โ€žGesellschaftliche Verfasstheit, Kulturauftrag, Zugang und Teilhabeโ€œ โ€“ das waren die Themen des dritten Podiums der Reihe โ€žKulturkollapsโ€œ, das am 31. Januar im Neuen Schauspiel stattfand. Fast kรถnnte man sagen โ€žwie passendโ€œ, hatten die Betreiber/-innen des Neuen Schauspiels in Leipzig-Lindenau doch schon Ende letzten Jahres einen dringlichen Hilferuf ausgesandt.

Das Haus kรถnne die steigenden Kosten, gepaart mit dem starken Rรผckgang der Besucher/-innenzahlen nicht mehr lange allein stemmen, verkรผndete Geschรคftsfรผhrer Marcus Szygan beim ersten โ€žKollapsโ€œ-Podium im November.

Am Dienstagabend wurde auf die prekรคre Lage der Spielstรคtte zwar auch mehrmals eingegangen, die โ€žgroรŸen Themenโ€œ aber galt es, allgemeiner zu diskutieren. In heimelig gepolsterten tรผrkisen Sesseln hatten auf der Bรผhne dieses Mal der Kulturpolitikwissenschaftler Prof. Dr. Dr. Matthias Theodor Vogt aus Gรถrlitz sowie Fabian Burstein, Kulturmanager und Autor aus Wien, Platz genommen. Letzterer verรถffentlichte erst im letzten Jahr das Sachbuch โ€žDie Eroberung des Elfenbeinturms โ€“ Streitschrift fรผr eine bessere Kulturโ€œ.

Gestritten wurde auf dem Podium, das erneut durch die Moderation von Prof. Michael Kaufmann bereichert wurde, eher weniger. Beide Gรคste waren sich zumindest einig in der Einschรคtzung, dass es in der Kultur sehr wohl einen Kollaps gebe.

โ€žDie Nachrangigkeit von Kultur ist aber kein aktuelles Phรคnomenโ€œ, stellte Prof. Matthias Vogt klar und wies im gleichen Atemzug darauf hin, dass es in Deutschland einen Investitionsstau von 6,2 Milliarden Euro im Bereich Kultur gebe, der sich รผber Jahrzehnte aufgebaut hรคtte. Also Geld, das bereits fรผr den kulturellen Bereich zugeteilt wurde, jedoch noch nicht umgesetzt wurde.

Alles eine Frage der Gรคste?

โ€žMan darf die Situation allerdings nicht begrenzen auf die Frage von Geld und Institution. Das Publikum steht ganz klar ebenfalls im Mittelpunkt der Problemeโ€œ, so Vogt. Eine Beobachtung, von der zahlreiche Betreiber/-innen kultureller Einrichtungen ein Liedchen singen kรถnnen. Viele stellen sich seit Monaten die Frage, wo die Zuschauer/-innen abgeblieben sind und was getan werden muss, um sie wieder in die Theater, Konzerthallen, Museen etc. zu locken.

Was die Beantwortung dieser Frage nahezu unmรถglich zu machen scheint, ist die mit ihr einhergehende Willkรผrlichkeit. Weder kรถnne man Besucher/-innenzahlen anhand der Art der Unterhaltung festmachen, noch am Standort. Auch die Preise fรผr Eintrittskarten seien nicht der ausschlaggebende Punkt, ob eine Veranstaltung auslastend oder spรคrlich besucht wird.

โ€žDiese Verwirrung und Unplanbarkeit ist Teil einer Krise, die nicht einfach รผber uns hereingebrochen istโ€œ, bekrรคftigte Fabian Burstein. โ€žWir mรผssen aufhรถren, die Krise als etwas Schicksalhaftes zu begreifen.โ€œ Ebenso wie sein Gesprรคchspartner Vogt sieht er den Grundstein fรผr die aktuell schwierige Lage der Kultur weit frรผher gelegt.

โ€žDringende Notwendigkeit einer Bildungsoffensiveโ€œ

Als einer der ausschlaggebenden Punkte wurde von beiden das mangelhafte Bildungssystem genannt. โ€žIch glaube an die dringende Notwendigkeit einer Bildungsoffensiveโ€œ, so Burstein. โ€žDas Thema Kultur sollte als zentrales Querschnittsthema eines zukรผnftigen Bildungsbetriebs einbezogen werden, รคhnlich wie die Digitalisierung. In jedem Fach sollte die Frage verknรผpft sein: โ€šWas hat das fรผr eine kulturelle Relevanz?โ€˜โ€œ Das sei zuallererst einmal eine Haltungsfrage.

Diese Position bekrรคftigte auch Vogt mit seiner Kritik an den zahlreichen Stundenausfรคllen in Schulen. Waren es in den letzten drei Jahren die durch Corona bedingten SchulschlieรŸungen, sorgt jetzt Lehrer/-innenmangel groรŸflรคchig fรผr Ausfallstunden. Diese fielen vorrangig auf Nicht-MINT-Fรคcher, so Vogt. Also alle Bereich abseits von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.

โ€žWir leben in einem Staat, der sich in den letzten 30 Jahren wenig Mรผhe gegeben hat, seine Lehrer/-innen in ausreichender Anzahl aufzustellen.โ€œ Allerdings mรผsse man sich auch der Frage stellen, ob Kulturbetriebe an den Interessen der Menschen vorbeiagieren wรผrden. Dabei genannt seien unter anderem die Stichworte Teilhabe, Barrierefreiheit, Integration, einfache Sprache.

Um der Kultur den nรถtigen Stellenwert zu geben und als โ€žmitgedachtโ€œ im Bildungssystem zu verankern, brauche es auch das nรถtige professionelle Personal โ€“ sowohl im Bereich Bildung als auch in der Politik; oder wie Fabian Burstein es recht charmant auf den Punkt brachte: โ€žWir leiden an vielen Stellen an einem kulturpolitischen Vakuum.โ€œ Selten seien Positionen in Kulturausschรผssen besetzt mit Personen, die auch gewillt seien, sich reinzuarbeiten in kulturelle Prozesse, sei es zum Beispiel die Verteilung von Budgets.

โ€žDie Verantwortlichen und auch die Kulturschaffenden sollten Relevanz einfordern, das ist eine lobbyistische Frage. Dann wird sich auch das Krรคfteverhรคltnis auch verschieben.โ€œ Die Politik mรผsse sich sozusagen vor der politischen Wirkmacht der Kunst und Kultur fรผrchten.

Bisher sehe die Situation eher so aus, dass das Interesse fรผr Kultur in den Kommunen kontinuierlich abnehme, erklรคrte Vogt. โ€žUnd das hat nichts mit Corona zu tun.โ€œ Er warf, ebenso schon wie der Leipziger Opern-Intendant Tobias Wolff beim Podium der vergangenen Woche, den Aspekt der geografischen Ansiedlung der Bevรถlkerung in den Diskussions-Topf: โ€ž70 Prozent der Deutschen leben in Stรคdten, Dรถrfern oder Orten mit weniger als 100.000 Einwohner/-innen โ€“ wie sieht es dort aus mit dem Zugang zu Kultur?โ€œ Schwerlich zu beantworten in einer Stadt wie Leipzig, die mit einem รผberaus รผppigen Kulturangebot glรคnzen kann.

Backe, backe Kuchen โ€ฆ

Natรผrlich musste es im Laufe des Abends auch um โ€ždenโ€œ Kuchen gehen. Das groรŸe (oder kleine?) Backblech der Gelder, die fรผr die Kultur zur Verfรผgung gestellt werden und die immer wieder zur Debatte gestellte Aufteilung der kleinen und groรŸen Stรผcke. Die Vorstellung, der Kuchen kรถnnen in den nรคchsten Jahren wachsen und sozusagen รผber das Blech hinaus aufgehen, bezeichnete Vogt als Illusion.

โ€žDavon kann รผberhaupt keine Rede sein, das ist wirklich weltfremd.โ€œ Er erklรคrte diesen Zustand auch mit dem grรถรŸer werdenden Aufwand fรผr soziale Abgaben. โ€žDie Kosten fรผr kreisfreie Stรคdte fรผr Sozialaufgaben durch den Bund sind so verheerend, dass fรผr zentrale Aufgaben wie die Kultur nur wenige Mittel bleiben. Und sie wachsen im Wochentakt, nichts bleibt mehr รผbrig fรผr die Aufgaben unten.โ€œ

Dabei sollte auch der kulturelle Bereich in seiner Wertschรถpfung eine Rolle spielen. Sei es auf wirtschaftlicher Ebene, die durchaus relevant ist, auch fรผr den kulturellen Sektor, als auch auf ideeller Ebene als wichtiger gesellschaftlicher Baustein. So gibt es viele Beispiele, in denen Kunst โ€žfachรผbergreifendโ€œ bereichernd agiert, beispielsweise in der Medizin. Ebenso gibt es Aufgabenstellungen aus der Gesellschaft heraus fรผr die Kultur.

Endspurt am 23. Mรคrz

Wie die Relevanz von Kultur in unserer Gesellschaft gestรคrkt werden kann, kรถnnte Teil des vierten Podiums im Rahmen der Reihe โ€žKulturkollapsโ€œ sein, die am 23. Mรคrz um 19 Uhr im Felsenkeller stattfinden wird. Hier stellt sich der Journalist Andreas Rosenfelder der Diskussion unter dem Titel โ€žIm Morgen liegt die Frage โ€“ im Gestern keine Antwort.โ€œ

Am 23. Februar kรถnnen sich Interessierte auรŸerdem zum Stammtisch und der Frage โ€žIst Transformation die Antwort?โ€œ in der Moritzbastei zusammenfinden. Beginn ist ebenfalls 19 Uhr.

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