Ab August reisen Kreative aus dem In- und Ausland für die diesjährige Industriebrachenumgestaltung – kurz ibug – nach Leipzig. In mehreren Etappen gestalten sie zur 18. Auflage des Festivals für urbane Kunst das brachliegende Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks (RAW) „Einheit“ im Stadtteil Engelsdorf mit einem breiten Spektrum verschiedener Kunstarten zwischen Malerei und Graffiti, Installationen und Multimedia.

Knapp 800 Künstler/-innen aus insgesamt 73 Ländern hatten sich für die ibug 2023, die bei ihrer Premiere in Leipzig im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Die ganze Stadt als Bühne“ stattfindet, beworben. Rund 80 Solisten, Duos und Kollektive sind nun eingeladen, sich auf dem Areal zu entfalten und Innenräume wie Außengelände während der zweiwöchigen Kreativphase in ein buntes Gesamtkunstwerk zu verwandeln. Dabei werden auf einer Ausstellungsfläche von knapp 10.000 Quadratmetern rund 300 Spraycans und 1.000 Liter Farbe sowie jede Menge Gips und Beton verarbeitet.

Stippvisite im RAW

LZ-Fotografin Sabine Eicker hat den Ort des Geschehens schon einmal unter die Lupe genommen, einen der noch erlebbaren Lost Spaces in Leipzig. Am Wochenende waren die Vorbereitungen für die ibug in vollem Gange. Immerhin musste das 1905 in Betrieb genommene Reichsbahnausbesserungswerk in Engelsdorf für die geplanten Aktionen erst einmal betriebssicher gemacht werden. Nach 1990 verlor das Betriebswerk, das 1989 noch 2.300 Menschen beschäftige, nach und nach seine Rolle als Ausbesserungswerk. Nur auf einem kleinen Teil des Geländes werden noch Schienenfahrzeuge gewartet. Die leer stehenden Hallen auf dem Gelände sind dem Zahn der Zeit ausgesetzt.

Wände müssen geweißt, Löcher im Boden standsicher geschlossen und die zum großen Teil zersplitterten Fensterscheiben komplett entfernt werden, um während der ibug mögliche Unfälle zu vermeiden. Videos und Fotostrecke geben einen Eindruck vom Zustand der Gebäude, die schon in den vergangenen Jahren immer wieder Streetart-Künstler anzogen, die in den leeren Gebäuden ihre Bilder hinterließen.

Was kann man zur ibug 2023 erwarten?

Neben ibug-Alumni und neuen Gesichtern aus ganz Deutschland werden auch viele internationale Gäste in der Messestadt erwartet – von Großbritannien bis Italien, von Portugal bis Georgien, von Japan bis in die USA. Die wohl weiteste Anreise hat in diesem Jahr Gabs aus Brasilien, der schon 2019 bei der ibug zu Gast war. Seine Werke sind von japanischen Motiven inspiriert und finden sich auf Leinwänden, Verkehrszeichen oder großflächigen Wänden und Fassaden.

Aus Leipzig selbst sind insgesamt elf Kreative bzw. Kollektive dabei. Wie André Schmidt, der „Ministreetart” und Miniaturräume kreiert. Oder das Trio Florian Milker, Hannes Pogurzelsky und Robert Piehler, die auf der ibug eine Schatzsuche mit Augmented Reality installieren wollen. Alte Bekannte sind Elias Lory und Gregor Gogolek, deren schwarze Buchstaben auf weißem Untergrund schon bei vergangenen Festivals als großflächige Malereien zu sehen waren.

Markante Dominante des RAW in Engelsdorf: der rote Wasserturm. Foto: Sabine Eicker
Markante Dominante des RAW in Engelsdorf: der rote Wasserturm. Foto: Sabine Eicker

„Das alte Reichsbahnausbesserungswerk in Engelsdorf ist eine facettenreiche Brache, in der es immer wieder Neues zu entdecken gibt. Wir sind gespannt, inwieweit sich die Künstler/-innen von diesem Ort und seiner Geschichte inspirieren lassen und vorhandenes Material und Räume für ihre Kunstwerke und Installationen nutzen“, erklärt Paula Jörk, die im Festivalteam für die Betreuung der Kreativen zuständig ist.

ibug: Zwischen Industriegeschichte und Kunst

Seit der ersten Industriebrachenumgestaltung, die 2006 auf Initiative des Künstler „Tasso“ in Meerane stattfand, hat sich die ibug zu einem weltweit bekannten Festival für urbane Kunst entwickelt. Jedes Jahr wird dafür eine Brache in Sachsen als temporäre Ausstellung geöffnet, bis 2022 im Chemnitzer Raum bzw. im Vogtland. Im Fokus der internationalen Künstler/-innen steht traditionell das Experiment mit Genres, Materialien und Techniken ebenso wie die Vergangenheit der Brache und ihre Architektur.

Das Team der ibug wurde vielfach für sein Engagement ausgezeichnet, u. a. 2010 mit dem „PlusPunkt Kultur“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung, 2019 beim „So geht Sächsisch“ Ideenwettbewerb für Tourismus in Sachsen sowie 2020 beim Wettbewerb „Denkzeit Event“ des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Kultur und Tourismus.

Das RAW „Einheit“ in Leipzig-Engelsdorf

Entstanden ist das Reichsbahnausbesserungswerks (RAW) ab 1903 als Folge des geplanten Neubaus des Leipziger Hauptbahnhofes und den damit verbundenen Auslagerungen vieler Nebenanlagen zur Baufeldfreimachung. Es diente über Jahrzehnte unter verschiedenen Staatsunternehmen der Instandsetzung von Dampflokomotiven, Personen- und Güterwagen. Nach Ende der Dampflok-Ära kam mit dem Neubau von Güterwagen ein neues Arbeitsfeld hinzu.

Noch führen aktuell Gleise in die verlassene Ausbesserungshalle. Foto: Sabine Eicker
Noch führen Gleise in die verlassene Ausbesserungshalle. Foto: Sabine Eicker

Durch die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 und die Bahnreform 1994 verlor das Werk zunehmend an Bedeutung und stand mehrmals kurz vor der Schließung. Heute werden in einem Teilbereich des Geländes durch ein privates Eisenbahnunternehmen noch immer Dienstleistungen in der Wageninstandhaltung angeboten, große Teile liegen jedoch brach oder sind fremdvermietet.

Die Künstler/-innen der ibug 2023:

Albin Uhlig (DE), Alva Moca (ES), André Schmidt (Leipzig), ANEL (GR), Arda (Dresden), ATEZ (IT), Benjamin Duquenne (FR), Bernhard McQueen – BRNZN (DE), bet.one_ds (Leipzig), Billy (UK), Bisser (BE), Blaqk (GR), BRAINFART (CH), Brothers of Light (IL), Chiara Dahlem (DE), Dawal (FR), Dies Irae (DE), Dr. Yo (DE), DTA-Kollektiv (DE), EJSMONDT (PL), Element-Art (DE), Elisa Veronelli (IT), Facio (AR), Florian Milker, Hannes Pogurzelsky & Robert Piehler (Leipzig), Fogeljunge (Leipzig), Freizeitgruppe Gestaltung (DE), Fritten Freddie (Hamburg), Gabs (BR), Gregor & Elias (Leipzig), IBIMS (DE), Infra (DE), Isakov (DE), Juliane Hoffmann (Leipzig), Kai Semor (Köln), Kampus (PT), Karlfancy & Clemenman (NL/DE), Kateryna Surhutanova (UA), Kathi und Oliver (AT), Kiki (JPN), Kollektiv Lea Weigert und Luise Schaller (DE), Kori (RS), Lapiz (Hamburg), LPVDA (CH), Luke Carter (Leipzig), Marija Tiurina (NL/LT), Merny Wernz (UK), Miezwars (Leipzig), naamlooozz (NL), Nasca (Berlin), Nikita Nomerz (RU), NNAMARI (NL), ODOUR ODESSA (DE), Olesja Arndt (DE), Oliver Bekiersz (DE), OMA Kollektiv (DE), Pati (UZ), PAY-Collective (Leipzig), Pietro Vitali, Mirko Dadich & Nicolò Andreatta (IT), Rmyr (Leipzig), Rootsen Sneeky (DE), Simon Schirmer (DE), Structurals (CH), Thorsten Wohlfahrt (DE), Tina Chertova (GE), Tobias Hansel (DE), Tomislav Topic (DE), Vera Shirdina & Kirill Vedernikov (RU), Vladimir Abikh (RU), Waldstyle (DE), Xuan (US)

Drei Wochenenden für Besucher

Neugierige und Kunstfans können das Ergebnis der Kreativphase an drei Wochenenden – vom 18. bis 20. August, vom 25. bis 27. August sowie vom 1. bis 3. September – als Ausstellung auf Zeit erleben. Dazu ist ein buntes Festivalprogramm, u. a. mit Führungen, Artist Talks und Musik geplant. Außerdem soll es Angebote für Schulklassen geben.

Die ibug 2023 wird gefördert von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, von der Stadt Leipzig im Rahmen des Themenjahres 2023 „Leipzig – Die ganze Stadt als Bühne“ und von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt.

ibug 2023 – Festival für urbane Kunst: 18. – 20. August / 25.- 27. August / 01. – 03. September im RAW „Einheit“ (Werkstättenstr. 4, 04319 Leipzig-Engelsdorf)

Öffnungszeiten: 
Freitag: 16 bis 20 Uhr
Samstag/Sonntag: 10 bis 20 Uhr
Biergarten auf dem Festivalgelände bis 22 Uhr

Tagesticket: 15,– Euro / 10,– Euro ermäßigt
Familienticket: 30,– Euro (2 Erwachsene und maximal 3 Kinder zwischen 6 und 16 Jahren)
Supporter-Ticket: ab 20,– Euro
Wochenendticket: 30,– Euro
Festivalticket: 55,– Euro
Für Kinder bis 6 Jahre und Schwerbehinderte mit einem Behinderungsgrad ab 50 % ist der Eintritt frei.

Tickets gibt es im Vorverkauf ab 1. August online unter www.ibug-art.de

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