasters (Übersicht über die Größe, Breite und Vielfalt der Kunst- und Kulturorte in Leipzig sowie deren Ortslagen und Verteilung im Stadtraum).
„Ein weiterer Punkt ist, dass wir als Stadt sowohl das Personal als auch die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen müssen, sodass beim Lärmschutz nachgerüstet werden kann“, meldet sich Neuhaus noch einmal zu Wort. Oftmals sei es doch so: Der Club existiert vielleicht bereits seit Jahren an seinem Standort. Auf einmal wird das Areal im direkten Umfeld von einem Investor aufgekauft und mit einem Wohnhaus bebaut. Es hagelt Beschwerden und früher oder später muss der Club weichen.
Einen Tipp für den Alltag hat Thomas Kumbernuß parat: „Wenn man die Clubs und Livespielstätten in Leipzig stärken möchte, sollte man sie auch öfter mal besuchen.“ So banal, wie es klingt – viele Clubbetreiber*innen berichten davon, dass sich das Ausgehverhalten seit der Corona-Pandemie verändert habe. Es kommen weniger Personen, die auch noch weniger Geld an der Bar lassen.
Bei stetig steigenden Preisen kein Wunder, jedoch Gift für die Clubkassen. Neben praktischen Tipps hat Kumbernuß aber auch den Wunsch nach einem Kompetenzzentrum, an welchem auch die Kontaktstelle Nachtleben angebunden ist. „Ein weiterer Schwerpunkt im Doppelhaushalt sollte sein, die Träger zu stärken, die auch mit der Clubkultur zu tun haben – beispielsweise das UT Connewitz oder das Werk2.“
„Wir müssen als Stadt auch ein ernst zu nehmender Partner sein“, bringt Christina März ein weiteres Argument an. „Versprechungen, die die Verwaltung bereits gegeben hat, müssen verlässlich und vor allem zügig umgesetzt werden. Clubs brauchen Planungssicherheit.“ Ebenso könne sie sich eine Beratungsstelle vorstellen, die Informationen über einzelne Förderprogramme bündelt und Unterstützung liefert bei entsprechenden Bewerbungen.
Peter Jess hat noch eine andere Idee: „Wir wollen uns einsetzen für eine bessere Verkehrsanbindung an die Clubs. Man könnte beispielsweise eine Buslinie ins Auge fassen, die die Spielstätten miteinander verbindet.“ Und Michael Weickert wirft sein Augenmerk auf das Gleisdreieck, das als „Leuchtturmprojekt“ als neues Kulturzentrum für Leipzig entstehen sollte.
„Wie geht es da eigentlich voran? Und wer bezahlt das Projekt, nachdem die erhofften Millionen aus den Strukturwandel-Mitteln herausgestrichen wurden? Der Stadtrat muss sich überlegen: Was wollen wir damit machen? Sollte das Projekt mit städtischem Geld gefördert werden? Auch dieses ist schließlich endlich.“
Endlich ist auch die Zeit auf dem Podium. Pünktlich um 19.40 Uhr muss das Gespräch beendet werden, da im IfZ eine Folgeveranstaltung stattfindet. Eine gute Zeit, um sich genüsslich ins Leipzigs Abend- und Nachtleben zu stürzen. Auf dem Fahrrad denke ich darüber nach, dass ich auch nach der Veranstaltung nicht viel schlauer bin als vorher. Ich wünsche mir einfach, dass die vielen – durchaus guten – Ideen, die wir an diesem Abend gehört haben, in der kommenden Wahlperiode umgesetzt werden können.
Natürlich würde ich mir auch wünschen, dass meine hier formulierten Gedanken über dieses Wahlpodium der einen oder dem anderen mehr Klarheit bringen für die Wahl am kommenden Sonntag.
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