Mit einer Gedenkfeier im Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli erinnert die Universität Leipzig am Donnerstag, dem 30. Mai, um 18 Uhr an die Sprengung der Universitätskirche St. Pauli vor 56 Jahren. Das spätgotische Gotteshaus war am 30. Mai 1968 auf Geheiß des SED-Regimes trotz zahlreicher Proteste in Schutt und Asche gelegt worden. Seit 2017 steht an seiner Stelle das Paulinum, das architektonisch an den Vorgängerbau erinnert und erneut als Aula wie als Universitätskirche genutzt wird.

Der Thomanerchor, der die diesjährige Andacht begleitet, wird unter anderem von Johann Sebastian Bach „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“ singen – eine Motette, die vor 295 Jahren in der Universitätskirche St. Pauli uraufgeführt wurde.

„Gegen Geschichtsbereinigung. Von der Notwendigkeit, mit Geschichte zu leben“ ist die Feier in diesem Jahr überschrieben.

„Die Sprengung der Universitätskirche 1968 wurde von der SED euphemistisch ‚Bereinigung‘ des Augustusplatzes benannt. Das war, wenn man so will, ungewollt ehrlich: Tatsächlich hatte es die Staatsführung auf eine Bereinigung von Geschichte, auf die Eliminierung von allen Einflüssen, die nicht zur Propaganda passen, abgesehen. Solche Geschichtsbereinigungen sind – wie gegenwärtig etwa das Verbot von Memorial in Russland zeigt – leider nicht aus der Mode gekommen.

Wir sind freilich nur so souverän, wie wir souverän im Umgang mit unserer Geschichte sind“, erklärt Universitätsprediger Prof. Dr. Frank Michael Lütze. Eine lebendige Erinnerungskultur, die die Schattenseiten der Geschichte nicht ausklammert, sei notwendig für eine humane Gesellschaft.

Der Universitätsprediger wird die Gedenkfeier gemeinsam mit der Rektorin der Universität, Prof. Dr. Eva Inés Obergfell, gestalten. Musikalisch wird der Gottesdienst begleitet vom Thomanerchor unter Leitung von Thomaskantor Andreas Reize und dem Universitätsorganisten Daniel Beilschmidt.

Die Sprengung

Am 24. Mai 1968 besiegelten die Leipziger Stadtverordneten das Schicksal der einstigen Universitätskirche St. Pauli am Leipziger Augustusplatz. Sechs Tage später wurde das Gotteshaus trotz zahlreicher Proteste gesprengt. Zuvor konnten in überhasteten Notbergungen der Hauptaltar und weitere Kunstschätze, darunter ein einzigartiges Ensemble akademischer Epitaphien, gerettet werden.

Der spätgotische Bau, der den Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet überstanden hatte, versank durch die Sprengung in Schutt und Asche und wurde durch ein Gebäude der Universität ersetzt.

Die Universitätskirche am Tag nach der Sprengung, Blick von einem kleinen Turmfenster der Nikolaikirche. Foto: Universitätsarchiv Leipzig; FS Ü00126
Die Leipziger Universitätskirche am Tag nach der Sprengung, Blick von einem kleinen Turmfenster der Nikolaikirche. Foto: Universitätsarchiv Leipzig; FS Ü00126

Zahlreiche Leipziger/-innen, die gegen die Sprengung protestiert hatten, wurden von der Staatssicherheit verhört und zum Teil zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Das seit 2004 neu errichtete Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli – ein Entwurf des niederländischen Architekten Erick van Egeraat – hält in seiner unsymmetrischen Fassade den Moment der Sprengung fest. Jedes Jahr am 30. Mai erinnern Universität und Universitätsgottesdienst gemeinsam an die Zerstörung des Vorgängerbaus.

Ein bronzenes Metallgrabmal, das in Erinnerung an die 1484 verstorbene Elisabeth von Sachsen entstanden und kurz vor der Kirchensprengung am 30. Mai 1968 gerettet worden war, soll Ende dieses Jahres an seinen angestammten Ort, nunmehr ins Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli, zurückkehren. Aktuell wird die Grabplatte gereinigt und konserviert. Elisabeth von Sachsen war die sozial wohl am höchsten stehende Person, die je in der Leipziger Paulinerkirche bestattet wurde.

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