Bei dem Namen klingelte es sofort: „Die Musikalische Komödie Leipzig hat einen wichtigen Künstler und Wegbegleiter verloren: Leonhard Czernetzki ist mit 87 Jahren in der Nacht zum 24.12.2023 verstorben“, meldete die Oper Leipzig am Feitag, 12. Januar, mit deutlicher Verspätung. Dabei hätte der Mann ein Sonderkonzert verdient, eine Ehrenmedaille, einen Preis für Hartnäckigkeit. Denn er meldete sich zu Wort, als sparbesessene Politiker die Musikalische Komödie nur zu gern geschlossen hätten.
Das ist gerade einmal zwölf Jahre her. Leipzig steckte seit sechs Jahren in immer neuen Spardiskussionen. Und insbesondere der Posten der Ausgaben im Kulturbereich wurde regelrecht misstrauisch beäugt. Denn anders als etwa die Landeshauptstadt Dresden muss Leipzig seine großen Kulturbetriebe so ziemlich komplett aus dem eigenen Haushalt bezahlen. Und das – obwohl sie – wie Oper und Gewandhaus – weit über die Grenzen Sachsens hinaus ausstrahlen und fester Bestandteil des Selbstverständnisses der Musikstadt Leipzig sind.
Die MuKo auf der Abschussliste
Und trotzdem schürten einige Fraktionen im Stadtrat die Angst, Leipzig könne sich diese Häuser nicht mehr leisten. Und entsprechend martialisch waren die Vorschläge, wie man bei diesen Kulturstätten „Synergien“ erschließen könnte, eins dieser verlogenen Worte aus dem Instrumentenkoffer des Neoliberalismus.
Da wurden Ideen von einem neuen „Theaterkombinat“ offeriert, die Zusammenlegung von Sparten, die Abschaffung gar des Balletts der Oper oder – am heftigsten und längsten diskutiert – die Schließung der Spielstätte Haus „Dreilinden“ und die Verlegung des Programms der Musikalischen Komödie mit ins Opernhaus.
Eine Idee, so smart und gnadenlos, dass ihre Verfechter geradezu ignorierten, dass das für beide Spielstätten ein massiver Qualitätsverlust gewesen wäre. In der Diskussion kam auch die gelinde Verachtung für die „Heitere Muse“ zum Vorschein.
Denn ins Opernhaus mit seinen vielstündigen Openinszenierungen ging ja das „anspruchsvolle“ Kulturbürgertum. Die Musikalische Komödie machte ja mit Operetten und Musicals eher Kunst fürs gemeine Volk.
Selbst der gestrenge Musikkritiker der LVZ, Peter Korfmacher, gestand damals ein, dass auch er erst einmal durch eigene Anschauung lernen musste, dass im „Haus Dreilinden“ ganz und gar kein niveauloses Programm für niveaulose Menschen geboten wurde.
Im Gegenteil: Die Leipziger MuKo, wie sie liebevoll genannt wird, ist eines der wenigen Operettentheater deutschlandweit, die so konsequent das heitere Genre pflegen. Und das auf höchstem Niveau, mit Künster/-innen, die den Saal zum Beben bringen können.
Bis heute.
Das Leben eines kenntnisreichen Musikers
Und das ist auch ein besonderes Verdienst von Leonhard Czernetzki, der damals die Freunde und Liebhaber der MuKo um sich sammelte, um für den Erhalt des Hauses zu kämpfen.
Das klingt in der kleinen Biografie, die die Oper verfasst hat, zumindest an: „Nach dem Studium an der Hochschule für Musik ‚Franz Liszt‘ in Weimar begann Leonhard Czernetzki 1960 sein künstlerisches Berufsleben als 1. Konzertmeister des Orchesters der Musikalischen Komödie.
Diese künstlerisch verantwortungsvolle Position füllte er über 40 Jahre und wurde 1972 mit dem Ehrentitel des Kammervirtuosen ausgezeichnet. Neben eigenen Kompositionen für Streichorchester und der Gründung des Kammerorchesters der Leipziger Theater sowie 2001 des Salonorchesters, lag ihm besonders die Operette am Herzen.
Er ließ nie einen Zweifel daran, dass die MuKo als Spielstätte alternativlos ist, und blieb ihr auch nach seinem aktiven Berufsleben mit der Übernahme des Vorsitzes des Vereins ‚Freunde und Förderer der Musikalischen Komödie Leipzig‘ treu. Mit fünf Themenbüchern hat Leonhard Czernetzki als Initiator und Autor wertvolle zeitgeschichtliche Zeugnisse und Erinnerungen zur Geschichte des Hauses und seiner Ensembles sowie generell zur Operette in Leipzig hinterlassen.“
Torsten Rose, Direktor der Musikalischen Komödie, sagt zum Tode des geschätzten Kollegen: „Die Musik war sein Leben und die MuKo seine musikalische Heimat. Mit Leonhard Czernetzki verliert die Musikalische Komödie der Oper Leipzig nicht nur einen großartigen, virtuosen Musiker, sondern auch ein Vorbild für außergewöhnliches ehrenamtliches Engagement. Dafür sind wir ihm sehr dankbar und werden sein Vermächtnis in Ehren halten. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl sind bei seiner Familie.“
Ein wichtiger Sieg gegen die Spardiktate
Zu den erwähnten Themenbüchern gehört sein 2012 veröffentlichtes Buch „100 Jahre Theaterbau ‚Haus Dreilinden‘“, in dem er die Geschichte der MuKo-Spielstätte in der Dreilindenstraße für all jene kenntnisreich erzählte, die nie wirklich wussten, was an diesem besonderen Spielort so besonders war.
2011 hatte er das große Buch zur Orchestergeschichte vorgelegt: „Das Orchester der Musikalischen Komödie/Oper Leipzig. 1906 – heute“, mit dem er den Ungläubigen erzählte, wie viel Profession in so einem auf das heitere Genre spezialisierten Orchester steckt.
2012 konnte also auch niemand in der Leipziger Ratsversammlung so tun, als hätte er keine Ahnung und das Haus in Lindenau sei einfach verzichtbar. Der Druck kam übrigens auch damals von außen: Die Landesdirektion genehmigte Leipzigs Haushalte immer wieder nur mit Ermahnungen und Auflagen. Der Sächsische Rechnungshof maßte sich an, die Leipziger Kulturausgaben ganz in der Manier sächsischer Finanzminister zu kritisieren.
OBM Burkhard Jung hatte deshalb als Entgegenkommen ein Gutachten beauftragt, das die Finanzierung der Leipziger Hochkultur beleuchten und dem Stadtrat Wege weisen sollten, ob und wie man die Kosten in den Griff bekommen könnte. Oder gar ganze Posten einsparen könnte. Das was das Actori-Gutachten, von dem anfangs auch die meisten Stadträtinnen und Stadträte überzeugt waren, dass man daraus kluge Streichungen in der Kulturlandschaft herleiten könnte.
Aber spätestens, als die wichtigsten Posten im Gewandhaus (Geschäftsführer und Chefdirigent) wieder einmal zur Wahl standen, wurde klar, dass die meisten Ratsmitglieder eigentlich auf eine strahlkräftige Hochkultur nicht verzichten wollten.
Und dass es in einer gerade wieder zur Blüte erwachenden Stadt wie Leipzig ein Unding war, jetzt ausgerechnet wichtige Kulturadressen zu eliminieren. Und als dann die Linksfraktion 2013 ein Investitionsprogramm für die Musikalische Komödie beantragte, war auch klar, dass es für eine Schließung des über Jahre vernachlässigten Hauses keine Mehrheit mehr geben würde. Im Gegenteil: Fortan würde sich der Stadtrat immer wieder mit schrittweisen Sanierungen im Haus „Dreilinden“ beschäftigen.
Wer das Haus heute besucht, sieht ein Haus, das in den letzten Jahren mit viel Liebe und Aufwand wieder für Jahrzehnte voller Musik hergerichtet wurde und trotzdem sein historisches Flair bewahrt hat.
Und das kleine und das große Glück für Leonhard Czernetzki war: Er hat das alles noch miterleben können. Dieser große Kampf in seinem Leben hat sich gelohnt.
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