Wer lange durchhält, darf auch Jubiläen feiern. So wie die Lene-Voigt-Gesellschaft, die im nächsten Jahr ihren 30. Geburtstag feiern wird. Aber auch am Dienstag, 28. Mai, gab es schon ein Jubiläum: Zum 25. Mal konnte die Gesellschaft zum Wettbewerb um das Gaggaudebbchen einladen. Da sind die Kinder und Jugendlichen gefragt, sich mit Texten von Lene Voigt auf die Bühne im Kabarett Sanftwut zu wagen. Schüchtern? Diesmal ganz bestimmt nicht.
Dafür sorgte auch ein wenig ein Gast, der sich mit der sächsischen Mundart bestens auskennt: Gunter Böhnke. Er sprang gleich zu Beginn auf die Bühne, um den anwesenden Wettbewerbsteilnehmern zu demonstrieren, wie man sich auf der Bühne Präsenz verschafft. Ein Mutmacher für die Schülerinnen und Schüler, die sich an diesem Tag trauten.
Und natürlich geht es ums Trauen. Das weiß jeder, der in der Schule zum Gedichtvortrag nach vorne musste. Alle schauen auf einen, alle spitzen die Ohren. Das Lampenfieber sorgt dafür, dass man den Text vergisst oder sich verhaspelt oder mit den Gedanken ganz woanders ist. Und zur Wahrheit gehört: Die meisten Schüler lernen das in Sachsens Schulen nicht, wie man da vorne Mut fasst, selbstsicher wird und Gedichte so vorträgt, dass es das ganze Publikum umhaut.
In diesem Fall: den Saal des Kabaretts Sanftwut, wo die Lene-Voigt-Gesellschaft seit Jahren regelmäßig gastieren darf, um den Wettbewerb ums Gaggaudebbchen auszutragen. Der war voll besetzt mit Eltern, Lehrerinnen, Vereinsmitgliedern, Neugierigen. Denn Überraschungen gibt es bei jedem Gaggaudebbchen-Wettbewerb. Hier werden Talente entdeckt. Oder entdecken sich selbst. Diesmal mit starker Beteiligung insbesondere aus der Schillerschule in Dresden und der Pestalozzi-Schule aus Böhlitz-Ehrenberg. Denn eins hat Klaus Petermann, der Vorsitzende der Lene-Voigt-Gesellschaft, gelernt: Ohne die Lehrerinnen und Lehrer, die das Sächsische in ihren Unterrichtseinheiten oder außerunterrichtlich anbieten, klappt es nicht. Das sind seine wichtigsten Verbündeten.
Sprache ist Heimat
Die auch abhanden kommen können diese engagierten Lehrer. Das wurde deutlich am Fehlen der Schüler aus der Lene-Voigt-Schule und dem Louise-Otto-Peters-Gymnasium, die in den vergangenen Jahren immer dabei waren und zeigten, wie viel Spaß die Gedichte von Lene Voigt beim Vortrag auf der Bühne machen können. Gedichte, in denen lauter Lebensweisheit versteckt ist, wie Klaus Petermann anmerken konnte. Dem es sichtlich Spaß machte, diesen 25. Wettbewerb ums Gaggaudebbchen zu moderieren. Dass ihn einige Vorträge regelrecht umhauen würden, damit rechnete auch er nicht.
Auch wenn er sich sicher ist: „Das Wichtigste sind die Kinder.“
Und das stimmt gleich in mehreren Dimensionen. Auch in der Dimension, die Petermann ebenfalls benannte: „Sprache ist Heimat“.“ Das klingt so schön provinziell. Aber jede Deutschlehrerin weiß, dass da alles drin steckt. Wirklich alles. Denn wer seine Sprache beherrscht, ihre Feinheiten und Nuancen, ihre spielerischen Momente, Pointen und Blitzlichter, der ist präsent. Als Sprechender. Als Mensch, der Aufmerksamkeit nicht nur wünscht, sondern auch bekommt.
Es stimmt: So deutlich wie bei diesem Wettbewerb wurde dieses psychologische Moment bislang eher selten hörbar. Was eben auch an der Arbeit der Lehrerinnen liegt, die ihre Schützlinge an diesem Tag auch begleiteten. Aber zuallererst an der Freude der am Ende 16 Kinder und Jugendlichen, die sich dem Publikum und der Jury stellten. Kostümiert und mit Spielfreude. Denn auch die kleinen, scheinbar so harmlosen Gedichte von Lene Voigt leben vom Spielwitz, zeigen kleine Situationen mitten aus dem Alltag, in denen das ganze menschliche Dasein steckt. Auch wenn sie 100 Jahre alt sind und manchmal erklärt werden muss, warum Leute eigentlich ihre Pelze ins Leihhaus tragen oder der Ofen gereinigt werden muss. Wer hat heute noch eine Ofen in der Wohnung?
Die Menschen, wie sie noch immer sind
Aber wie sehr auch heute noch das ganz normale Leben voller Erfahrungen und Erlebnisse steckt, wie sie Lene Voigt einst in Worte fasste, das wurde bei Kiera Soares mit dem „Friehlingslied“ genauso schnell deutlich wie in der „Erlgeenich“-Interpretation von Henrik und Tobias Hase. „Alte Hasen“, wie sie Petermann neckisch nannte. Denn manche Kinder kommen immer wieder zum Wettbewerb.
Dass Spielfreude und Ausdrucksstärke aber über die Wirkung im Publikum bestimmen, das zelebrierte schon Johanna Lucke aus der Dresdner Schillerschule, als sie das Gedicht „Vom Bäumchen das andere Blätter wollte“ nicht nur vortrug, sondern vorspielte. Eins dieser scheinbar verspielten Voigt-Gedichte, in denen ein zutiefst menschliches Problem augenzwinkernd abgehandelt wird. Und man merkte schon: Die Dresdner hatten sich etwas vorgenommen. Für Johanna Lucke wurde das am Ende übrigens ein verdienter 3. Platz in der Jury-Wertung – und dafür gab’s das eigens für den Wettbewerb getöpferte Gaggaudebbchen. Allein dafür lohnt es sich schon mitzumachen.
Und beinah wäre der 1. Platz nach Leipzig gegangen, an die „Behrenbande“, wie sich die drei Behr-Kinder Justus, Leni und Lisa selbst bezeichneten, als sie sich mit dem Stück „Uffn Gostiemfest“ für den Wettbewerb anmeldeten. Was der Saal ganz am Ende der Auftritte zu sehen bekam, war tatsächlich ein Kostümfest, ein lustvolles Kleiderwechseln und Übereinandertratschen, wie das in manchen der Voigt-Stücke so schön entlarvend zur literarischen Szene geworden ist. Und fast hatte man das Gefühl, die drei legen immer noch eine Schippe drauf, haben richtig viel Spaß an ihren wechselnden Rollen. Und waren dabei so präsent, dass im Grunde das ganze Anliegen des Wettbewerbs vor aller Augen sichtbar wurde: Die jungen Menschen dazu zu ermuntern, mit dem so ausdrucksstarken Leipziger Dialekt der Lene Voigt vor aller Augen Präsenz zu zeigen.
Königsdisziplin: Ballade
Denn darum geht es ja auch beim Thema Heimat: Sich in der Mundart seiner Heimat zu Hause fühlen, sie selbstbewusst zu benutzen und sich dafür nicht zu schämen, wie es einem andere Leute so gern einzureden versuchen. Denn Mundart ist auch Identität, etwas, das einen prägt und sichtbar macht – bzw. hörbar. Denn darum geht es im Leben: Dass man wahrgenommen und gehört wird. Und verstanden natürlich auch. Auch mit Dialekt. Denn im Dialekt stecken viele Schätze, die die Hochsprache gar nicht bieten kann. Davon leben viele Gedichte von Lene Voigt.
Und in einer Gattung ist sie damit geradezu lustvoll gespielt. Das sind die Balladen – die „Säggs’schen Glassiger“, die Deutschlehrerinnen durchaus gleich nach den „echten“ Balladen von Goethe und Schiller behandeln können. Oder sollten. Denn gerade weil Lene Voigt die Berühmten völlig gegen den Strich gebürstet hat, werden sie zu kleinen Sprengladungen allzumenschlicher Erfahrungen und Abgründe. Echter Abgründe, in denen wir uns alle zeigen – mal tapfer, mal zutiefst beschämt.
Und die Gelegenheit ließ sich Juri Pöhland aus der Dresdner Schillerschule nicht entgehen. Er trug nicht Schillers, sondern Lene Voigts „Dr Handschuhk“ vor. Oder besser: Er spielte ihn – mit allen Rollen, mit Bestien und eitler Kunigunde. Und das mit einer Souveränität, die jeder so gern gehabt hätte, damals, als man sich in der 8. Klasse noch vorm Gedichtvortrag fürchtete und vor der erwarteten Blamage vor der ganzen Klasse. Aber Juri zeigte, dass man keine Angst haben darf, sondern forsch ans Werk gehen muss: Nur der Ritter, der sich vor keiner Geste und keiner Bestie fürchtet, bringt sein Publikum zum Lachen.
Lebenswitz
Dafür gab es natürlich am Ende das größte Gaggaudebbchen. Hoch verdient. Wobei es der Jury – wie so oft – schwer fiel, sich auf die Preisträger zu einigen. Denn was die jungen Leute allesamt geboten hatten, war Spielfreude und Spaß an den Texten von Lene Voigt. Logisch, dass sich Klaus Petermann davon viel mehr wünscht aus sächsischen Schulen. Denn sie sind nun einmal der Ort, an dem die Kinder heutzutage überhaupt erst einmal mit den sächsischen Dialekten im Allgemeinen und den Texten von Lene Voigt im Besonderen in Berührung kommen können. Wenn sich Lehrerinnen und Lehrer dafür begeistern.
Und weil viele überhaupt erst einmal hören müssen, wie sich das anhört, veröffentlicht die Lene-Voigt Gesellschaft auf der Seite „Lene für Gleene” Hörbeispiele mit echten Lene-Voigt-Gedichten.
Natürlich bekamen alle teilnehmende Kinder und Jugendlichen ein Präsent. Hier geht niemand ohne Belohnung von der Bühne. Aber es ist eben noch etwas mehr. Etwas, was sich erst entfaltet, wenn die jungen Leute auf der Bühne zeigen, was für ein Lebenswitz in den Texten von Lene Voigt steckt. Ein Lebenswitz, in dem sich viele Sachsen wiedererkennen könnten, wenn …
… wenn sie nur ein klein wenig Neugier zurückgewinnen könnten auf den liebenswerten Humor, der tief im sächsischen Dialekt steckt. Lebenshumor. Es geht tatsächlich etwas verloren, wenn diese Mundart gänzlich verschwindet. Aber Klaus Petermann ist sich sicher: Auch der Gaggaudebbchen-Wettbewerb wird weitergehen.
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