24 Schädel und vier Haarproben der indigenen Rapa Nui lagern im Leipziger Grassi-Museum. 1882 wurden diese von Wilhelm Geiseler, dem Kapitän des deutschen Kanonenboots „Hyäne“, von den Osterinseln geraubt. Die indigenen Rapa Nui fordern die Gebeine ihrer „Ivi Tupuna“, ihrer Ahnen, zurück. Doch das ist nicht so einfach.
Denn die Aktivist*innen und Künstler*innen Evelin Huki und Santi Hitorangi fordern es an der Staatsregierung Chiles vorbei. Der Grund: Sie trauen ihr nicht. Das ist ein Präzedenzfall. Denn sogenannte Repatriierungen, also die Rückgabe von Gebeinen oder Gegenständen aus kolonialen Unrechtskontexten, erfolgt normalerweise zwischen Staaten.
Auch die Frage der Kosten ist ungeklärt. Gegenüber dem Spiegel äußerte das Auswärtige Amt, dass man daran arbeite. 2019 gründeten Huki und Hitorangi, der auch als Vertreter der Rapa Nui an der Deklaration der Rechte indigener Völker der UN mitwirkte, die Kampagne „Repat A Take“, um die Gebeine ihrer Vorfahren zurück nach Rapa Nui zu holen. Im April dieses Jahres starteten sie ein Crowdfunding, um ihre Ziele zu erreichen.
Misstrauen gegenüber Chile
1888 annektierte Chile Rapa Nui, auf Deutsch Osterinseln genannt, als Marinestützpunkt. Bereits vorher war durch die Verschleppung durch peruanische Sklavenhändler und Vertreibung durch den schottischen Unternehmer John Brander die Gesamtpopulation auf 150 Menschen gesunken.
Unter General Pinochet wuchs die touristische Bedeutung der Osterinseln. Knapp 8.000 Menschen leben laut Zensus 2017 dort, 40 Prozent identifizieren sich als Rapa Nui. 2010 kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen chilenischen Sicherheitsbeamten und Rapa Nui. Diese hatten Gebäude besetzt, um ihr Land zurückzufordern.
Gegenüber dem Spiegel äußerte Huki die Angst, dass ihre Ahnen im Völkerkundemuseum der Insel landen könnten. Dann wäre keine traditionelle Bestattung möglich.
Repatriierungen in Leipzig
Seit einigen Jahren steigt der zivilgesellschaftliche Druck auf deutsche Museen, geraubte Kunst und Gebeine zurückzugeben. Einer der bekanntesten Fälle sind die Benin-Bronzen, zu deren Rückgabe sich Deutschland und Nigeria im Sommer 2022 einigten – ebenfalls in die Hand des Staates.
Auch aus dem Leipziger Grassi-Museum wurden im Dezember 2022 bereits drei Benin-Bronzen an Nigeria übergeben. Im November desselben Jahres übergab das Museum menschliche Überreste an Australien. Im Mai dieses Jahres begleitete eine Delegation der indigenen Māori und Moriori menschliche Überreste von 64 Ahnen nach Neuseeland.
Laut der AG Leipzig Postkolonial stammen mindestens 70 bis 80 Prozent des Bestands des Grassi-Museums aus der Zeit des deutschen und europäischen Kolonialismus. Dabei handelt es sich um „Artefakte, die u. a. als Gebrauchsgegenstände, rituelle Gegenstände, auch Kunst, in einigen Fällen aber auch als Objekte gesehen wurden, die eine eigene Handlungsmacht besitzen und daher von Menschen aus den jeweiligen Gesellschaften als Subjekte verstanden werden.“
Die Kosten der Repatriierungen werden laut Leipzig Postkolonial oft durch die indigenen Communities beziehungsweise durch spezielle Repatriierungsprogramme der Herkunftsstaaten getragen. In Deutschland ist die Kostenübernahme indes ungeklärt.
„Hier braucht es ganz klare Regelungen einer Kostenübernahme von Bund und Ländern als eine tatsächliche Verantwortungsübernahme für koloniales Unrecht“, so Leipzig Postkolonial gegenüber der Leipziger Zeitung (LZ). „Es fehlen Mittel des Bundes und der Länder, auf die Angehörige, indigene Gruppen und Repatriierungspraktiker*innen für ihre wichtige Arbeit zurückgreifen können. Oft sind auch Visabeschränkungen im Weg, um die Zusammenarbeit wirklich zu ermöglichen.“
Grundsätzliche Kritik am Umgang der Museen
Leipzig Postkolonial übt grundsätzlichere Kritik am Umgang von Museen mit Repatriierungsforderungen. Es sei unter anderem eine „Aneignung der Kritik“ an den Museen zu beobachten. So experimentierten diese mit neuen Ausstellungsformaten oder dem Umbau von Dauerausstellungen. Gleichzeitig müsse man aber immer hinterfragen, wer mit diesen Ausstellungen immer noch Geld verdiene, während Menschen aus schwarzen und indigenen Communities und Communities of Colour Jahrzehnte „unbezahlt den deutschen Kolonialismus und seine Gegenwart in Form von Rassismus aufgearbeitet (…) haben“.
In Leipzig hat nicht nur das Grassi-Museum, sondern auch das Ägyptische Museum und die Anatomie der Uni Leipzig, das Naturkundemuseum und das Leipziger Missionswerk sich an dem Raub von Artefakten oder Gebeinen beteiligt oder davon profitiert.
Noch 900 Euro fehlen bis zum Spendenziel der 2.000 Euro von Huki und Hitorangi. Ob die Restitution mit der Rückführung abgeschlossen ist, bleibt jedoch fraglich. Der Guardian berichtete, dass das Benutzen von Pestiziden in den Lagern der Museen die Gebeine derart verseucht haben könnte, dass Handschuhe und Gesichtsmasken nötig seien. Ob die traditionelle Bestattung so überhaupt möglich sei, steht infrage.
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